„Nur Verhandlungen können Taliban befrieden“

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Bei der dieswöchigen Afghanistan-Konferenz in London will Präsident Karzai ein Programm zur Befriedung der Taliban präsentieren. Experte Michael Semple sieht darin eine Friedenschance.

Der 46-jährige Ire Michael Semple spricht Paschtu, Dari und Urdu und gilt als einer der intimsten Kenner Afghanistans. In den 1980er Jahren leitete er in Kabul eine Hilfsorganisation. Später arbeitete er dort für die UNO, als Berater der britischen Botschaft und stellvertretender EU-Sonderbotschafter. Seit 2009 forscht er am Carr Center für Menschenrechtspolitik der Universität Harvard zu Verhandlungslösungen des Konflikts mit den Taliban.

Die Furche: Herr Semple, ist Karsais angekündigtes Integrations- und Versöhnungsprogramm mit den Taliban ein Fortschritt?

Michael Semple: Es ist gut, dass er Farbe bekennt und dies international unterstützt wird. Karsai will den Eindruck erwecken, dass es sich um eine besser gehandhabte und ausgestattete Version des Programms von 2005 handelt. Die Taliban sollen für Geld und Jobs ihre Waffen niederlegen. Sie sollen dafür keinen politischen Einfluss bekommen, aber Garantien für ihre Sicherheit und den Lebensunterhalt. Denn wer die Taliban verlassen will, muss um sein Leben fürchten. 2005 gab es weder Schutzmaßnahmen noch Mittel für den Lebensunterhalt.

Die Furche: Gibt es moderate oder versöhnungsbereite Taliban?

Semple: Ich spreche von pragmatischen Taliban. Die religiöse Haltung – moderat oder strikt – ist irrelevant im Vergleich zur Frage, wer bereit ist, politisch zu verhandeln. Im Nordirland-Konflikt etwa ist Gerry Adams ein Hardliner, aber eben pragmatisch genug zu sehen, dass eine politische Strategie erfolgversprechender ist als der bewaffnete Kampf. So gibt es auch pragmatische Taliban - bis hinein die Führung.

Die Furche: Macht die Führungsebene mit?

Semple: Um solche Konflikte zu beenden, gibt es grundsätzlich drei Methoden: Militär, Geld und Politik. Militär wird schon eingesetzt. Jetzt wird es auch mit Geld versucht. Reintegration ist nur eine Art der Aufstandsbekämpfung. Für die höhere Ebene bräuchte es ernsthafte politische Verhandlungen, wofür es bisher keinen Plan gibt.

Die Furche: Die Taliban fordern vor Verhandlungen den Abzug aller ausländischen Truppen, die Regierung wiederum will die Anerkennung der Verfassung.

Semple: Die Forderungen sind Unsinn: Die ausländischen Truppen würden nur zu gern abziehen, gäbe es keinen Aufstand mehr. Umgekehrt haben die Taliban aus ihrer Herrschaft Lehren gezogen. Ihr Regime war schlicht zu unbeliebt. Deshalb geben sie sich jetzt nationalistisch und mobilisieren gegen die ausländischen Truppen. Nach deren Abzug käme es zum Bürgerkrieg, doch würden die heute wesentlich wohlhabenderen Fraktionen einen Taliban-Sieg verhindern. Die Frage ist: Wann sehen die Pragmatiker bei den Taliban, dass sie lieber Teil des Systems werden sollten? Umgekehrt ist auch die Verfassung nicht sakrosankt. Die Regierung bricht sie selbst nach Belieben. Es geht nicht darum anzuerkennen, dass die Verfassung nicht geändert werden darf, sondern dass nicht alles mit Gewalt zu ändern versucht wird. Viele Taliban können nur durch ein Arrangement befriedet werden und nicht durch bloße Kapitulation.

Die Furche: Der US-Verteidigungsminister fordert eine Teilnahme der Taliban an Wahlen, der deutsche Verteidigungsminister ihre Regierungsbeteiligung.

Semple: Es geht weniger darum, dass Taliban bei Wahlen kandidieren, als dass sie Wahlen akzeptieren und Wähler nicht einschüchtern. Es gibt schon sechs von den Taliban unterstützte Abgeordnete. Die Beteiligung von Taliban an der Regierung macht mehr Sinn. Bei einer Verhandlungslösung müssten Taliban aber auch in Institutionen integriert werden wie die Justiz, zumindest in den Taliban-Hochburgen.

Die Furche: Sollte es nicht Prinzipien geben, die nicht verhandelbar sind?

Semple: Wer sich für Menschen- und Frauenrechte sowie Rechtsstaatlichkeit einsetzt, befürchtet bei einer Integration der Taliban den Verlust aller Fortschritte seit 2001. Das ist berechtigt, doch ist die Integration der Taliban nicht die Hauptbedrohung für Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan. Die Taliban haben kein Monopol auf den Konservativismus. Als Karsai 2009 das schiitische Familiengesetz durchsetzte, (das Frauen verbietet, das Haus ohne Genehmigung ihrer Männer zu verlassen, und Letzteren einen Rechtsanspruch auf regelmäßigen Geschlechtsverkehr gibt, Red.) gab es liberalere Alternativen. Doch Karsai wollte schiitischen Geistlichen gefallen. Meine Gespräche ergaben nicht, dass im Tausch für ein Ende der Kämpfe alle Schrecken der Talibanzeit wiederkommen. Die Taliban wollen ihre Fehler nicht wiederholen. Sie streben sicher eine konservative Atmosphäre an, aber nicht mehr ein Bildungsverbot für Frauen. Das dürfte den USA ihrerseits ermöglichen, auf Garantien zu bestehen, dass Afghanistan nicht wieder zur Basis des internationalen Terrorismus wird.

Die Furche: Warum sollten die Taliban verhandeln, wenn sie stärker werden, in westlichen Ländern die Militärintervention immer unbeliebter wird und US-Präsident Obama schon einen Termin für den Abzugsbeginn ankündigt?

Semple: Seit Obamas Ankündigung spielt der Zeitfaktor in der Tat eine Rolle im Kalkül der Taliban. Das gibt Hardlinern Auftrieb. Eine Verhandlungslösung gibt es erst, wenn alle Seiten einsehen, dass es keinen militärischen Sieg gibt. Vielleicht kommen wir da nie hin. Ein Bürgerkrieg ist nach einem Abzug ausländischer Truppen wahrscheinlich, aber kein Sieg der Taliban. Eine Verhandlungslösung ist deshalb für alle am aussichtsreichsten.

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