Öffentliche Intimität

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Von der Leihstelle zur umfassenden Informationsrecherche. Die Eröffnung der neuen Hauptbücherei am Wiener Gürtel.

Man flaniert in der Bibliothek, aber die U-Bahn bleibt in vielerlei Hinsicht präsent. Beim Blick aus dem prächtigen Nordflügel gleitet sie wie eine Märklin-Bahn dahin.

In der U-Bahnstation dreht sich das Schauspiel um. In der Nähe der alten Stadtbahnstation wird der Blick frei nach oben, dort wo die Bibliothek ihre mächtige Glasfront kühn nach Norden streckt. Der vordere Stationsbereich ist zugleich das Entrée zur Bibliothek. Ein kurzer Wechsel der Lifte und schon ist man per Knopfdruck oben im Bibliotheksfoyer, in der Internetgalerie oder im Bibliothekscafé. Wer, wie die meisten Passanten, die Treppen hochsteigt, kommt in eine imposant hohe U-Bahnhalle. Eine Rolltreppe überwindet zwei Stockwerke, um die Besucher bequem in die Bibliothek zu bringen. Eine Bibliothek, die so direkt mit der U-Bahnstation zusammenfügt ist, gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.

Schienen zum Buch

Noch in anderer Hinsicht ist das Gebäude für den Öffentlichen Verkehr eine Besonderheit. Am Urban-Loritz-Platz enden die Straßenbahnlinien 6 und 18. Ihre Umkehrschleife unterbricht das Bibliotheksgebäude, als ob sich die Straßenbahn gewaltsam durch das Erdgeschoss der Bibliothek hindurchzwängen müsste. Direkt darüber liegt das Bibliotheksfoyer mit den hohen, schmalen Fensteröffnungen, von denen aus sich das kuriose Spektakel beobachten lässt.

Die neue Hauptbücherei besticht nicht nur durch ihre Zugänglichkeit und die tollen Blicke auf Wien, sie glänzt auch durch ihr Angebot an alle Altersstufen und sozialen Gruppen. 240.000 Bücher und 60.000 audiovisuelle Medien in direkter Zugänglichkeit sind ein Novum für Wien. Wohl sortiert liegen die einzelnen Wissensgebiete bereit, anregend und verführerisch durch die Quantität und Qualität der Bestände. Das so genannte Bestsellerservice will unterstreichen, dass die Hauptbibliothek immer à jour ist. Innerhalb eines Monats soll das Publikum auf alle neuen Bestellungen zugreifen können.

Im Architekturwettbewerb zur neuen Hauptbücherei war "Erlebnishaftigkeit" gefordert. Die Büchereien Wien wollten keine durchgehenden, riesigen Flächen, sondern eine interessant gestaltete Architektur, in der Intimität und Konzentration möglich werden, in der aber auch die notwendigen Durchgangszonen vorhanden sind. Natürliches Licht in den Innenräumen sollte vereinbar sein mit einer gewissen Abgeschlossenheit gegenüber dem Gürtelverkehr. Die größte Herausforderung an den Architekten lag in der Gestaltung des langgestreckten Bauplatzes. Mit der architektonischen Lösung, die das Projekt Ernst Mayrs eingebracht hat, wird den unterschiedlichen Anforderungen bestens entsprochen. Mit seinen vielfältigen Sichtbeziehungen, den sechs Erkern und der Lichtführung unterhält der Bau einen raffinierten Kontakt mit der Gürtel-Außenwelt.

Fauteuils an der Glasfront

Ein Teil der Besucher wird in die Bibliothek kommen, um sie traditionell als Leihstelle zu nutzen. Aber ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums wird die Bibliothek als Ort des Studiums, der Informationsrecherche und des Schmökerns in Anspruch nehmen. Insgesamt gibt es in der neuen Bibliothek 150 Leseplätze. Vorne an der Glasfront laden Fauteuils ins Bibliothekswohnzimmer, gleich daneben ist eine kleine klassische Studienbibliothek untergebracht. Nischen in allen Abteilungen sorgen dafür, dass sich Leserinnen und Leser vom Publikumsstrom zurückziehen können. Ein Erker im Kindermedienzentrum bietet Platz für kleine Gruppen. In die große Eingangshalle integriert ist ein Lesebereich für Tageszeitungen und Magazine. In der schönen Jahreszeit bietet auch die Dachterrasse mit der prächtigen Aussicht Anreiz, bereits entliehene Bücher gleich anzulesen. Alle Bibliotheksbesucher sollten in dieser vielfältigen Bibliothekslandschaft ihren Platz finden können.

Lernen, Arbeiten, Recherchieren, Musik hören, Computer benutzen, Freunde treffen, einen Nachmittag alleine oder mit der Familie in der Bibliothek verbringen, durch die Bibliothek flanieren - das alles ist möglich und macht den besonderen Reiz der neuen Hauptbücherei aus.

Wie schaut eine neue große öffentliche Bibliothek im Jahr 2003 aus? Welche Rolle spielen Internet, Datenbanken und CDRoms, die neue Informationsquellen im virtuellen Raum erschließen? Die neue Hauptbücherei gibt ihre Antwort darauf. In der Berufswelt und in der Freizeit hat das Buch Konkurrenz bekommen. Den nach Informationen suchenden Menschen interessiert nicht mehr, ob die gewünschte Information gedruckt (etwa in einem Nachschlagewerk), auf einer CD-ROM-Datenbank oder im Internet zu finden ist.

Es hat in der Planung der Angebote eine Diskussion darüber gegeben, ob wir die AV-Medien und die Internetnutzung in einem Bereich konzentrieren oder in die jeweiligen Abteilungen integrieren sollten. Wir haben uns für die zweite Variante entschieden, weil sie uns für die moderne Form der Mediennutzung passender erscheint.

Die neue Hauptbücherei ist jedenfalls gespickt voll mit neuer Technologie. Die 100 öffentlich zugänglichen Internet-PCs sind an das Wiener Bildungsnetz angeschlossen. Mit den OPAC-Schirmen für die Katalogrecherche steigt die Zahl der Publikumscomputer auf 130 Stück an.

Modernste Technologie

90 CD-ROM-Datenbanken werden angeboten, die via CD-ROM-Server an 50 Arbeitsplätzen der Bibliothek thematisch gegliedert genutzt werden können. Zur weiteren Erschließung der Wissensgebiete lassen sich an denselben Geräten die thematisch gesammelten Links bzw. einschlägige Suchmaschinen im Internet verwenden. Plätze mit DVD-Playern und Videorecordern ermöglichen es, Filme in der Bibliothek anzuschauen. CD-Player und Kassettendecks erlauben den Hörgenuss in der Bücherei.

Die Buchtransportanlage sorgt dafür, dass die Bücher bei der Rückgabe schnellstens vom Bibliotheksfoyer weggeräumt werden. Die größte Attraktion ist sicher die neue Selbstverbuchung mittels Radiotranspondertechnologie. So einfach war Entlehnen noch nie.

Der Autor ist Leiter der Büchereien Wien.

geöffnet ab 8. April: Mo-Fr 11-19, Sa 10-14 Uhr

1070, Urban-Loritz-Platz

Info: 4000-84500 oder www.buechereien.wien.at

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