Notwendige Reaktion auf Austrittswelle

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Nun liegt die katholischen Austrittsstatistik auf dem Tisch. Die Zahlen schmerzen. Luitgard Derschmidt, oberste katholische Laiin des Landes, fordert daher eine Abkehr von der kirchlichen "Hochleistungsgesellschaft“.

Ü berraschung war es keine: Die Statistik zur Katholikenzahl in Österreich zeigte das erwartete Bild: 87.393 Katholiken haben 2010 ihrer Kirche den Rücken zugekehrt - um 64 Prozent mehr als im Jahr 2009, das mit 53.269 Austritten der größten Religionsgemeinschaft in Österreich schon einen traurigen Rekord beschert hatte. Die Gläubigenzahl schrumpfte 2010 um 1,4 Prozent, zum Stichtag 31. Dezember weist die Statistik 5,45 Millionen Katholiken im Land aus.

Die unterschiedliche regionale Verteilung zeigte unterschiedliche Steigerungsraten - während die Erzdiözese Wien, zu der auch das östliche Niederösterreich gehört, nach wie vor am meisten Austritte in absoluten Zahlen verzeichnet (25.314), beträgt die relative Austrittssteigerung gegenüber 2009 lediglich 53 Prozent, während sich in der Diözese Eisenstadt - auf niedrigem Niveau - die Austrittszahl beinahe verdoppelte. In Klagenfurt war die Steigerung mit 94 Prozent landesweit am höchsten.

In 20 Jahren mehr als verdreifacht

Kardinal Christoph Schönborn hatte die Dimension dieser Zahlen bereits vor Weihnachten bestätigt. In einer Reaktion auf die nun konkreten Zahlen meinte Schönborn, diese seien ein "Zeichen neuer Freiheit“ vor dem Hintergrund der Entwicklung "vom Traditions- zum Entscheidungschristentum“. Schönborn betonte zugleich, jeder einzelne Austritt sei schmerzlich; der Missbrauchsskandal habe die hohe Zahl an Austritten mitbedingt.

In ein ähnliches Horn stieß der Grazer Bischof Egon Kapellari, der in einer Aussendung darauf hinwies, dass für "nicht wenige Ausgetretene diese Entscheidung nur der letzte Schritt in einer schon lang in Gang befindlichen Entfernung“ gewesen sei.

Ein Vergleich der letzten 20 Jahre fördert Dramatik zutage: Gut 26.000 hatten anno 1981 die katholische Kirche verlassen, nun sind es mehr als dreimal so viele. In den Jahren kirchlicher Aufreger - Affäre Groër 1995, Sexskandal in St. Pölten 2004, Weihbischofsernennung von Gerhard Wagner in Linz 2009 - waren Spitzen in der sonst kontinuierlichen Aufwärtsentwicklung auszumachen. Die Steigerung von 2009 nach 2010 stellt dies alles aber in den Schatten.

Den 87.000 Abgängen standen 2010 etwas mehr als 4000 Wieder- und Neueintritte gegenüber, wobei die kirchliche Statistik da noch nicht alle Zahlen der letzten Wochen erheben konnte. Auch der Zusammenhang mit dem Missbrauchsthema scheint evident: In der ersten Jahreshälfte seien die Zahlen besonders stark gestiegen, während sie ab Juli wieder deutlich zurückgingen, teilte die Nachrichtenagentur Kathpress mit.

Betroffenheit über diese Zahlen äußerte auch Luitgard Derschmidt, die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ) gegenüber der FURCHE. Die "oberste Laiin“ in Österreichs katholischer Kirche stimmt der Diagnose, die Zahlen seien auch Ausdruck eines allgemeinen Trends, zu. Derschmidt benennt eine Tendenz zur Abkehr von Großinstitutionen und die Scheu, sich an solche zu binden und ihnen die Treue zu halten. Aber der gesellschaftliche Trend sei durch eigenes Zutun der Kirche verstärkt worden, so die Präsidentin der Katholischen Aktion.

Kirche bietet keine Geborgenheit

In diesen Kontext stellt Derschmidt, die in ihrer Heimatdiözese Salzburg auch als Ombudsfrau Ansprechpartnerin für Beschwerden ist, die Missbrauchthematik: Wenn "nicht einmal die Kirche“ da verlässlich sei, dann würden immer mehr Menschen in ihr keine Heimat oder Geborgenheit mehr finden, obwohl gerade heute die Sehnsucht danach groß sei.

Derschmidt würdigt im FURCHE-Gespräch ausdrücklich die Zeichen und Schritte, die in den Missbrauchs-Causen kirchlicherseits gesetzt wurden. Sie warnt aber davor, zu glauben, dass die Sache ausgestanden sei. Die KAÖ-Präsidentin pocht darauf, dass ihre Kirche weitere Zeichen der Wiedergutmachung setzen muss.

Was aber sollten das für Zeichen ein? Derschmidt meint, dass die Themen und Forderungen da schon längst auf dem Tisch liegen. Sie nennt als Beispiel den Umgang der Kirche mit den wiederverheirateten Geschiedenen: Viele hätten Eindruck, das Leben der Menschen werde von der Kirche viel zu wenig wahrgenommen. Die Kirche setze auf eine "Hochleistungsgesellschaft“, in der nur der etwas gelte, der die Ideale etwa einer christlichen Ehe zu 100 Prozent erfülle.

Derschmidt führt Erfahrungen aus der Eheberatung an, nach der Ehen auch daran scheitern, dass sie kirchlich unter einen zu hohen Anspruch gestellt würden. "Die Botschaft des Evangeliums lautet aber: Barmherzigkeit und Vergebung“, meint Derschmidt, doch viele Menschen hätten den Eindruck, in Fragen wie jener des Scheiterns von Beziehungen setze die Kirche aufs Gegenteil und propagiere eine Botschaft der Härte.

Ein Katholikentag als Zeichen

Hier erwartet sich die oberste Laiin Haltungsänderungen und fordert, dabei besonders auf die Kompetenz der Laien zu setzen. Denn auch beim Priesterbild und bei der Ausbildung der Priester ortet Derschmidt Handlungsbedarf: Viel zu oft würden sich Priester - diese Tendenz nehme eher zu als ab - als "Herren“ denn als "Diener“ des Glaubens gerieren. Letzlich, so die KAÖ-Präsidentin, solle sich die Kirche nicht so sehr um die Kirche bemühen, sondern um den Glauben: "Eine elitäre Hochleistungskirche, die von vornherein verschiedene Menschen ausschließt, ist nicht die Lösung.“

Derschmidt redet einer "offenen, einladenden, befreienden Kirche“ das Wort und fordert sichtbare Zeichen dazu. So regt sie einen Katholikentag an, der von Laien getragen wird und in dem das offene Gespräch möglich und sichtbar sein soll. Das letzte Mal gab es 1983 ein derartiges Event. Die KAÖ-Präsidentin hofft auch, durch solche Zeichen die Menschen in und mit der Kirche wieder ins Gespräch zu bringen.

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