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Die Gemeinde von Hohenems ist zerstört, doch das wiedereröffnete Jüdische Museum zeigt nicht nur die Vergangenheit.

Die letzten Zeilen des verzweifelten Vaters überdauerten die Zeit. Der Mann zerbrach an ihr, noch bevor er wie Millionen anderer seiner Schicksalsgemeinschaft von den Zeitgenossen zu Tode gebracht werden konnte: "Das ist der schwerste Brief, den ich schreiben muß, denn er bedeutet Abschied für immer", teilte Samuel Spindler seiner Tochter Fanni mit.

"Warum ich mein Leben selber beenden muß? Es ist die alte Geschichte: Nachdem ich den Nachweis über die arische Abstammung meiner Mutter nicht erbringen kann, führt mich die Gestapo als Volljuden und soll ich morgen abreisen. Wohin weiß ich noch nicht, jedenfalls in irgendein Lager. Wäre ich gesund, so würde ich euch zuliebe auch den Kampf mit diesem Leben aufnehmen, aber mit meinem kranken Körper unter ganz fremden Menschen, ich bringe den Mut zum Weiterleben nicht mehr auf. Was mir am meisten zu schaffen macht, ist dein ungeklärtes Schicksal, in welchem ich dich zurücklassen muß."

Die Ermordung der Juden

Die jüdische Gemeinde in Hohenems war vernichtet. Und blieb es bis in die Gegenwart. Selbst wenn sie heute wieder im Zentrum von Hohenems steht: Im frisch renovierten Jüdischen Museum, dem mit seiner vergangene Woche eröffneten neuen Dauerausstellung gelingt, was viele andere Museen nicht einmal versuchen: ein Brückenschlag von der Vergangenheit in die Gegenwart jüdischen Lebens.

Erstmals werden dabei auch Themen aufgearbeitet, die laut Museumsdirektor Hanno Loewy sonst kaum diskutiert werden. Etwa das Spannungsverhältnis, in dem assimilierte Rabbiner zwischen Antisemitismus und jüdischer Orthodoxie stehen. Oder der Konflikt zwischen den hunderten, im französisch besetzten Hohenems zwischengesiedelten, streng orthodoxen Holocaust-Überlebenden und den Einheimischen. Oder das Minderheiten-Mehrheiten-Problem aus einer etwas anderen Sicht heraus: Im jüdischen Viertel wurden nach dem Krieg Gastarbeiter angesiedelt. So waren zwar die Juden weg, doch "die anderen" blieben - diesmal eben Türken.

Am Anfang der jüdischen Geschichte jedoch stand das Jahr 1617: Aus wirtschaftlichem Kalkül stellte Graf Kaspar von Hohenems zwölf wohlhabenden jüdischen Familien einen Schutzbrief aus - gegen Bezahlung von Schutzgeld. Ähnlich wie in Eisenstadt, wo die jüdische Gemeinde unter dem Schutz der Fürsten Esterházy stand, waren die Hohenemser Juden danach von der fanatischen Willkür des katholischen Antijudaismus weitgehend verschont. Zwar kam es zwischen 1647 und 1676 auch in Hohenems zu Vertreibungen und Plünderungen, doch wurden die Juden nicht wie andernorts massenweise erschlagen oder verbrannt - weil sie Brunnen mit Pesterregern vergiftet, Hostien geschändet, Christenkinder rituell geopfert oder andere Gräueltaten begangen hätten, wie katholische Priester damals von den Kanzeln herunter logen.

Die Blüte von Hohenems

Juden hatten in Hohenems tatsächlich eine Chance. Und dank der von Triest über Zürich bis Frankfurt reichenden Beziehungen jüdischer Unternehmer verwandelte sich die Ortschaft in diesem Land der Bauern, Handwerker und Herrgottschnitzer allmählich in ein prosperierendes Handelsstädtchen. Benjamin Löwengard eröffnete die erste Baumwollspinnerei, die von der Familie Rosenthal erworben und zu einem weltweiten Unternehmen ausgebaut wurde. Neben der Textilindustrie wurde auch das Bankenwesen von jüdischen Geschäftsleuten aufgebaut. Hohenems blühte auf. Und erhielt endlich eine Synagoge, in die auch Juden aus der Schweiz kamen.

Heute müssen Vorarlberger Juden, so sie ein Gotteshaus besuchen wollen, in die Schweiz pilgern, erklärt Museumsdirektor Hanno Loewy der Furche. Denn der Hohenemser Tempel überlebte zwar die Novemberprogrome, nicht aber den Wiederaufbau nach dem Weltkrieg: Die Hohenemser Feuerwehr brauchte schließlich ein Zuhause.

Neben dem wirtschaftlichen Aufstieg kam der intellektuelle. Es wurden ein Synagogenchor und die Museumsgesellschaft für Vorarlberg gegründet, das vom Juden Jakob Kitzinger Ende des 18. Jahrhunderts als "Kaffeeausschank nebst Billard" eröffnete Café, das erste in Vorarlberg, wurde Treffpunkt des Literatur-, Kunst- und Wissenschaftsvereins "Concordia". Und die jüdische Schule hatte bald einen derart guten Ruf, dass sich selbst Christen getrauten, ihre Sprösslinge dort unterrichten zu lassen.

1860 zählte die jüdische Gemeinde Hohenems mehr als 530 Mitglieder, was einem Sechstel der Bevölkerung entsprach. Das Viertel um die Judengasse, die heutige Schweizerstraße, war freilich strikt vom großen katholischen Viertel um die Christengasse, die heutige Marktstraße, getrennt. Dennoch waren die Hohenemser Juden wie kaum woanders assimiliert. Gebete wurden in deutscher Sprache gesprochen, Geschäfte hielten auch am Sabbat offen und jüdische Metzger verkauften Schweinefleisch von Schweinen, die von jüdischen Bauern gezüchtet wurden.

Spuren in Museum

Das Staatsgrundgesetz von 1867 und die damit verbundene freie Wahl des Wohnorts für Juden führten dann zu einer starken Abwanderung. 1935 zählte die jüdische Gemeinde nur noch 35 Mitglieder. Dann kam 1938.

Heute leben in Hohenems nur noch zwei Juden. Dennoch dürfe laut Loewy der "hohe Grad der Internationalisierung der Vorarlberger Juden nicht außer Acht" gelassen werden. Hier reichten die Spuren in heute wieder blühende jüdische Gemeinden in Italien, Deutschland, der Schweiz und den USA. Ganz abgesehen von Israel. So trägt das Museum nun der Geschichte der Hohenemser Juden in ihrer europäischen und internationalen Dimension Rechnung.

Jüdisches Museum Hohenems

Villa Heimann-Rosenthal

Schweizer Straße 5, 6845 Hohenems

www.jm-hohenems.at

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10-17 Uhr

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