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Die deutsche „Welt“ bedauert den wechselnden EU-Vorsitz, aber, so das Blatt, wenigstens läuft das Getriebe weiter – mehr kann die EU derzeit nicht bieten.

Die Gründungsväter der Europäischen Union haben es so gewollt: Alle sechs Monate wechselt in Brüssel der Vorsitz über die 27 Mitgliedsländer. Viele, wie Deutschland oder Irland, nutzten die Chance, um die Zügel in die Hand zu nehmen und das Leben von 500 Millionen Europäern maßgeblich mitzubestimmen. Andere Staaten wiederum versagten als Gestalter und Moderatoren – das Regierungspersonal war zu schwach (Berlusconi im Jahr 2003) oder durch innenpolitische Krisen gelähmt. In diesen Fällen übernimmt das Brüsseler Beamtenheer das Ruder. Man mag das bedauern, aber es funktioniert – das Getriebe läuft weiter.

Das zeigen auch die vergangenen sechs Monate der tschechischen Ratspräsidentschaft. An der EU-Spitze standen: Staatspräsident Václav Klaus, der den Vorsitz seines Landes für innenpolitische Spielchen nutzte, und Regierungschef Mirek Topolánek. Dieser bezeichnete die amerikanischen Konjunkturpakete – nach eigenen Aussagen in Anlehnung an die Rockgruppe AC/DC – als „Weg in die Hölle“ und riet den 20 Millionen Arbeitslosen in der EU: „Wenn man einen Job sucht, findet man einen.“ Topolánek wurde Anfang Mai vom Politik-Laien Jan Fischer abgelöst. Die Skepsis war groß, aber das Chaos blieb aus.

Tschechien: Es hätte schlimmer kommen können

Es gab durchaus Ergebnisse: Fortschritte beim „Telekom-Paket“ und in der Finanzmarkt-Regulierung, eindeutige Garantien für Irland vor der Abstimmung über den EU-Reformvertrag im Oktober und die einstimmige Benennung von Kommissionschef José Manuel Barroso, der eine zweite Amtszeit anstrebt. Das war keine glänzende Ratspräsidentschaft, aber es hätte schlimmer kommen können.

Nun also Schweden. Die Herausforderungen für den smarten Stockholmer Regierungschef Fredrik Reinfeldt sind groß: Unter seiner Regie will die EU die Wirtschaftskrise endgültig überwinden, die Finanzmärkte in den Griff bekommen, den Milliarden-Schuldenberg langsam abbauen, die Klimaverhandlungen mit den USA, Indien und China vorantreiben und das Brüsseler Machtgefüge nach Ratifizierung des Lissabonner Vertrags neu justieren. Ein Potpourri von Herkules-Aufgaben in unsicherer Zeit. […]

Schweden: Moderator des Gezerres

Schwedens wichtigste Verbündete in Brüssel sind Polen, Großbritannien und – mit Abstrichen – Deutschland. Trotzdem wird es für Reinfeldt nicht einfach, in Krisenzeiten eine gemeinsame Linie zu finden. So fordert Schweden eine Strategie zum Schuldenabbau. Frankreich, Italien und Griechenland halten davon wenig. Sie wollen lieber das Ende der Krise abwarten und erst dann über Konsolidierung reden. Auch im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, der eigentlich Aufgabe der Nationalstaaten ist, gibt es unterschiedliche Konzepte: Schweden will die Wiedereingliederung von Arbeitslosen mit Milliardenbeträgen fördern, viele Länder setzen stärker auf Alimentierung. Bei der Regulierung der Finanzmärkte drückt London auf die Bremse, eine wirksame europäische Aufsicht liegt in weiter Ferne. Und in der EU-Klimapolitik reißen trotz gemeinsamer Klimaziele immer wieder neue Gräben auf […]

Sollte dann auch noch der Reformvertrag in Kraft treten, muss er zügig umgesetzt werden. Ein neuer Europäischer Diplomatischer Dienst wird eingerichtet, und ein neuer EU-Präsident tritt auf die Bühne. Die fein austarierte Machtarithmetik in Europa gerät durcheinander. Es wird ein Kampf um Posten, Einfluss und Ehre. Reinfeldt muss das Gezerre moderieren. Es gibt weiß Gott wichtigere Aufgaben, aber mehr hat die EU derzeit nicht zu bieten.

* „Die Welt“, Berlin, 29. Juni 2009

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