Wie soll die EU die Reformbewegungen in den Maghreb-Staaten unterstützen?| Der Weg von Belohnung und Strafe sei jedenfalls nicht richtig, meint die SZ.
Es sind die Völker Nordafrikas und des Nahen Ostens, die darüber entscheiden, welchen Weg ihre Länder nehmen werden. Ägypten dürfte einen anderen einschlagen als Tunesien. Libyens Zukunft ist gänzlich ungewiss. Offen ist, ob Algerier und Marokkaner die Zeichen der Zeit richtig deuten und sich demokratisieren. Was immer geschieht: Es wäre eine Illusion zu glauben, dass diese Prozesse von außen nachhaltig beeinflusst werden könnten. Sicher, die Nato könnte den Rebellen mit einem Luftschlag gegen Gaddafi zum Sieg verhelfen. Aber das macht noch kein demokratisches Libyen. Dem Beseitigen einer Gewaltherrschaft folgen nicht automatisch demokratische Verhältnisse, wie der Westen im Irak und in Afghanistan auf bittere Weise lernt.
Dennoch können die Europäer es sich nicht leisten, abzuwarten, wer am Ende die Oberhand behält. Der Weg, den ihre Nachbarn am Rand des Mittelmeers einschlagen, wirkt sich unmittelbar auf die Europäische Union aus. Er berührt ihre vitalen Sicherheitsinteressen. Instabile Staaten in Nordafrika wären Paradiese für Menschenschmuggler. Europa geriete unter den Druck massiver illegaler Immigration. Die Länder könnten Heimstätten des Terrorismus werden. Auch gibt es genug ökonomische Gründe, die weit über das Öl und Gas hinausreichen, um sich funktionierende und halbwegs demokratische Staaten im Maghreb und anderswo zu wünschen.
Verabschiedung von Illusionen
Nur, was kann Europa tun? Zuerst einmal sollte es sich von Illusionen verabschieden. Nordafrika 2011 ist nicht Osteuropa 1989. Das wichtigste Instrument der Europäer, das einhergeht mit dem Export von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, funktioniert im Nahen Osten nicht: die Verlockung einer zukünftigen Mitgliedschaft in der EU. Anders als Osteuropa, der Balkan oder sogar die Türkei lässt sich der Maghreb weder geografisch, noch historisch oder kulturell als Teil Europas definieren. Hüten sollten sich die Europäer auch vor missionarischem Eifer. Es ist nicht die Sache Europas, Ägypten, Tunesien oder Libyen eine bestimmte politische Ordnung per sanftem Druck anzuempfehlen. Die Menschen dort werden diese Sorte von Einmischung nicht mögen.
Catherine Ashtons Fehler
Dennoch läuft Europa Gefahr, diesen Fehler zu wiederholen - jedenfalls dann, wenn die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am Freitag den Ideen ihrer Außenbeauftragten Catherine Ashton folgen. Die drängt zwar - durchaus vernünftig - auf ein umfangreiches praktisches Hilfs- und Kooperationsangebot für die Staaten Nordafrikas. Diese Hilfe aber nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche verteilen zu wollen, wäre ein Rückfall in kolonialistische Bevormundung. Dass man jahrelang bei den Autokraten weggesehen hat, ist noch lange kein Grund, nun bei allem und jedem jenen genau auf die Finger zu schauen, die ihre Länder in den kommenden Monaten und Jahren auf den Weg zu mehr Demokratie und Freiheit bringen wollen. Dabei wird es unvermeidliche Rückschläge geben. Es gibt keine geraden Linien zu stabilen Demokratien. Die Europäer sollten das wissen. Darum sollten sie von dem Gedanken ablassen, sich zum Schiedsrichter über die demokratische Entwicklung in Nordafrika aufzuschwingen. Die Absicht, Länder mit erfreulichen demokratischen Fortschritten finanziell zu bedenken, jenen aber, die hinterherhinken oder gar einen Rückfall erleiden, zur Strafe Geld wegzunehmen, ist erstens eine Beleidigung der Völker. Zweitens ist es arrogant, in Brüssel Noten für demokratisches Wohlverhalten verteilen zu wollen.
* Süddeutsche Zeitung, 9. März 2011
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