Öffentlich im Verborgenen

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Kulturrevolution ist längst nicht mehr. Aber von wirklicher (religiöser) Freiheit kann auch noch keine Rede sein. Impressionen von einer Fahrt in die chinesische Provinz.

Zweitausend Menschen passen locker in einen der Schnellzüge von Peking gen Süden. Plätze in den in hoher Frequenz verkehrenden Garnituren sind dennoch rar. In übervollen Zügen hält sich das Vergnügen einer mehrstündigen Fahrt von Peking in die Provinz und vice versa ordentlich in Grenzen. Ebenso die Weiterreise im Bus von der Millionenstadt mit der Bezirksverwaltung in die kaum 100 Kilometer entfernte #Kleinstadt# mit einer sechsstelligen Einwohnerzahl.

Dennoch beeindruckt die bewältigte Logistik, Millionen Reisende von der und zur Hauptstadt zu bewegen. Auch die Busfahrt lässt trotz der anarchischen Fahrweise eines Konglomerats von Schwerverkehr, Bussen, Autos, Kleinfahrzeugen und Fahrrädern den Europäer staunen: Wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt ist eine derartig ausufernde Bautätigkeit zu beobachten, wie im boomenden China. Straßen zuhauf, die auf sechs bis acht Spuren verbreitert werden, dann Betonstelzen, die bald unüberschaubare Autobahnkilometer tragen werden. Daneben Wohnsilos in Bau, die Lebensraum für Abertausende bieten sollen.

Nur angedeutet werden kann dies alles und die Gleichzeitigkeit, dass bei näherem Hinsehen nicht nur der Boom ins Auge sticht: Denn mit jedem Blick in einen Hinterhof bleibt auch die grassierende Armut sichtbar. In Peking mag das weniger augenfällig sein, am durchaus auch übervölkerten #Land# ist das nicht zu verbergen.

Mitten in der #Kleinstadt# ragt aus staubigem Grund eine Kirche empor: In den 1920er-Jahren erbaut, hat sie die Kulturrevolution überdauert und zeugt davon, dass heute bescheidene Lebendigkeit des Christentums sichtbar ist. Solange die Gläubigen wenig auffallen, kann religiöses Leben mehr oder weniger ungehindert stattfinden. Die Kirche ist ein öffentliches Zeichen christlicher Präsenz; und doch ist diese Öffentlichkeit mit Verborgenheit, besser: Verschwiegenheit gepaart. Solange man im Privaten bleibt, gibt es kaum Schwierigkeiten. Aber schon ausländischer Besuch kann Aufpasser auf den Plan rufen. Als Europäer in dieser Stadt erfährt man, dass sich fast alle, denen man begegnet, umdrehen. Ausländer sieht man hier offenbar nach wie vor sehr selten.

Eine delikate Lage

Obwohl die Zeiten des Hardcore-Maoismus längst vorbei sind: Die Partei und deren Bürokratie herrschen weiter. Was diese unbehelligt lassen, kann sich entwickeln # auch in Religionssachen. Aber keiner weiß, ob und wann dies wieder gestoppt wird. Eine delikate Lage, wenn auch nicht ohne Hoffnung.

Hinter der Kirche befinden zwei moderne Gebäude, eines ist das Provinzialat einer Schwesterngemeinschaft, das andere ein Altersheim für Menschen, die keine Familie haben: Traditionell ist die Altensorge Familiensache und -pflicht. Doch wenn es die Familie nicht mehr gibt, ist es schwer, das Dasein zu fristen: Darum ist ein Altenheim ein wichtiges Haus; die Schwestern, die es führen, nehmen den Behörden diese #Sozialfälle# ab. Soziales Engagement #legitimiert# auch die katholischen Schwestern, der Staat braucht es wie auch finanzielle Unterstützung von auswärts: In die Projekte der Schwestern ist schon einiges Geld aus Österreich geflossen.

Ein paar Straßen weiter führen die Schwestern ein Haus für behinderte Kinder. Schon wenige Jahre nach dem Beginn der wirtschaftlichen Öffnung Chinas 1979 hat es die Neu-Gründerin der Schwesterngemeinschaft aufgebaut. Behinderte bedürfen in China besonderen Schutzes: Zum einen gelten sie traditionell kaum etwas. Zum anderen hat die Ein-Kind-Politik dazu geführt, dass Behinderte ausgesetzt werden, auch von Kindstötungen hört man. Schließlich, erzählen die Schwestern, fehlt vielen Eltern Geld oder Knowhow, sich um diese Kinder zu kümmern.

Ein Mädchen hat man vor 14 Jahren in einem Schweinestall gefunden, wo es mit den Tieren gelebt hat # unfähig zu sprechen und aufrecht zu gehen. Dieses Mädchens haben sich die Schwestern angenommen und ihr den Namen Ye Fanfan # #die sehr Stille# # gegeben, auch heute noch spricht der Teenager nicht. Oder die quirlige Wei Guhong, sechs Jahre alt, die nicht gehen kann und mit ihrem aus einem Plastiksessel gebastelten Rollstuhl herumsaust: Nur aufgrund ihrer Gehbehinderung kann das intelligente Mädchen keine öffentliche Schule besuchen, eine Rollstuhlfahrerin ist dort nicht vorgesehen. Die Schwestern betreuen sie auch als Lehrerinnen.

Kinder sind keine #U-Boote# mehr

Zum Teil sind die Betreuungsmöglichkeiten in diesem Heim sehr einfach, aber die Schwestern melden die Kinder und Jugendlichen bei den Behörden an: Ihre Familien machten das oft nicht # so waren diese Kinder #U-Boote# ohne medizinische Versorgung oder die Möglichkeit zum Schulbesuch.

Beharrlichkeit ist eine der herausragenden #säkularen# Eigenschaften der Schwestern: In der Mao-Zeit saß die mittlerweile verstorbene Neu-Gründerin des Ordens im Gefängnis. Was sie danach auf die Beine stellte, kann sich sehen lassen: Etwa 100 chinesische Schwestern gehören der Gemeinschaft heute wieder an. Sie leisten einen Dienst, den der Staat nicht leistet # oder leisten kann.

Ihre Mitte finden die Schwestern aber nicht in der Sozialarbeit, sondern in der Form ihres #Gott geweihten# Lebens. Ihr spirituelles Leben sei essenziell # und daran müsse noch gearbeitet werden, meint die Oberin der Schwestern. Gemeinsames Gebet in der Früh, zu Mittag und am Abend strukturiert in dieser geistlichen Gemeinschaft den Tag. Die Ästhetik der Nazarener-Schule, welche die religiösen Bilder hier atmen, mag gewöhnungsbedürftig sein. Aber das Engagement dieser Ordensfrauen ohne Tracht ist authentisch.

Es spricht nicht fürs politische System, dass sich der Besucher hier nach wie vor nicht offen zeigen kann # und auch die Berichte über das, was er hier gesehen und erlebt hat, im Ungefähren belassen muss: China ist in gesellschaftlicher Normalität (und gar in der Freiheit) noch lange nicht angekommen.

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