Ökopunkte und EU-Maschinerie

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Kompliziert und anders als in den Staaten funktioniert die EU-Gesetzgebung. Wie die Dinge laufen, erläutert ein Insider am Beispiel Alpentransit.

Würde man in einer Umfrage abtesten, wie Europas Gesetze entstehen, das Ergebnis wäre verheerend. Weniger als ein Prozent der Befragten wäre in der Lage auch nur annähernd das Werden europäischer Gesetze wiederzugeben. Dies ist keine Schande, denn er ist tatsächlich sehr kompliziert. Auch ist die europäische Legislative mit der staatlichen nicht vergleichbar. Unbekannt ist den meisten Europäern sogar, dass 70 bis 80 Prozent aller Gesetze in Brüssel beschlossen werden - und über ihrem nationalen Recht stehen. Nur wenn sich die Bevölkerung von einer Entscheidung hautnah betroffen fühlt, flackert kurz Interesse am Gesetzwerdegang auf.

In Österreich hat die noch laufende Auseinandersetzung um die Transitfrage große Anteilnahme erzeugt. An ihr lässt sich das Entstehen europäischer Gesetze exemplarisch nachvollziehen. Es geht darum, dass eine sogenannte Ökopunkteregelung der EU (auch Transitvertrag genannt) 2003 ausläuft. Die erforderliche Nachfolgelösung sieht sich vor gegensätzliche Interessen gestellt: Die EU-Kommission will möglichst unbeschränkten Transitverkehr durch die Alpen, Österreich hingegen seine sensiblen Alpenregionen und die dort lebenden Bürger schützen.

Die Vorgeschichte: Noch bevor Österreich die EU aufgenommen wurde, ist im Protokoll Nr. 9 der Beitrittsakte Österreichs zur EU vertraglich festgelegt worden, dass die NOx-Gesamtemissionen von Lkws beim Transit durch Österreich zwischen 1. Januar 1992 und 31. Dezember 2003 mit Hilfe des so genannten Ökopunktesystems (Regelung zur Begrenzung bestimmter Emissionen von Lkws im Transitverkehr durch Österreich) dauerhaft und nachhaltig um 60 Prozent reduziert werden müssen.

Dieses Protokoll sieht auch vor, dass die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit der Europäischen Umweltagentur vor dem 1. Januar 2001 eine Studie durchführt, um festzustellen, inwieweit tatsächlich die Umweltbelastung reduziert wurde. Diese Studie kam zur Ansicht, dass mit der Ökopunkteregelung das Ziel knapp nicht erreicht wurde. Die Kommission interpretierte jedoch das Ergebnis dahingehend, dass der Lkw-Transit durch das Inntal nicht die alleinige Ursache für die Zielverfehlung sei und man die im Ökopunktesystem verankerte Mengenbeschränkung (108 Prozent Klausel) fallen lassen sollte.

Die Kommission - (sie hat das Initiativrecht für Verordnungs- und Richtlinienvorschläge, die dann dem Parlament vorzulegen sind und zuletzt vom Rat beschlossen werden können) - preschte dann mit einem Vorschlag vor, der die sofortige Abschaffung der Durchfahrtsbeschränkungen bezweckte. Dabei hatte die Ökopunkteregelung in dieser Form ohnehin nur noch ein Jahr Gültigkeit.

Im Parlament wurde dieser Kommissionsvorschlag zwei Arbeitsgremien, dem Verkehrs- und dem Umweltausschuss zugewiesen - im sogenannten Hughes-Verfahren. Dieses besagt, dass beide Ausschüsse annähernd gleiche Bedeutung haben. Alternativ gäbe es einen "federführenden" und einen "stellungnehmenden" Ausschuss. Ich wurde beauftragt die Stellungnahme des Umweltausschusses im Hughes-Verfahren zu verfassen.

Den Vorschlag der Kommission empfand ich als ungeheuerlich.

n Erstens widersprach er meines Erachtens dem Protokoll Nr. 9, das die Mengenbeschränkung (108 Prozent Klausel) ausdrücklich bis zur Erreichung des Zieles vorsah.

n Zweitens scheint es sinnlos, diese Regelung ein Jahr vor ihrem Ende auszuhebeln - es sei denn, man wollte im Interesse der Frächterlobby vollendete Tatsachen schaffen, um eine den bisherigen Zielen entsprechende Nachfolgelösung zu unterlaufen.

n Drittens braucht der sensible Alpenbogen besonderen Schutz (was für die Ost-Westverbindungen ebenfalls gilt, bei denen sich der Verkehr nach der Erweiterung zu verzehnfachen droht). Dies ist auch in der Alpenkonvention festgeschrieben.

Ich schlug daher dem Umweltausschuss vor, den Kommissionsvorschlag ohne Wenn und Aber zurückzuweisen. Dem stimmte über alle Fraktionen und Parteigrenzen hinweg der Umweltausschuss einstimmig zu. Für den Verkehrsausschuss hatte Hannes Swoboda (SPÖ) den Bericht zu verfassen. Er kam zum gleichen Ergebnis wie der Umweltausschuss, allerdings ging es dort nur ganz knapp mit einer Stimme Mehrheit durch. Aber immerhin, abgelehnt ist abgelehnt.

Der nächste Schritt war die Abstimmung im Plenum, mit seinen 626 Abgeordneten. Dort scheiterte die Zurückweisung des Kommissionsvorschlages an rund 30 fehlenden Stimmen. Konservative und Liberale standen im Wesentlichen auf der Kommissionsseite, die meisten Sozialisten, sowie Grüne und alle Österreicher standen auf Österreichs Seite.

Die Abstimmung war namentlich und damit nachvollziehbar. Obwohl Kollege Swoboda Vizeobmann der EU-Sozialisten ist, stimmten mehr als 30 seiner Fraktionskollegen gegen den von ihm mitgetragenen Standpunkt. Damit war in einer ersten Runde der Kommissionsvorschlag durchgegangen. Und der Rat, (das Gremium der Fachminister der Mitgliedsstaaten), an den dieser Vorschlag dann weitergeleitet wurde, hätte ihn mit Mehrheit absegnen können.

Besonders interessant ist die Frage, was passiert wäre, wenn das Parlament gegen den Kommissionsvorschlag gestimmt hätte. Dann wäre es zu einem sogenannten Vermittlungsverfahren zwischen Parlament und Rat gekommen. Seit dem Amsterdamer Vertrag muss das Parlament nämlich in mehreren Bereichen den Ratsentscheidungen (besonders bei Umweltfragen) zustimmen, damit Rechtsakte verwirklicht werden können.

Die Ratstagung in Laeken/Belgien im Dezember 2001 brachte eine neue Entwicklung in der Transitfrage: Der Rat beschloss auf Antrag Österreichs, die Kommission mit der Ausarbeitung eines neuen Vorschlages zu beauftragen. Darin sollte eine Nachfolgeregelung für das Ökopunktesystem zum Schutz sensibler Zonen enthalten sein. Es dauerte nur einige Wochen und der neue Vorschlag lag vor. Darin bekannte man sich zwar zu einem nicht genauer definierten Schutz der "sensiblen Zonen", aber wieder ohne mengenmäßige Beschränkungen (108-Prozent-Klausel) des Transitverkehrs.

Das Spiel begann also von vorne. Das Parlament wies den Vorschlag den erwähnten Ausschüssen und der Umweltausschuss wieder mir die Stellungnahme zu. Die Chance war gering, aber man darf nicht aufgeben, schon gar nicht in der ersten Runde. Also beantragte ich neuerlich die Aufnahme einer Mengenbeschränkung.

Diesmal war das Vorhaben keine "g'mahte Wies'n" mehr. Harte Wortduelle mit Pro und Contra im Umweltausschuss. Drei Wochen später bei der Abstimmung lag Spannung im Raum. Es ging um die Frage, ob mein Vorschlag, die 108-Prozent-Klausel wieder in dem Kommissionsvorschlag aufzunehmen durchgeht oder die Anträge italienischer Konservativer, die sich massiv dagegenstellten.

Um es kurz zu machen: Zwar nicht mehr einstimmig, aber mit großer Mehrheit stimmten die etwa 50 anwesenden Abgeordneten für eine Beschränkung. Dieses Ergebnis ist nicht nur wegen des Inhaltes wunderbar, sondern weil es zeigt, dass zumindest im Umweltausschuss nicht nach Fraktionszugehörigkeit abgestimmt wird, sondern dass es um die Sache geht und auch die Sorgen des relativ kleinen Österreich ernst genommen werden.

Das Verfahren ist noch im Laufen. Jetzt ist der Verkehrsausschuss am Zug. Dort ist nicht mehr Kollege Swoboda Berichterstatter, sondern der Ausschussvorsitzende, der liberale Italiener Luciano Caveri, der den Bericht zur Chefsache erklärt hat. Es gilt, die Zeit zu nutzen und möglichst viele Abgeordnete zu überzeugen, so zu stimmen wie der Umweltausschuss. Auf der anderen Seite gibt es natürlich viele Abgeordnete, die Wirtschaftsinteressen vor Umwelt und Lebensqualität stellen oder denen die Anliegen der Alpenbewohner jedenfalls zweitrangig erscheinen. In der ersten Runde im Plenum fehlten "nur" 30 Stimmen.

Die Chance die Lkw-Beschränkungen im Parlament durchzubringen ist gering, aber vorhanden. Danach wäre der Rat auf Grund des Mitentscheidungsverfahrens nach Amsterdamer Vertrag gezwungen, mit einer Gruppe von Parlamentsabgeordneten die endgültige Variante zu verhandeln. Fällt der Antrag durch, wird man bei der geplanten Wegekostenrichtlinie für eine Bewältigung der Schwerverkehrsproblematik kämpfen müssen ...

Der Autor ist Energie-Experte und österreichischer EU-Abgeordneter. www.kronberger.net

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