Noch nie so viel gelernt

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Am 7. September trifft die Opferschutzkommission unter der Führung von Waltraud Klasnic nach dem Sommer zur ersten Sitzung zusammen. Inzwischen ist die Zahl von Menschen, die sich wegen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen an die Kommission wendeten, auf über 400 angestiegen. Wie geht es Klasnic, wenn sie von diesen vielen Schicksalen hört?

„Das Thema ist immer bei mir“, sagt Waltraud Klasnic. Wo immer sie hinkomme, ob bei einem Theaterbesuch in Salzburg oder an einem Bahnhof, immer wieder werde sie angesprochen: Nicht, als ehemalige „Frau Landeshauptmann“ der Steiermark, sondern als Opferschutzanwältin, die im Frühjahr vom Wiener Kardinal Christoph Schönborn eingesetzt wurde. „Das Thema“ hat die katholische Kirche hierzulande und weltweit in eine ihrer schwerwiegendsten Krisen der jüngsten Zeit gestürzt: Zahlreiche Menschen wagten sich mit ihren Schicksalen an die Öffentlichkeit und berichteten von sexuellem Missbrauch aber auch physischer und psychischer Gewalt, die sie einst in kirchlichen Einrichtungen von Geistlichen erleiden mussten.

Mittlerweile haben sich bereits über 400 Menschen an die Opferschutzanwaltschaft unter Waltraud Klasnic gewendet. Die Kommission ruft dazu auf, dass sich bis 31. Dezember des Jahres alle melden sollten, die Missbrauch in kirchlichen Institutionen erlitten haben und sich Gehör verschaffen wollen. Damit ein erster großer Überblick geschaffen werden könne, sagt Klasnic; ein erster Überblick über eine Fülle von Schicksalen, die Klasnic zusammen mit einer psychologischen Fachkraft in Erstgesprächen bereits anhörte und noch anhören wird, um danach weitere Fragen zu stellen: Möchte der Betroffene eine Therapie, eine Entschuldigung, eine Gegenüberstellung mit dem Täter, eine erstanwaltliche Beratung, eine Entschädigung oder eine Anklage vor einem Gericht? „Ich erlebe in diesen Gesprächen, dass die Betroffenen das Gefühl haben, gehört zu werden, dass man sie verstehen möchte und ihnen glaubt.“

Über 400 Betroffene haben sich gemeldet

Zuvor hatten viele Betroffene mit niemandem darüber sprechen können. „Sie mussten alleine damit fertig werden, was eine lebenslange Belastung bedeutet“, so Klasnic. Sie ergänzt, dass sie heute nach diesen Gesprächen verstehen könne, dass Menschen aufgrund solcher Erfahrungen nicht mehr arbeiten könnten, dass sie Autoritäten und Gemeinschaften nicht mehr aushielten. Das sei ihr früher nicht so bewusst gewesen.

Überhaupt, sagt die im Oktober 65-Jährige: „Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so viel gelernt wie jetzt in diesen Monaten.“ Sie habe sich auch früher in ihrem Wirken als Landeshauptfrau mit vielen Anliegen befasst, aber noch nie sei es erforderlich gewesen, sich so intensiv in andere Menschen hineinzuversetzen.

Dass Familienmitglieder oder Freunde sie ermahnten: „Lass das alles nicht zu nahe an dich heran!“ oder „Pass auf dich auf“ komme immer wieder vor. „Und ich muss sagen, sie haben zum Teil recht.“ Aber wie schützt sie sich vor dem Leid der Missbrauchs-Opfer, damit es sie nicht zu sehr belaste? „Der einzige wirkliche Schutz ist das Gespräch mit den Psychologen“, sagt die Mutter dreier erwachsener Kinder und Großmutter. „Ich möchte aber das, was ich an ganz normalen Empfinden in mir habe, auch nicht verändern. Das ist es, was mich ausmacht“. Sie wolle sich von diesen tragischen Berichten nicht abschirmen.

Es gehe ihr nicht darum, ob sie etwas belaste oder nicht, es gehe um die Anliegen der Opfer, sagt Klasnic angesprochen auf den Wirbel, den Anklagen gegen den Orden der Schulbrüder ausgelöst hatten. Weitere Anklagen auf Wunsch der Opfer werden laut Opferschutzanwältin folgen.

„Klasnic hat großes Einfühlungsvermögen“

Dass sie ihre eigene Belastbarkeit zurückstellt, setzte bereits mit ihrer Ernennung zur Opferschutzanwältin ein: Die frühere ÖVP-Politikerin und bekennende Katholikin war anfänglich mit massiver Kritik bedacht worden: Sie sei zu kirchennah, so der Vorwurf etwa von der „Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt“. Sie würde gar die Täter vertreten. Klasnic hat diese Vorwürfe stets damit beantwortet, dass man sie erstmals arbeiten lassen sollte.

Befragte Mitglieder ihrer achtköpfigen Kommission sind mit dem Fortschritt ihrer eigenen Arbeit und mit Klasnics Führung bisher durchgängig zufrieden. Beeindruckt zeigen sich Mitglieder von Klasnics Gesprächsführung: Ihr wird großes Einfühlungsvermögen, Geduld beim Zuhören, Herzlichkeit und Klarheit in ihren Aussagen bescheinigt. „Ihr gilt meine Hochachtung, weil sie ihr Amt mit emotionaler und zeitlicher Hingabe ausführt, die man sonst suchen muss“, sagt etwa Caroline List, Richterin am Oberlandesgericht Graz und Mitbegründerin des „Forums gegen Sexuellen Missbrauch“.

„Obwohl sich Opfer an jedes Mitglied der Kommission wenden könnten, wollen nahezu alle mit Waltraud Klasnic reden. Es hat sich rasch der Ruf verbreitet, dass sie einfühlsam ist, zuhören kann, ohne die Opfer zu unterbrechen. Das sind alles Dinge, die diese Opfer in der Vergangenheit von kirchlichen Gesprächspartnern nie erlebt haben“, sagt auch der Publizist und FURCHE-Kolumnist Hubert Feichtlbauer, der früher der Plattform „Wir sind Kirche“ vorstand. „Sie ist daher die ideale Wahl für die Opferanwaltschaft. Sie schont sich nicht, schont aber die Opfer.“

Aber besteht die Gefahr, dass etwa hochrangige Täter geschont werden könnten? Das verneint Ulla Konrad, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, vehement. Konrad kann verstehen, dass es anfänglich Skepsis gegenüber Klasnic gegeben hat. „Es ist in der Vergangenheit in der Kirche den Missbrauch betreffend eindeutig zu wenig passiert und Dinge wurden vertuscht. Aber Klasnic vertritt klar die Sicht der Opfer und setzt sich vehement und engagiert für sie ein. Sie hat aber andererseits eine gute Gesprächsbasis zur Kirchenspitze.“ „Dass sie nicht kirchennah ist, hat sie allein schon damit gezeigt, dass sie auf Opferwunsch hin Anzeigen konkret gemacht hat“, sagt Richterin List.

Auch Brigitte Bierlein, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes, bekräftigt, dass Klasnic Unabhängigkeit tatsächlich im wahrsten Sinne lebe. Sie verzichte sogar auf ihr Stimmrecht in der Kommission. Von der angeblichen Kirchennähe Klasnics sei in ihrer Arbeit nichts zu merken.

Was Ulla Konrad aber auch anderen Kommissionsmitgliedern wichtig ist, wäre eine wissenschaftliche Evaluierung der Missbrauchsfälle, um wirklich fundierte Empfehlungen an die Kirche geben zu können, was sich ändern müsste. Auch Werner Leixnering, Leiter der Abteilung für Jugendpsychiatrie der Landes-Nervenklinik in Linz, betont, dass ihm die Nachhaltigkeit der Kommissionstätigkeit besonders am Herzen liege.

„Zeit der Vertuschens ist vorbei“

Hubert Feichtlbauer fügt hinzu: „Nach der Anhörung der Opfer und nach Zuerkennung symbolischer Entschädigungssummen wird es unverzichtbar sein, einen Bericht darzulegen, der die Ursachen für die Missbrauchsfälle bloßlegt und aufgrund der Ursachenanalyse Vorschläge enthält, wie man in Zukunft weitestgehend solche Fälle vermeiden wird können.“ Er meint zudem: „Es muss jedem und jeder klar sein: Wer solche schrecklichen Missbrauchsfälle begeht, hat keine Chance mehr, davonzukommen, weil niemand mehr an Verdrängung und Vertuschung interessiert ist. Und ich denke, das ist schon erreicht worden.“ Aber ist das bei der Kirche auch angekommen? Besteht nicht die Gefahr, dass man Gras drüber wachen lässt? „Davon mögen manche träumen. Aber sie müssen zur Kenntnis nehmen – und ich glaube, das haben die Verantwortlichen auch getan –, dass das Zeitalter des Verdrängens und Vertuschens vorbei ist.“

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