Nur alleine zu wohnen, ist noch schwieriger

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Wie wohnen? Allein oder doch mit anderen? Mit Gleichaltrigen, Jüngeren, Älteren gar? Co-Housing versucht Antworten, die im Einzelfall nur langwierig zu finden sind.

So einfach kann das Leben sein: "Wenn ich krank bin, kocht jemand ein Süppchen oder kauft ein. Wenn ich wegfahre, sind Garten, Katzen und Wohnung versorgt.“ Mit freudigen Worten beschreibt Irmgard auf die Homepage die Vorteile von Co-Housing, dem Zusammenwohnen mehrerer Generationen nicht verwandter Personen. Sie ist Bewohnerin der Siedlung Der Lebensraum, gelegen im niederösterreichischen Gänserndorf. Alleine der Umstand, sich mit dem Vornamen zu melden, ist Ausdruck des familiären Charakters von Co-Housing. Nachbarn zu haben, die einen nicht nur von einer flüchtigen Begegnung im Treppenhaus kennen, das ist einer der vielen Vorteile von Co-Housing: Der Isolierung Einzelner und die Anonymität vieler in der Großstadt soll eine nachbarschaftliche, familiäre Atmosphäre entgegengesetzt werden. Es ist nicht der einzige Grund für den Trend zu dieser neuen Wohnform.

Neue Lebens- erfordern neue Wohnformen

Der vielfache gesellschaftliche Wandel hat Folgen: Es sind die demografische Wende, die Brüchigkeit von Beziehungen, die Zunahme an Single-Haushalten und Patchworkfamilien, die Architekten zum Umdenken leiteten. Zudem ist Co Housing für junge Menschen aus finanziellen Gründen interessant: Die Wirtschaftskrise senkt deren Lebensstandard, nur wenige vermögen den Standard ihrer Eltern zu halten.

Co-Housing sieht sich als Antwort genau darauf: Familien mit Kindern oder Alleinerzieher erwarten sich Vorteile durch geteilte Kinderbetreuung, Fahrgemeinschaften erleichtern Transporte, eine sichere und grüne Umgebung für den Nachwuchs erhöht die Lebensqualität. Das war der Ursprung von Co-Housing.

Nähe zur Natur und eigene Beiträge zur Versorgung mit Gemüse und Obst sowie Gemeinschaft waren schon in der dänischen Urform des Co-Housings in den 60er-Jahren wesentliche Argumente für diese Wohnform, die neben Skandinavien vor allem in den USA verbreitet ist.

Dennoch bestehen wesentliche Unterschiede zu anderen gemeinschaftlichen Wohnformen. Beim Co-Housing sind die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner bereits in die Suche nach einem geeigneten Grundstück ebenso eingebunden wie in die Planung der Siedlung. Ansparen und Anzahlungen sind nötig, um das selbstverwaltete Projekt realisieren zu können.

Bei Bedarf Arbeitsplatz integriert

Gleich fünf gemeinschaftliche Projekte werden in einem Baufeld der Seestadt Aspern nördlich von Wien organisiert. Sie setzen Schwerpunkte in Kreativität, Spiritualität, gewerblicher Nutzung, alternativer Mobilität und Urban Gardening. Anders als derartige Projekte in Stadtnähe versuchen Projekte am Land, wie Pomali in Wölblig nahe Krems, Arbeitsplätze zu integrieren. Das ist ökonomischer und ökologischer.

Ebenfalls mit Arbeitsplätzen ausgestattet und autofrei geplant ist ein Projekt im burgenländischen Zurndorf, einst bekannt für die Kommune des Aktionskünstlers Otto Mühl im Friedrichshof. Ronald Wytek ist Initiator dieser Plusenergiesiedlung Lebens und Innovationsraums Schönwasser.

Die Phase vor Baubeginn ist, so Projektmanager Wytek, auch bei Schönwasser eine lange: Seit 2003 arbeitet der kleine Verein Keimblatt an der Umsetzung des Großprojektes. Die Gruppe zahlender Mitglieder soll von gegenwärtig sieben bis zum Sommer auf 15 anwachsen, um heuer mit dem Bau des ersten Mehrfamilienhauses beginnen zu können. Das Grundstück von etwa drei Hektar soll künftig von rund 150 Menschen bewohnt werden. Willkommen sind alle Altersklassen, das Projekt versteht sich als flexibel und generationsübergreifend. Je nach den Ansprüchen künftiger Bewohner können optional Kinderbetreuungsplätze oder barrierefreie Wohnungen geschaffen werden. Wytek wünscht sich nachhaltige Lebensqualität: Den Luxus eines Badeteiches könne sich eine Gemeinschaft eher erfüllen. Zudem sei es ökologischer, gemeinsam einen Teich zu nutzen als in jedem Garten einen Pool zu bauen. Bis der nachhaltige Traum im Grünen allerdings tatsächlich verwirklicht ist, heißt es, geduldig zu sein.

Mitsprache und Umschwung kosten Zeit

Wie langwierige Prozesse vor Baubeginn sein können, weiß auch Architekt Heinrich Schuller. Er plant mit jungen Paaren und Pensionisten, darunter Künstler und Manager, ein Co-Housing-Projekt in Maria Anzbach. Die Suche nach einem passendem Grundstück und ebensolchen Mitbewohnern dauere Jahre, so Schuller. Gelegentlich würden Interessenten auch zurücktreten. Bereits bei der Planung der ersten Co-Housing-Siedlung Österreichs, dem Ökodorf Gärtnerhof in Gänserndorf, erlebte Schuller, dass individuell gebaute Wohnungen rasch sinn- oder wertlos wurden: Etwa wegen hoher Fluktuation beteiligter Personen aufgrund wechselnder Lebenspartner.

Die Bandbreite der Beteiligten ist der Spannungsbogen, der über jedem dieser Projekte liegt. Co-Housing ist für Architekten und Stadtplaner ein Feld, mit Beteiligten innovative Lösungen zu versuchen. Die Anforderungen reichen von Individualisierung des Wohnens bis zu gleichzeitiger Kommunikation mit und Versorgung von vielen. Aus den Erfahrungen gibt es Einsichten und Konsequenzen. Wie seit Generationen ist die Küche der wichtigste aller Gemeinschaftsräume. Je vielfältiger, inhomogener diese Gemeinschaft ist, desto besser die Gruppendynamik. Wem das zu viel ist, der findet Schwerpunkte: Das Frauenwohnprojekt [ro*sa] KalYpso in Wien setzt auf Migranten und Alleinerziehnede.

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