Schwarzer Weibel - © Fotos: APA / Georg Hochmuth und AFP / Johannes Eisele Johannes Eisele

Offener Brief: Die Intellektuellen und der Krieg

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Ein offener Brief erhitzt die Gemüter. Alice Schwarzer und Peter Weibel haben ihn initiiert. Sie verspielen dabei nicht nur ihre in kriegslogistischen Fragen ohnehin angemaßte Autorität, sondern verstärken auch die populistische Stimmung im Westen. Ein Kommentar.

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Ein offener Brief erhitzt die Gemüter. Alice Schwarzer und Peter Weibel haben ihn initiiert. Sie verspielen dabei nicht nur ihre in kriegslogistischen Fragen ohnehin angemaßte Autorität, sondern verstärken auch die populistische Stimmung im Westen. Ein Kommentar.

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Es scheint unter Intellektuellen und künstlerisch Aktiven zu einer Art Gretchenfrage geworden zu sein: „Sag, wie hältst du’s mit der Ukraine?“ Und wenn sie dann antworten – oder auch nicht antworten –, so hat dies Konsequenzen für ihren Ruf, ihre Beliebtheit, ihre Engagements. Dabei ist es möglich, dass Zurückhaltung die klügste und beste Option gewesen wäre. Denn abgesehen von der mangelnden Informiertheit ist die Zahl der Fehlurteile, die unter ideologisch erhitzten Bedingungen oder einfach aus Mitläuferlaune abgegeben wurden, unter den Kulturtreibenden Legion.

Das gilt möglicherweise auch für den Autor dieser Zeilen, dem freilich eine Maxime unabdingbar scheint: Keine der kriegsführenden Parteien darf, bei welcher Kompromisslage auch immer, den in Zukunft erreichbaren Frieden als demütigenden Oktroi und nationale Schande empfinden.

Als Jürgen Habermas einen vielbeachteten Artikel zur Ukraine-Frage in der Süddeutschen Zeitung vom 28. April publizierte, war die Sorge des Philosophen nachvollziehbar. Tenor: Ein unbedachtes Aufrüsten der Ukraine durch Waffenlieferungen aus dem Westen könne zu Abnützungsschlachten führen, gipfelnd im russischen Einsatz strategischer Atomwaffen. Berechtigung hatte auch der warnende Hinweis zu den Osterweiterungsgelüsten des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, der NATO. Dadurch müsse sich die Gegenseite in ihrer Kalter-Krieg-Doktrin bestätigt fühlen. Ein Teufelskreis.

So besonnen Habermas argumentierte, so wenig war er in der Lage – im Übrigen wie wir alle –, ein konkretes Ausstiegsund Befriedungsszenario vorzulegen. Seine akademische „Theorie des kommunikativen Handelns“ setzt idealiter auf eine zwanglose Kommunikation, also auf ein Gesprächsklima, an das sich im Moment nicht einmal denken lässt. Habermas ist weit davon entfernt, einen realistischen Ausweg aufzuzeigen.

Politisch machtlos

Unsere intellektuelle Elite ist politisch machtlos. Und das ist gut so angesichts der mittlerweile ausgetragenen Streitigkeiten über einen Konflikt, in dem, je nach Temperament und Sachwissen, mehr für die eine oder andere Seite optiert, mehr „schwere“ Waffen für die Ukraine oder ein Sanktionsstopp im militärischen Sektor gefordert wird. Je länger dieses Hin und Her dauert, umso erbitterter werden die Wortmeldungen, allesamt – buchstäblich gesprochen – weit ab vom Schuss.

Dabei ist ein Gesichtspunkt entscheidend: Argumente, die eben noch Besonnenheit auf allen betroffenen Seiten einmahnten, werden von führenden westlichen Intellektuellen zusehends gegen die Ukraine, namentlich ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, gerichtet. Warum? Etwa weil die weitgestreute Solidarität mit den Opfern der russischen Aggression dann denen, die „gegen den Strich“ denken, hohe öffentliche Aufmerksamkeit sichert?

Sobald der „Kulturguru und mediale Tausendsassa“ Peter Weibel seine Stimme erhebt, geht es, während die Menschen woanders kämpfen, sterben und flüchten, um nicht weniger als die Erringung der Meinungshoheit im Medienbetrieb. Am 4. Mai dieses Jahres erschien ein Interview im österreichischen Standard. Weibel ist zusammen mit Alice Schwarzer Initiator eines offenen Briefes, der, wie es gleich heißt, „die deutsche Öffentlichkeit polarisiert“.

Im Interview kann man unter anderem lesen: „Die fünf Millionen oder mehr Menschen, welche die Ukraine verlassen, fliehen nicht allein vor dem Krieg, sondern sie fliehen auch aus der korrupten Ukraine. Die Menschen, die aus den Kriegsgebieten des Ostens und des Südens der Ukraine kommen, könnten ja im Norden und Westen der Ukraine Sicherheit und Schutz finden.“

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