Österreichs beliebteste Blutsauger

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Vampire erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit – egal ob in Kinofilmen, Büchern oder dem Fernsehen. Galten sie früher noch als Monster, so hat sich das Bild von Vampiren stark verändert: Sie erhalten humanere Züge, erregen Mitleid und gelten als die „besseren“ Menschen.

Vampire sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Statt Jagd auf ahnungslose Opfer zu machen, verzichten sie auf Menschenblut. Statt nächtlicher Ausflüge auf Friedhöfe und in fremde Schlafzimmer ist Heiraten, Kinderkriegen und Familienglück angesagt. In ihrer „Bis(s) …“-Tetralogie, deren letzter Band gerade auf den Bestsellerlisten ganz oben steht, hat die US-amerikanische Schriftstellerin Stephenie Meyer aus den unheimlichen Blutsaugern heimelige Biedermänner gemacht. „Twilight“ – so der Originaltitel – steht für Enthaltsamkeit.

Ob in Meyers jugendfreier Version oder in blutrünstigeren Büchern oder Filmen – der Vampir erfreut sich auch im 21. Jahrhundert größter Popularität. Jeder kennt die dunkle Gestalt mit den spitzen Eckzähnen – doch kaum jemand weiß, dass der Blutsauger von Österreich aus seinen Siegeszug durch die Kulturgeschichte angetreten hat. Am Beginn des Vampirmythos stehen Berichte kaiserlicher Beamter aus dem frühen 18. Jahrhundert, die noch heute im Wiener Hofkammerarchiv aufbewahrt werden. Daher ist es kein Zufall, dass Graf Dracula, der berühmteste aller Vampire, Bürger von Österreich-Ungarn war; Transsylvanien ist ja nichts anderes als die rumänische Bezeichnung von Siebenbürgen.

Weit verbreiteter Volksglaube

1718 fielen Teile Serbiens, Bosniens und der Walachei an Österreich. In diesem Grenzgebiet zwischen den Reichen der Habsburger und der Osmanen sah sich die kaiserliche Verwaltung erstmals mit einem in Südosteuropa weit verbreiteten Volksglauben konfrontiert. 1725 berichtete ein Staatsapotheker namens Frombald von der Exhumierung einer Leiche in dem Dorf Kislova. Der Tote sei ein Vampir, der nächtens aus seinem Grab steige und die Lebenden aussauge, behaupteten die Dorfbewohner. Nachdem der Körper ausgegraben war, stellte Frombald zu seinem Erstaunen fest, dass der Leichnam gut erhalten war, Haare, Bart und Nägel gewachsen waren und sich in seinem Mund scheinbar frisches Blut befand. Auf Drängen der Dorfbewohner wurde das Herz des Toten mit einem Holzpfahl durchstoßen und der Leichnam verbrannt. Der Vorfall sorgte in Wien für einiges Aufsehen, geriet jedoch schnell in Vergessenheit.

Nicht so die Ereignisse, die einige Jahre später publik wurden: Im Winter 1731/32 wüteten angeblich Vampire in mehreren serbischen Dörfern, über 100 Todesopfer waren zu beklagen. Ein Militärarzt namens Glaser exhumierte in dem Dorf Medveda mehrere Leichen und berichtete von auffällig gut erhaltenen Körpern mit rosigem Teint. Eine zweite Untersuchung wurde angeordnet, diesmal rückte der Regimentsfeldscher Johannes Flückinger an, untersuchte weitere auffällige Leichen und lieferte einen ausführlichen Bericht über den örtlichen Vampirglauben. Glasers und Flückingers Schilderungen von den angeblichen nächtlichen Umtrieben und den Pfählungen der verdächtigen Toten verbreiteten sich mit rasender Geschwindigkeit in ganz Europa. Ähnliche damals weithin bekannte Erscheinungen, so genannte Wiedergänger und „schmatzende Tote“, wurden im Nachhinein zu Vampiren umgedeutet.

Bald wurde der Vampir zu einer literarischen Figur und entfernte sich immer weiter von seinen Ursprüngen. Das im Volksglauben des Balkans nebensächliche Blutsaugen wurde zu seiner Hauptbeschäftigung, außerdem machte er einen sozialen Aufstieg vom Bauern zum Adeligen durch. In seinem Roman „Dracula“ (1897) verschmolz der irische Schriftsteller Bram Stoker den Vampirmythos mit dem historischen, für seine Grausamkeit bekannten Walachenfürsten Vlad Dracul, genannt „der Pfähler“, und schuf damit das Bild des Monstrosität und Noblesse in sich vereinigenden Vampirs schlechthin.

Der Film schließlich fügte dem Mythos Elemente wie den schwarzen Umhang und die spitzen Zähne hinzu. In den Klassikern des Genres – „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922), „Dracula“ mit Bela Lugosi (1931) bzw. Christopher Lee (1958) bis hin zu „Tanz der Vampire“ (1967) – blieb der Vampir eine Figur der Vergangenheit. Im heutigen Vampirfilm und in der heutigen Vampirliteratur ist er jedoch ein Zeitgenosse, der auch mit moderner Technik vertraut ist. Ein weiteres Zeichen unserer Zeit ist, dass das Bild des Vampirs immer menschlichere Züge erhält. Schon in Werner Herzogs „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979) war der von Klaus Kinski dargestellte Vampir eine gebrochene, Mitleid erregende Figur. Heute schlagen sich einzelne Untote – etwa in der „Blade“- oder der „Underworld“-Filmtrilogie – sogar auf die Seite der Lebenden. Bei Stephenie Meyer schließlich mutieren die Vampire sogar zu den besseren – weil moralisch gefestigteren – Menschen.

Moderne Vampirforschung

Der ursprüngliche Vampirglaube ist übrigens am Balkan noch immer verbreitet. Zuletzt wurde im Jahr 2004 im rumänischen Dorf Marotinu de Sus ein angeblicher Vampir unschädlich gemacht. Angehörige gruben den Leichnam eines gewissen Toma Petre aus, schnitten ihm das Herz heraus, verbrannten es, lösten die Asche in einer Flüssigkeit auf und tranken das Gebräu.

Die Wurzeln und Wandlungen des Vampirmythos sind natürlich auch Thema in der Wissenschaft. Anfang Juli trafen die wichtigsten Vertreter der deutschsprachigen Vampirforschung am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien zu einer Konferenz zusammen („Vampirglaube und Magia Posthuma im Diskurs der Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert“), darunter Peter Mario Kreuter, Marco Frenschkowski, Clemens Ruthner und Hagen Schaub, der den aktuellen Stand der seriösen Forschung in seinem im Vorjahr erschienenen Buch „Blutspuren. Die Geschichte der Vampire“ zusammengefasst hat.

Vampire sind auch nur Leichen

Ein dem modischen poststrukturalistischen Diskurs verpflichteter Vortragstitel wie „Untotes Wachsen im Textgrab. Zur narrativen Konstitution des Vampirmythos in frühen Texten des Korpus“ grenzt an ungewollte Satire. Ein Höhepunkt der Tagung hingegen war der Vortrag des Wiener Gerichtsmediziners Christian Reiter, der dem Mythos anhand der in Wien aufbewahrten historischen Berichte auf den Grund gegangen ist. Die Beschreibungen der „verwampyrten“ Leichen entsprechen genau dem Bild, das einem Pathologen aus dem Arbeitsalltag vertraut ist. Ein Leichnam, der ein paar Wochen oder Monate unter der Erde verbracht hat, ist wegen mangelnder Sauerstoffzufuhr meist noch ziemlich gut erhalten. Aufgrund von Fäulnisgasen ist er aufgebläht und wirkt wohlgenährt. Die Gase drücken auch wie Blut aussehendes Fäulnissekret durch den Mund sowie andere Körperöffnungen. Dabei kann lautes Blubbern entstehen, das wie Schmatzen klingt. Wird ein solcher Körper angestochen, etwa mit einem Holzpfahl, so tritt die rote Fäulnisflüssigkeit aus und der Leichnam sinkt langsam in sich zusammen.

Reiter hat auch die Ursache für die Todesfälle ausfindig gemacht, die 1731/32 den Vampirmythos ins Rollen brachten: eine Milzbrandepidemie. Einige Symptome dieser Krankheit lesen sich wie Anzeichen von Vampirismus, etwa unstillbarer Durst oder blau verfärbte Lymphknoten in der Nähe des Halses, die leicht als Saugspuren gedeutet werden können. Im Fieberdelirium halluzinierten die Erkrankten dann wohl auch die traditionellen Gruselgestalten ihrer Vorstellungswelt: die wiederkehrenden Toten, die Vampire.

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