Öffentliche Akzeptanz als „netter Nebeneffekt“

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Die Zeugen Jehovas haben in der öffentlichen Wahrnehmung das Etikett der Sekte abgestreift und führen das auf ihre Anerkennung zurück. Doch auch inhaltlich hat sich einiges verändert. Das war auch beim Internationalen Kongress sichtbar, zu dem sich 40.000 „Zeugen“ im Wiener Ernst-Happel-Stadion versammelt hatten.

F lorian Pop steht triefnass in Unterhosen vor 40.000 Menschen. Trotzdem fühlt er sich gut. Der 37-Jährige hat sich gerade taufen lassen – in einem Swimmingpool mitten im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Pop ist Zeuge Jehovas, oder wie er selbst sagen würde: Er lebt „in der Wahrheit“. Vor fast 20 Jahren kam Pop nach Österreich. Aufgewachsen war er in Rumänien, wo er in einer Zeugen-Familie unter der Unterdrückung der Sowjetunion zu leiden hatte. Damals, als Jugendlicher, zweifelte er. Pop lebte über 15 Jahre lang ohne „die Wahrheit“, bis er – wieder über seine Familie – zurückfand. Am vergangenen Samstag ließ er sich zusammen mit 239 anderen Gläubigen unter dem Applaus von 40.000 Zeugen aus aller Welt beim internationalen Kongress in Wien taufen. „Meine halbe Familie lebt in der Wahrheit“, sagt er danach, „es war nur eine Frage der Zeit, bis mein Herz bereit war.“ Doch nicht nur Florian Pop hat sich in den letzten Jahren verändert. Auch die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas selbst hat entscheidende Entwicklungen durchlebt. Entwicklungen, die sich auch in aktuellen Medienberichten widerspiegeln.

Über den Kongress im Happel-Stadion berichteten alle großen österreichischen Medien, egal ob Fernsehen, Radio oder Print. Das Wort „Sekte“ fand sich allerdings nur sehr selten in der Berichterstattung wieder. Im Gegenteil: Stets wurde betont, dass die Zeugen Jehovas seit Mai 2009 zu den „gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften“ in Österreich gehören. Dabei ist es noch nicht allzu lange her, dass sie ganz selbstverständlich mit dem umstrittenen Begriff der Sekte bedacht wurden, ja sogar als Sinnbild der Sekte schlechthin galten. Wenn über Jehovas Zeugen berichtet wurde, dann meist über Probleme mit Aussteigern oder die Ablehnung von Bluttransfusionen. Dass sich das durch das Etikett des höheren gesetzlichen Status schlagartig geändert haben soll, ist höchst zweifelhaft.

Franz-Michael Zagler, Mitarbeiter des Presse-Büros beim Kongress, bringt die Anerkennung dennoch in direkten Zusammenhang mit der positiveren Berichterstattung in den Medien. „Vorher hatten wir meist negative bis neutrale mediale Reaktionen. Seit wir anerkannt sind, liegen die meisten Berichte zwischen neutral und positiv.“

„Wurden ins Sekteneck gedrängt“

Außerdem, so Zagler, würden die Zeugen selbst öfter befragt und nicht, wie früher, bloß Aussteiger und Kritiker. „Wir wurden ins Sekteneck gedrängt, obwohl wir schon seit zehn Jahren den Status einer ‚eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft‘ hatten.“

Aber nicht nur ihr gesetzlicher Status, sondern auch die Zeugen selbst haben sich verändert. Vor nicht allzu langer Zeit war beispielsweise ihr Glaube an die Auswirkungen des Weltuntergangs noch wesentlich rigider formuliert. Entweder man war Zeuge Jehovas, oder dem Untergang geweiht. Diese Formulierung hat sich in der jüngeren Vergangenheit entschieden verändert. Zunächst wurde Nicht-Zeugen, die ein richtiges Leben nach der Bibel führen, die Möglichkeit der Rettung zugestanden, mittlerweile lautet die offizielle Kommunikation, so Zagler, sogar: „Wir können uns nicht anmaßen, darüber zu richten. Das kann nur Gott allein. Und Gott sieht, wer das Herz am rechten Fleck hat.“ Dazu passt auch das Thema des Haupt-Vortrags beim Kongress am Sonntag, der sich dezidiert an die Öffentlichkeit richtete: „Wie kann man das Ende der Welt überleben?“

Ein ähnliches Beispiel ist die umstrittene Ablehnung von Bluttransfusionen der Zeugen Jehovas. Auch hier wurden die genauen Bestimmungen im Jahre 2000 adaptiert. Obwohl die Gemeinschaft die Verwendung von Fremdblut bei Operationen nach wie vor ablehnt, werden Mitglieder, die sich – egal ob bewusst oder unbewusst – nicht daran halten, seit damals nicht mehr automatisch ausgeschlossen. Doch nicht nur in der Formulierung von Glaubensgrundsätzen, sondern auch in der täglichen Praxis der Zeugen Jehovas habe sich einiges verändert, erzählt Zagler. Man trete heute etwa bei Hausbesuchen bewusst weniger penetrant und aufdringlich auf als noch vor einigen Jahren. „Menschen, die von einer Sache überzeugt sind, können den Bogen leicht überspannen“, gibt er zu. „Das wollen wir jetzt vermeiden.“

„Keine Verwässerung des Glaubens“

Der Umschwung in der Rezeption von Jehovas Zeugen vom Inbegriff der Sekte zu einer mehr oder weniger respektierten und akzeptierten religiösen Gemeinschaft hat sicherlich auch mit derartigen Veränderungen zu tun. Die Zeugen haben gelernt, sich besser darzustellen, sich besser zu verkaufen, und das spiegelt sich auch in den Medienberichten wider. Es sei aber, so Zagler, bloß ein Nebenprodukt der Veränderungen, nicht ihr Grund. Das Führungsgremium in Brooklyn befasse sich ständig mit der Bibel und mit der genauen Auslegung gewisser Undeutlichkeiten und gebe dementsprechende Direktiven heraus. Die Zeugen Jehovas passen sich also offiziell nicht den Anforderungen ihrer Umwelt an, sondern entwickeln ihre Lehre nach neuesten Erkenntnissen ihres Führungsgremiums weiter. „Das sind keine Verwässerungen des Glaubens, sondern notwendige Anpassungen an die Umstände und Herausforderungen der aktuellen Zeit.“ Dass damit ein höherer Grad an Akzeptanz in der Gesellschaft einhergeht, ist, so Zagler, „ein netter Nebeneffekt“.

Die fast nicht vorhandenen Bemühungen zur Ökumene könnte man durchaus als ein Indiz für die Richtigkeit dieser Aussage werten. Denn trotz aller Bewegung der Zeugen Jehovas in Richtung Mainstream – ob bewusst oder als „netter Nebeneffekt“, den Dialog mit anderen Glaubensrichtungen lehnen sie nach wie vor ab. „Wir könnten uns in einzelnen Punkten wohl durchaus mit anderen Bekenntnissen einig werden“, so Zagler, „aber wir sehen den Sinn der Sache nicht, wenn wir dann schon beim dritten Satz zu diskutieren beginnen müssten.“ Dennoch hätten die Zeugen genug Kontakt zu Mitgliedern anderer Glaubensrichtungen. „Wir treffen die Menschen persönlich, bei unseren Hausbesuchen oder auf der Straße“, erzählt Zagler. „Unsere Ökumene ist die Mission.“

Der Kongress am vergangenen Wochenende ist dementsprechend auch nicht unbedingt als eine an die Außenwelt gerichtete Werbe-Aktion für Jehovas Zeugen konzipiert, sondern eher als eine Veranstaltung zur Festigung ihres Zusammengehörigkeitsgefühls nach innen. Die Veranstaltung findet 33-mal in 18 verschiedenen Ländern statt, überall in exakt der gleichen Form. „Deshalb können wir ja auch sagen, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen“, erklärt Zagler. Den „Nebeneffekt“ der positiven Rückmeldungen nimmt man wohl trotzdem gern in Kauf.

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