"Nun sag', wie hast du's …?"

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Am Rande des Philosophicums Lech holte Simon Varga für die Furche Statements zur Gretchenfrage ein: vom Lecher Bürgermeister Ludwig Muxel, dem Baseler Astronomen Bruno Binggeli, einem der Referenten - und vier Leuten aus dem Publikum.

Zukunftsthema Toleranz

Religion bedeutet für einen Menschen, der in einem Dorf wie Lech am Arlberg lebt, sehr viel. Sie hat eine immense Bedeutung. Die Gemeinde, die Kirche, die Schule sowie alle anderen Bereiche des öffentlichen aber auch des privaten Lebens - sie alle sind Teil unseres gesamten Dorflebens schlechthin. Die ganze Dorfgemeinschaft setzt sich auch in ihrer Art und Weise immer wieder intensiv mit den aktuellen Fragen von Religion im Alltag auseinander. Nicht zuletzt deshalb, weil wir viele Gäste aus den unterschiedlichsten Kontinenten und Kulturen mit den unterschiedlichsten Konfessionen hier in Lech Jahr für Jahr als Gäste begrüßen dürfen, egal ob im Sommer oder im Winter. Allein diese Tatsache erfordert eine genauere Beschäftigung mit den Themen von Religion und Kultur. Es ist also auch für unser Dorf immer wieder spannend und höchst interessant, sich damit auseinander zu setzen, sich selbst immer wieder zu prüfen. Selbstverständlich auch für mich als Bürgermeister dieser Gemeinde.

Ich selbst bin ein religiöser Mensch. Für mich persönlich ist ein Sonntag kein "richtiger" Sonntag, wenn ich nicht in der Messe gewesen bin. Der Sonntag und der Besuch der heiligen Messe gehören für mich einfach zusammen.

Eines der Zukunftsthemen wird meiner Meinung nach sein, wie tolerant wir mit den religiösen Überzeugungen anderer Menschen in der nächsten Zeit umgehen werden. Diese Frage betrifft aber freilich nicht nur eine Gemeinde wie Lech oder ein Land wie Österreich, sondern ganze Kontinente und schließlich auch die ganze Welt. Wenn man sieht, in wie vielen Konflikten die Religion - wenn vielleicht auch nur vordergründig - als Motiv für Auseinandersetzungen angeführt wird, dann haben wir in dem Spannungsverhältnis von Religion und Toleranz eine der Hauptfragen der Zukunft schlechthin.

Das Philosophicum Lech leistet heuer einen kleinen aber aus meiner Sicht wirklich notwendigen Beitrag zu dieser gesamten Diskussion. Ich erhoffe mir vom Philosophicum einen Schritt hin zum besseren gegenseitigen Verständnis der Kulturen, auch wenn dieser Weg sicher kein einfacher sein wird. Hier werden Standpunkte diskutiert, geprüft und geschärft. Noch dazu in einer freundschaftlichen Atmosphäre, die jeglichen Diskurs zulässt. Diese Offenheit ist für das Aufeinander-Zugehen mit Sicherheit unerlässlich.

Ludwig Muxel

Bürgermeister der Gemeinde Lech a. Arlberg

Gemeinsames Suchen verbindet

Eine Antwort auf die Gretchenfrage zu geben, ist mit Sicherheit sehr schwer. Meistens aus zwei Gründen: Entweder man will gar keine Antwort auf diese Frage geben, oder aber man kann es einfach nicht. Religion spielt auch für mich eine wichtige Rolle. Ich bin bemüht, immer wieder zu überdenken und neu zu bestimmen, was sie für mich bedeuten kann. Ich betrachte Religion auch immer wieder aus einer psychologischen Perspektive. Als einen Zugang des Menschen zu seinem Unbewussten, zu sich selbst, zum Kern der Seele. Doch dieser Zugang verlangt ein hohes Maß an Ehrlichkeit. Man muss sich selbst gegenüber offen sein, aber auch gegenüber anderen. So gesehen verstehe ich Religion als einen wichtigen Teil meines Lebens und wünsche auch, dass das ebenso auch für andere Menschen so ist.

Religion hat jedoch die unterschiedlichsten Charakteristika, welche die Zugänge oftmals kompliziert aussehen lassen. Grob gesagt gibt es zwei Motive, die den Charakter einer Religion ausmachen bzw. bestimmen: zum einen das Motiv des Suchens und zum anderen das Motiv des Findens. Das Suchen verstehe ich genau als solch eine Form der Öffnung des Menschen nach innen sowie nach außen. Überall dort, so denke ich, wo die Religion das Finden in den Vordergrund stellt, gibt es meistens Probleme. Denn das Finden trennt auch heute noch zu sehr, wo ich hingegen meine, dass das gemeinsame Suchen mehr verbinden könnte. Ich erhoffe mir einen fruchtbaren Dialog der Religionen, der sich auf das Suchen konzentriert und das gemeinsame Verbindende in den Vordergrund stellt. Vor allem auch zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften. Denn diese Wissensgebiete stoßen oft an ihre Grenzen, haben wie vor allem auch die Religion vielleicht mehr mit dem Nichtwissen als mit dem tatsächlichen Wissen zu tun. Wenn das mehr in das Bewusstsein treten würde, wären viele Probleme vielleicht nicht so akut wie das heute der Fall ist.

Das mag vielleicht etwas blauäugig oder naiv klingen. Doch meistens kommt es ja immer dort zu Problemen und Konflikten, wo angenommen wird, tatsächlich Wissen zu besitzen, und die Suche dadurch größtenteils aufgegeben wird. Das gemeinsame Suchen würde meines Erachtens nach auch mehr Toleranz fördern und fordern. Ähnlich wie vielleicht hier beim Philosophicum. Ich bin der Meinung, dass hier Toleranz im höchsten Ausmaß praktiziert wird. Warum? Meiner Meinung nach deshalb, weil hier unter der Federführung der Philosophen diskutiert und gearbeitet wird. Dadurch ist für mich bereits ein Grundformat an Toleranz vorgegeben.

Bruno Binggeli

Professor für Astronomie an der Universität Basel, Referent beim heurigen Philosophicum Lech

Geschäftsidee Gott

Ich bin seit meiner Schulzeit Atheist. Ich bin gegen die Person Gott. Denn Gott, wenn man so will, ist - wenn überhaupt - nur in uns Menschen, aber sicher nicht als Person über uns. Ich verbinde mit Religion eine reine Geschäftsidee. Alles läuft doch letztendlich auf Einfluss, Macht und Geld hinaus. Das vermeintlich Eigentliche der Religion ist meiner Meinung nach schon lange in den Hintergrund geraten bzw. getreten worden. Toleranz im derzeitigen Religionsdiskurs kann ich daher auch keine entdecken. Aber das ist nichts Neues. Ich bin geschichtlich interessiert und habe viele Bücher, die ich sehr aufmerksam lese. Jedoch lese ich in jedem einzelnen dieser Bücher von Religionskriegen, Diktaten, Macht, Geld und haarsträubender Kirchenpolitik. Aufgrund dessen wirkt der Begriff der Toleranz in Bezug auf die Religionen aus meiner Sicht eher scheinheilig - so angebracht und notwendig sie auch wäre. Ich verstehe nach wie vor nicht, wie und warum Religion aufgrund dessen auch heute noch so einen großen gesellschaftlichen Stellenwert hat und warum die Kirchen immer noch in unserer Gesellschaft so präsent sind.

Richard Altenried

Steuerberater aus Bayern

Quelle der Kraft

Für mich bedeutet Religion eine konkrete Art der Lebenshilfe. Ich persönlich orientiere mich am christlichen Glauben und beschäftige mich auch damit. In meiner Pfarre bin ich ein aktives Mitglied und schöpfe daraus sehr viel Kraft. Was die Toleranz betrifft, dachte ich eigentlich immer von mir, dass ich ein toleranter Mensch bin. Nach den Diskussionen hier beim Philosophicum bin ich mir aber ehrlich gesagt nicht mehr ganz sicher. Bei so vielen unterschiedlichen Positionen muss man aufpassen, dass man nicht selbst seine Grundlagen aufgibt. Aufgrund dieser neuen Eindrücke werde ich meine Standpunkte neu überdenken müssen. Einfacher wäre es natürlich, auf seiner Meinung zu beharren, aber bin ich dann tatsächlich tolerant? Ich habe den Eindruck, dass hier viele Menschen sind, die der Religion wirklich fern stehen. Das beschäftigt mich sehr. Meiner Einschätzung nach wird hier auch nicht so tolerant mit gläubigen Menschen umgegangen.

Eva Speckle

Hausfrau & Mutter aus Vorarlberg

Kultureller Faktor

Ich denke, dass es nur wenige Menschen gibt, welche auf die Gretchenfrage eine endgültige Antwort finden. Für mich persönlich hat Religion vor allem eine Bedeutung im kulturellen Sinne - besonders für den europäischen Raum. Auch wenn es sich hierin sicher nicht um den wirklichen bzw. tieferen Sinn von Religion handelt, so ist dieser Aspekt dennoch nicht von der Hand zu weisen. Prägend für unsere Kulturgeschichte waren besonders in der Vergangenheit die Religionsgemeinschaften. Toleranz spielt in der Diskussion rund um die Religionen eine elementare Rolle. Ich denke mir, dass sie eigentlich aus den unterschiedlichen Religionen hervorgehen sollte. Denn Respekt und Achtung gegenüber einer jeden Religion müssen im Vordergrund stehen. Das wird oft übersehen. Toleranz ist aber nicht nur im religiösen Zusammenleben notwendig, sondern auch generell in den verschiedenen Lebensbereichen des Menschen. Ich empfinde Toleranz als ein rechtsstaatliches Prinzip. Doch mit der Toleranz allein ist es noch nicht getan. Im Idealfall sollte die Toleranz nur eine Vorstufe zum Respekt sein.

Matthias Hoernes

Zivildiener und angehender Geschichtestudent aus Tirol

Identitätsstiftung

Ich halte die Gretchenfrage für eine sehr gute Frage, die aber nicht leicht zu beantworten ist. Das haben auf den ersten Blick "leichte Fragen" offenbar an sich. Für das Dasein des Menschen in der Welt ist das Religiöse unbedingt notwendig, weil es in Bezug auf das Zusammenleben des Menschen Identität stiftet. Für mich persönlich ist Spiritualität sehr wichtig. Denn nicht alles in der Welt ist rational zu erklären, aber nicht alles in der Welt braucht auch diese Art der Erklärung. Für die Zukunft der Diskussion wünsche ich mir einen verstärkten interdisziplinären Diskurs. Wenn man die Berichte der Tagesmedien betrachtet, bildet Toleranz einen der wesentlichen Kernpunkte in Bezug auf Religion, auch im Bereich des interdisziplinären Dialogs. Die Gemeinsamkeiten müssen im 21. Jahrhundert im Vordergrund stehen. Dieser Zugang würde meiner Meinung nach die Gesellschaft an sich sehr bereichern, auch und vielleicht vor allem jene in Österreich.

Regina Wallner

Studentin Philosophie, Jus, BWL, Stmk.

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