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Die populärste Form, Öffentlichkeit zu simulieren, ist im medialen Zeitalter gewiss die Talk-Show. Die tägliche Beichte, abgenommen vor Kamera und Mikrofon, mit einem Talkmaster als enthemmtem Beichtvater, verbindet Millionen, ohne ihnen eine andere Gemeinschaft als die von Konsumenten desselben Programms zu gewähren. Wo die Beichte im Fernsehen organisiert wird, dort geht den sonst Sprachlosen zuverlässig der Mund vor intimen Bekenntnissen über. Es ist freilich ein Signum der Epoche, dass die Leute gerade dort, wo sie ihr Innerstes preizugeben glauben, den anderen zum Verwechseln ähneln. Just, wenn sie ihr großes Lebensgeheimnis offenbaren, zeigt sich, dass dieses nichts als ein Gemeinplatz ist. Wer die Obszönität des Geschehens einmal studieren möchte, dem empfehle ich die tägliche Barbara-Karlich-Show im ORF, eine serielle Form von öffentlicher Selbstdemütigung, die übrigens unter reger Anteilnahme von zwei Psychotherapeuten stattfindet, denen ich, hätte ich in der Standesvertretung dieser Berufsgruppe was zu reden, die Befugnis, ihr Amt auszuüben, schlicht entziehen würde.

Aber Gott sei Dank habe ich da nichts mitzureden, und darum werden sie alle auch immer nur weiter und weiter reden. Aus dem alten Gebot, dass man gelegentlich schweigen müsse, ist längst die Anweisung geworden, dass es nichts gebe, worüber man sich ausschweigen dürfe. Die allgemeine Bekenntnispflicht erzeugt ihren eigenen Lärm, dem wir uns nicht entziehen können, wie wir uns dem Lärm einer Durchzugsstraße auch dann nicht entziehen können, wenn wir selber nicht Auto fahren. Geistig hausen wir alle längst an einer Durchzugsstraße, deren Lärm durch uns selbst, durch unsere Gedanken und Gefühle zieht.

Vom Autor ist kürzlich das Journal "Von nah, von fern" erschienen.

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