Österreichisches Sittenbild

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Dubiose Geschäfte, Geldverschwendung, Missachtung des Rechtsstaats: Anton Pelinka über das System Haider und die Polit-Klasse des Landes.

Die Methode ist seit Langem bekannt: Das System Haider bestand aus einer Mischung von schlechtem Entertainment, inhaltlicher Beliebigkeit, trotzigem Postnazismus und schamlos frechem Umgang mit Geld. Wer hinsah, wusste schon vor Jahren, dass mit Jörg Haider „kein Staat zu machen“ war, wie Erhard Busek meinte. […]

Wer es wissen wollte, der wusste es seit Langem. Dennoch lieferte Wolfgang Schüssel die Republik einem Ungeist aus, der NS-Verharmlosung und postmoderne Politikunterhaltung, populistische Appelle an primitive Vorurteile und eine an Mafia-Traditionen gemahnende Umwandlung des Politischen in einen Selbstbedienungsladen zu verbinden verstand.

Angesichts des nun ruchbar gewordenen mysteriösen Finanzgebarens des selbst ernannten Saubermannes ist plötzlich bei vielen die Überraschung groß – und schon tappen sie wieder dem System Haider in die Falle: Hat nun Walter Meischberger ein Tagebuch geschrieben – oder ein Romanfragment? Darf man darüber lachen, dass Haiders Tennislehrer (Lebensmensch?), den viele in Paraguay oder […] am Grund des Genfer Sees wähnten, offenbar doch friedlich in Kärnten wohnt? Genügt es, sich – völlig zu Recht – über die Kompetenz einer Strafverfolgungsbehörde zu wundern, die es nicht der Mühe wert findet, solchen (und anderen) Spuren nachzugehen?

„Übertreiber“ der Großparteien

Trotz dieser unbeantworteten Fragen geht es nicht um eine Neubewertung des Systems Haider, sondern um jene, die das Land diesem Regime auslieferten. Haider, so Peter Turrini, war ein „Übertreiber“ der Großparteien: Auch in deren Reihen waren viele, die einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen wollten. Haider aber machte aus dieser Neigung eine Tugend. Auch in SPÖ und ÖVP gab und gibt es Geldgier, Streit um Pfründen und die Belohnung von Loyalität mithilfe von Postenvergaben. Erst das System Haider aber erhob all dies zu einer wahren Kunst. War nicht Wolfgang Schüssels Entscheidung, Haider politisch zu umarmen, auch Ausdruck der Bewunderung für den, der alles, was auch in Schüssels Partei existiert, bis zur Vollendung perfektionierte? Pilgerte nicht ÖVP-Präsidentschaftskandidatin Benita Ferrero-Waldner 2004 nach Kärnten, um sich das Wohlwollen des Landesfürsten zu sichern? Und folgte ihr nicht ORF-Generaldirektorin Monika Lindner auf diesem Pfad, um sich das Placet Haiders abzuholen? Verzichtete nicht sogar SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer am Grab Haiders auf kritische Töne? Kurz darauf wurde Gusenbauer – nunmehr Altkanzler – Berater der Hypo Alpe-Adria. Einer Bank, die der Stützpfeiler des Systems Haider war. […]

Verluderung der Republik

Das stramm rechte Dritte Lager rund um den FPÖ-Chefideologen Andreas Mölzer hatte anfangs freilich gerne in Kauf genommen, dass das System Haider die FPÖ zu einem ungeahnten Höhenflug führte, den auch die NS-Nostalgie nicht verhinderte. Die Granden der selbst ernannten Europapartei ÖVP, allen voran Schüssel, zahlten dem Steigbügelhalter Haider bei der Bildung der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 nur zu gerne den von diesem geforderten Preis. Und SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer versäumte es nicht, sich beim gemeinsamen Spargelessen und anderen Gelegenheiten die Möglichkeit offenzuhalten, von der mit dem Namen Jörg Haider verbundenen Verluderung der Republik vielleicht doch einmal politisch profitieren zu können.

Was immer letztlich herauskommen mag […] das Meischberger-Tagebuch (oder Drehbuch oder PR-Gag oder Romanfragment) liefert nicht nur ein Sittenbild des Systems Haider. Es ist auch ein vernichtendes Urteil über diese Republik.

* Die Zeit, 12. August 2010

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