"Nur nach vorne, ins Ungewisse"

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"Eine Perle" hat der Südtiroler Extrembergsteiger hans kammerlander den 7350 Meter hohen, unbestiegenen Jasemba vor seiner Abreise nach Nepal im Gespräch mit der furche genannt. 2005 musste Kammerlander gemeinsam mit luis brugger am Jasemba umdrehen, heuer wollten sie es wieder versuchen - vorletzte Woche ist brugger dabei tödlich verunglückt.

Die Furche: Herr Kammerlander, Sie wollten letztes Jahr schon den noch unerstiegenen 7500 Meter hohen Jasemba ersteigen, mussten aber umdrehen. Was treibt sie wieder hin?

Hans Kammerlander: Es stimmt, wir sind gescheitert, ich sehe das aber nicht als Niederlage; im Gegenteil: Ich freu mich sogar, denn ich habe dieses Ziel noch vor mir, wäre ich oben gewesen, wäre das Ziel weg. Wichtig ist, an den Niederlagen nicht zu zerbrechen, sondern nach vorne zu denken.

Die Furche: Das geht auch, wenn man Freunde am Berg verliert?

Kammerlander: 1991 am Achttausender Manaslu haben wir den Gipfel nicht erreicht und beim Abstieg ist innerhalb von vier Stunden ein Freund abgestürzt und der zweite nur ein paar Meter neben mir vom Blitz erschlagen worden - das sind natürlich Wunden, die bleiben ...

Die Furche: ... Sie aber nicht vom Bergsteigen abbringen konnten?

Kammerlander: Doch, ich wollte dann mit dem ganzen Theater Schluss machen; und eher zufällig, weil ich einem kleinen Buben noch einen Gipfel versprochen gehabt habe, bin ich doch wieder hinauf auf den Berg - und danach hatte ich das Gefühl: Das war gut so! So hab ich wieder angefangen und das war auch besser. Sofort weitergehen, nur das hilft, solche harte Stunden zu verarbeiten.

Die Furche: In welche Richtung geht das Spitzenbergsteigen - die großen Berge, die hohen Wände, alles schon bestiegen, gehen die Ziele aus?

Kammerlander: Nein, es gibt noch Ziele, für diejenigen, die ausreichend Können, Ausdauer, Mut und Risikobereitschaft haben: Und das sind die großen Überschreitungen - da ist noch fast alles offen, die ganz langen Grate zwischen den Achttausendern: Neben dem Everest steht der Lhotse und daneben der Nuptse, ihre Grate bilden ein riesiges Hufeisen - alles noch nicht überschritten, das sind heiße Ziele ...

Die Furche: ... an die man sich schon drüberwagt?

Kammerlander: Das wird probiert werden, aber meine Generation macht das nicht mehr, da müssen wieder Schnellere her. Bei diesen Touren muss jemand blitzschnell sein, und das wird wahnsinnig gefährlich, da kommst du zu Punkten, wo es kein Umdrehen mehr gibt, weil der Rückweg zu schwierig wird; aber auch links und rechts gibt es kein Abhauen, da geht es nur mehr nach vorne ins Ungewisse.

Die Furche: Letztlich ein Hasardspiel ...

Kammerlander: Das wird das große Bergsteigen sein, aber selber warne ich natürlich jeden vor solchen Aktionen. Da bist du auf Messers Schneide. Jeder, der das macht, ist in der Zwickmühle: mit nichts im Rucksack losgehen, schnell wie ein Pfeil, gleichzeitig aber auch wissen, bei einem Wettersturz wird es knapp; da hilft nur volle Pulle, denn nur die Schnelligkeit bedeutet Sicherheit.

Die Furche: Sie sind Profibergsteiger, sie leben vom Bergsteigen, denken Sie am Berg auch schon ans Geschäft?

Kammerlander: Nein, ich denke nicht ans Geschäft, aber ich vergesse am Berg meine Sponsoren nicht. Ich versuche meine Ausrüstung beim Filmen, bei den Fotos gut zu präsentieren. Das bin ich meinen Sponsoren schuldig, ich möchte ihnen ja auch etwas als Dank zurückbringen. Zuerst muss ich hochgehen, dann habe ich ein Produkt, das ich dann für meine Arbeit herunten verwerten kann. Für mich ist Bergsteigen ein wahnsinnig schönes Hobby, aber gleichzeitig auch Beruf und das heißt: Ich muss meinen Job so gut wie möglich machen.

Die Furche: Ihr Sponsor Raiffeisenkassa lädt Sie auch als Vortragenden zu Seminaren mit Raika-Mitarbeitern ein - was kann ein Bergsteiger Bankmanagern beibringen?

Kammerlander: Auch die stecken sich sehr hohe Ziele und gehen recht konsequent darauf zu - das muss man beim Berg auch. Andererseits ist es auch in der Wirtschaft wichtig, Stufe für Stufe zu gehen und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Schließlich gibt es aber doch einen großen Unterschied: Wenn ein Banker einen Fehler macht und viel Geld in den Sand steckt, dann kriegt er eines drauf, aber wenn ich einen Fehler mache, ist der sehr oft nicht mehr zu reparieren.

Die Furche: Haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft missbraucht das positive Image des Bergsteigens?

Kammerlander: Nein, ich würde aber auch nicht für alles Werbung machen; bei Zigaretten oder Alkohol lehne ich ab. Das Bergsteigen ist für die Wirtschaft interessant, weil Motivation zu einem zentralen Element des Erfolgs geworden ist. Und beim Bergsteigen ist der Wille sehr gefragt und oft entscheidet sich der Erfolg im Kopf: Gehe ich weiter oder nicht, versuche ich auf den höchsten Punkt zu kommen oder gebe ich mich vorher zufrieden.

Die Furche: Ist Extrembergsteigen ohne Sponsoren noch möglich?

Kammerlander: Nein, allein die Genehmigung für den Everest kostet 70.000 Dollar, das muss erst einmal hereingespielt werden; mit Filmen, Vorträgen, Büchern, ist das unmöglich.

Die Furche: Vom Bergsteigen leben können deswegen nur wenige.

Kammerlander: Ein, zwei Hand voll, maximal.

Die Furche: Wie schaffen Sie es dazuzugehören?

Kammerlander: Ich habe immer Ideen, die man dementsprechend verarbeiten kann, die zum Beispiel auch für ein Filmteam interessant sind. Für einen Film ist eine steile, hohe Wand allein zuwenig; da muss der Berg in einem Gebiet stehen, wo die Anreise schon sehr viel hergibt; die Zuschauer in der Stube wollen vom Land etwas mitbekommen, von den Menschen, von der Kultur und dann halt noch eine Brise Abenteuer - es soll ein schöner Film rauskommen, nicht der Soloauftritt eines Selbstdarstellers.

Die Furche: Deswegen fürchten Sie auch die Konkurrenz durch die wachsende Sportkletterszene nicht?

Kammerlander: Was wir machen ist Abenteuer, das fasziniert die Leute immer noch. Es gibt sehr viele gute Kletterer, aber es gibt nicht sehr viele gute Alpinisten und nur wenige gute Höhenbergsteiger. Da hast du nicht nur die Schwierigkeit der Wand, da kommen noch die anderen Faktoren dazu: Sauerstoffmangel, Kälte, Wind, Abgeschiedenheit. Wenn dir da was passiert, du selber nicht mehr runterkommst, bleibst du oben - all das brauche ich, für mich ist das ist eine Sucht geworden.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Neuland-Sucher

In den letzten Jahren hat er Neuland gesucht, erzählt Extrembergsteiger Hans Kammerlander gegenüber der Furche, und auf den noch unbestiegenen 7000ern in Nepal hat er solches gefunden. Sein zweiter Erstbegehungsversuch des 7350 Meter hohen Jasemba vor zwei Wochen endete jedoch mit dem Unfalltod von Kammerlanders Seilgefährten Luis Brugger. Der Unfallhergang ist noch ungeklärt, wahrscheinlich hat Brugger aus Übermüdung eine Unachtsamkeit beim Hantieren mit dem Fixseil begangen und ist abgestürzt. Glück? - "Das braucht man jede Menge", hat Kammerlander vor seiner Abreise gesagt. Luis Brugger hat dieses Glück gefehlt.

Hans Kammerlander wurde als sechstes Kind einer Bergbauernfamilie 1956 in Ahornach in Südtirol geboren. "Im Tal sind wir sehr verschieden, aber auf dem Berg war er doch ein wichtiger Lehrer für mich und hat mir die Tür zu den hohen Bergen aufgemacht", sagt Kammerlander über Reinhold Messner, mit dem er Meilensteine im Himalayabergsteigen gesetzt hat. Insgesamt stand Kammerlander auf 13 der 14 Achttausender; den Mont Everest hat er in der bislang schnellsten Begehung in 17 Stunden vom vorgeschobenen Basislager aus erreicht - und ist danach als Erster mit Skiern vom höchsten Berg der Erde abgefahren. Für diejenigen, die heute noch den Everest mit Sauerstoffflaschen hinauftrampeln, hat er nur ein Kopfschütteln übrig: "Mit Sauerstoff ist das so, wie wenn du bei der Tour des France mit einem Moped mitfährst."

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