Oft gelesen, noch öfter überlesen

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Als Günther Nenning starb, protestierte Brigitte Schwaiger gegen die Geschmacklosigkeit, dass keiner der Nachrufe ohne den Begriff des „Wurschtels“ auskam. Nun, da Brigitte Schwaiger, geboren am 6. April 1949 in Freistadt, tot in der Donau treibend aufgefunden wurde, verteidigt niemand sie gegen den posthumen Rufmord: Unwidersprochen verwenden alle Meldungen die Formulierung, sie habe mit ihren späteren Werken nicht mehr an den phänomenalen Erfolg ihres Romanerstlings „Wie kommt das Salz ins Meer“ (1977) „anknüpfen können“. Das weist die „Schuld“ ihrem Versagen zu und vergisst die Frage, was die literarische Öffentlichkeit dieser Autorin schuldig geblieben ist.

Es war der Betrieb, der die junge Brigitte Schwaiger mit einiger Häme rasch wieder fallen ließ. Man hat ihre Bücher – immerhin zehn Romane und eine Reihe von Prosa- und Dramenbänden – kaum mehr gelesen, oder nur mit größter Voreingenommenheit. Geringschätzige Untertöne waren zwar schon bei ihrem Debüt zu hören, doch da ließ sich der „Publikumserfolg“, der damals noch etwas Anrüchiges hatte, nicht aufhalten.

Was späterhin gegen Brigitte Schwaiger zeugte, war die Abkehr von jener kulturpolitischen Öffnung in den 1970er-Jahren, als es plötzlich möglich wurde, von Alltagswelten und Alltagserfahrungen mit emanzipatorischem Anspruch zu erzählen. Dass Literatur nicht Autobiografie ist, haben schon die Zeitgenossen oft missverstanden, was letztlich auch zur Vernichtung von Autorenexistenzen wie Franz Innerhofer oder Gernot Wolfgruber führte. Bei Autorinnen aber erfolgt die Überblendung mit ihren Figuren immer noch um einiges radikaler.

Natürlich sind ihre Bücher – wie bei Bernhard oder Handke – autobiografisch grundiert, aber eben auch literarisch überformt. „Wie kommt das Salz ins Meer“ ist die Geschichte der unglücklichen Ehe einer sehr jungen Frau aus der österreichischen Provinz mit einem feschen spanischen Militär und Tierarzt, die auch Traumata wie Wunschprojektionen einer Jugend in der kleinbürgerlichen Enge des Wiederaufbaus verarbeitet.

Das wurde 1977 als zeittypische Variante weiblicher Selbstfindungsliteratur gelesen; „Lange Abwesenheit“ (1980) als eines der vielen „Vaterbücher“ der Zeit, „Der Himmel ist süß“ (1984) als Aufarbeitung katholischer Kindheit im Kontext der Antiheimat-Literatur.

Das sind diese Romane alles auch, aber sie inszenieren den Clash zwischen vorgespielter Naivität und der Verlogenheit gesellschaftlicher Normen und Werte auf ganz eigene Art. „Schönes Licht“ (1990) würde heute unter dem Etikett Literaturbetriebssatire vermutlich anders gelesen – oder auch nicht, denn sexistische Untertöne im literarischen Feld interessieren schon wieder niemanden mehr.

Überlesen wurde meist auch Schwaigers Auseinandersetzung mit dem Faschismus, nicht in der weinerlichen Manier des „Mein Vater war ein Nazi“, sondern in der angewandten Fragestellung, wie sich Werthaltungen der Eltern in das Handeln der Kinder verlängern, zum Beispiel im Umgang mit jüdischen Mitbürgern, und sei es in Liebesverhältnissen.

Just mit „Fallen lassen“, dem Protokoll ihrer eigenen Zerstörung, die in eine jahrelange psychische Erkrankung mündete, erzielte Brigitte Schwaiger 2006 dann einen Achtungserfolg. Die Neulektüre ihres Werks und eine sorgfältige Analyse ihrer literarischen Verfahrensweisen ist ein Gebot der Stunde.

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