Österreich in Europas Netz?

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In Ost-West-Richtung wird Österreich ebenso zum Transitland wie dies derzeit schon im Nord-Süd-Verkehr der Fall ist. Welche Perspektiven eröffnen sich da?

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In Ost-West-Richtung wird Österreich ebenso zum Transitland wie dies derzeit schon im Nord-Süd-Verkehr der Fall ist. Welche Perspektiven eröffnen sich da?

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Die Diskussion ist so alt wie die Grundsatzfrage zum EU-Beitritt Österreichs selbst: Wird unser Land durch die europäische Verkehrspolitik zum Transitland Europas? Die Antwort ist einfach: Ja, natürlich. Denn: Wir sind Europa.

Damit das vermeintlich Dringlichste gleich zu Beginn ausgesprochen ist: Man kann davon ausgehen, daß Österreichs Verkehrspolitik außerhalb der EU nicht viel anders verlaufen würde, als jene innerhalb der Union. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Probleme die gleichen wären.

Daß der Verkehrsbereich eine der größten Herausforderungen für die Gesellschaft darstellt, ist mittlerweile unumstritten. Von grundsätzlicher Bedeutung ist, daß europäische Verkehrspolitik immer schon Wirtschaftspolitik gewesen ist. Die EU geht mit dieser Schwerpunktsetzung auch ganz selbstverständlich um. Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab, Wirtschaftswachstum sowie freizügiger Waren- und Personenverkehr sind der EU als wichtigste Zielsetzungen ins Stammbuch geschrieben. Die Verkehrspolitik hat dieses Ziel zu unterstützen. In den letzten Jahren hinzugekommen sind Verschärfungen der umweltpolitischen Rahmenbedingungen.

Das immer wieder zitierte Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN) stellt erst seit dem Maastricht-Vertrag die verkehrspolitische Klammer in der EU dar. Im TEN werden die europarelevanten Infrastrukturen für Bahn und Straße, aber auch für den Wasser- und Flugverkehr festgehalten. Betrachtet man die entsprechenden Festlegungen für Österreich, so ergibt das ein überraschendes Bild. Was den Straßenbau betrifft, findet man das altbekannte österreichische Autobahnnetz als TEN wieder. Der wesentliche Unterschied zwischen österreichischer Realität und TEN besteht im Ausbaustand der Bahn. Daß dieses Bild nur äußerst mangelhaft zu den gerne kolportierten nachteiligen Wirkungen der europäischen Verkehrspolitik auf Österreichs Umwelt paßt, liegt auf der Hand.

Daß gerade die EU ein Vorreiter in Sachen umweltgerechter Verkehrsplanung sein soll, ist natürlich eine gewagte Unterstellung, die sogar den zuständigen Kommissär vor Scham erröten ließe. Die EU macht im großen und ganzen keine bessere oder schlechtere Verkehrspolitik als ihre Mitgliedsstaaten - wie soll sie das auch können? Der Umsetzungsstand europäischer Vorhaben ist in manchen Ländern mangelhaft, wie eben in Österreich in Sachen Hochleistungsbahn.

Der Grund für die Verkehrsmisere ist einfach umschrieben. Pkw oder Lkw besitzen gegenüber der schienengebundenen Bahn einen wesentlichen Vorteil: Sie wirken flächig, kommen praktisch überall hin - so wie übrigens Fußgänger und Radfahrer, über große Distanzen nur um einiges schneller. Dieser Vorteil kippte die Aufteilung zwischen öffentlichem und motorisiertem Individualverkehr zugunsten der Straße im Personenverkehr und im Güterverkehr. Ähnliches droht jetzt auch in den Staaten Osteuropas.

Das Resultat ist ein extrem gestiegenes Straßenverkehrsaufkommen in den letzten Jahrzehnten. Der Blick in die Zukunft verheißt nichts Gutes. Verkehrsexperten gehen etwa davon aus, daß sich der Grenzverkehr mit den Oststaaten im Straßenpersonenverkehr von knapp 47.000 Pkws pro Tag im Jahr 1995 auf rund 70.000 bis 100.000 Pkws pro Tag im Jahr 2010 erhöhen wird. Die große Bandbreite der Schätzung entsteht aus folgender Ungewißheit: Entwickelt sich die Motorisierung in den Oststaaten ähnlich wie bei uns und benützen dementsprechend auch mehr Menschen zwischen Österreich und dem östlichen Ausland das Auto, so erreicht man die magisch anmutende Zahl von 100.000 Autos pro Tag. Schlägt man einen eher vernunftgeleiteten Prognoseansatz ein und unterstellt man, daß die Autos in erster Linie verkehrszweckorientiert unterwegs sind, dann ist man bei "lediglich" 70.000 Autos.

Ostautobahn: Doppelt so viele Lkws bis 2010 Im Gütersektor ergibt sich ein ähnlich besorgniserregendes Bild. 1987 passierten 23,25 Millionen Tonnen Österreichs Grenzen zum Osten, für das Jahr 2010 rechnet man mit rund 48,5 Millionen Tonnen. Wurden 1987 lediglich zwölf Prozent davon mit dem Lkw transportiert (Bahn: 61; Schiff: 27 Prozent), so werden im Jahr 2010 die Lkws schon 30 Prozent transportieren. Bahn und Wasserstraße verlieren an Marktanteilen.

Für die Belastung der klassischen Transitrouten, etwa die Ostautobahn A4 bedeutet dies in etwa eine Verdoppelung des Lkw-Verkehrs zwischen 1995 und 2010. An der Zählstelle Bruckneudorf traf man 1995 an einem durchschnittlichen Werktag 1.581 Lkws an, 2010 werden es rund 3.100 sein.

Die Konzepte der EU zur Lösung dieser Misere sind - was ihre Umsetzung betrifft - derzeit nur schemenhaft zu erkennen. Vor allem bemüht man sich um die Errichtung von Hochleistungsbahnen. Für Österreich ist hier sowohl eine West-Ost-Verbindung (Salzburg-Linz-Wien), als auch eine Nord-Süd-Verbindung (Semmering; Süd-Ost-Spange) geplant. Daß die Brennerstrecke zusätzlich neu gebaut werden soll, ist schon länger bekannt.

Und hier zeigen sich die eigentlichen Probleme: In der EU können unter Mitwirkung der Nationalstaaten gute (oder schlechte) Verkehrskonzepte entwickelt werden. Die eigentliche Umsetzung dieser Konzepte obliegt den Nationalstaaten selbst. Zwar beteiligt sich die EU an der Finanzierung der TEN-Strecken, planen, bauen und umsetzen müssen die Österreicher aber selbst.

Wenn man nun an die Diskussionen über den Semmeringtunnel denkt, so vermutet man unwillkürlich einen mehr als gespaltenen Umgang mit den Ausbauplänen der Bahn. Einerseits heißt es, daß man die "Transitflut" auf Österreichs Straßen eindämmen muß, andererseits ist die Errichtung einer leistungsfähigen Bahnverbindung nicht gerade mit absehbaren Planungszeiträumen verbunden. Gleichzeitig kann relativ einfach und ohne große Probleme ein Straßentunnel durch denselben Berg gebohrt werden.

In diesem Zusammenhang wird es äußerst interessant werden, wenn - wie jetzt schon absehbar - die Diskussion um die Nordautobahn und um die Errichtung einer leistungsfähigen Bahnverbindung von Wien nach Brünn beginnen wird.

Letztlich bemüht sich die Region Wien um die Entwicklung eines international bedeutenden TEN-Knotens. Ein TEN-Knoten kann vereinfacht als Verkehrsumschlagplatz verstanden werden. Im TEN-Knoten kommt es zum Wechsel der beförderten Güter zwischen Straße, Schiene, Schiff und Flugzeug.

Ein gut funktionierender TEN-Knoten braucht neben der entsprechenden Infrastruktur vor allem eine perfekte Logistik. Hinter dem Zauberwort Logistik verbirgt sich vor allem eines: Betriebsstandorte und Arbeitsplätze. Wo nämlich Güter geschickt von einem Verkehrsmedium zum anderen umgeschlagen werden, dort ist auch ein geeigneter Ort, um die transportierten Güter weiterzuverarbeiten.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür besteht in einem leistungsfähigen Schienennetz. Womit die Hausaufgaben für Österreichs Verkehrspolitik einigermaßen skizziert sein dürften.

Der Autor ist Mitarbeiter des Österreichischen Ökologie-Institutes.

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