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Anne Teresa de Keersmaeker vertraut auf den Körper als Träger von Emotionen. Die Compagnie Rosas beim ImPulsTanz Wien.

Die Abendsonne erhellt den Malersaal der TSG-Werkstätten im Arsenal. Laut scheppert die Metallstiege der Zuschauertribüne, wenn Anne Teresa de Keersmaeker und Cynthia Loemij hinunter in die ovale Bühnenarena stürmen und sich ihrer barocken Roben entledigen. In schlichten weißen Kleidern, mädchenhaft und ungeschützt in ihrer Fast-Nacktheit, beginnen sie, ihre Bahnen zu ziehen.

Spielerisch leicht wirken die Bewegungsabläufe und sind doch von absoluter Perfektion. "Small Hands (out of the lie of no)" - der Titel stammt aus einem Gedicht von E. E. Cummings - nennt sich das Duett, mit dem die belgische Choreographin und ihre Compagnie Rosas ihr Gastspiel bei ImPulsTanz Wien 2002 eröffneten. "Small Hands ..." wird von Henry Purcells heiterer Ode zum Cäcilientag, "Welcome to all pleasures", getragen und lässt eine besondere poetisch-sinnliche Atmosphäre entstehen, die ihre Wurzeln vor allem in Keersmaekers Umgang mit Musik hat.

Während ChoreographInnen in der Tradition eines Merce Cunningham Tanz und Musik als voneinander unabhängig betrachten, sind Keersmaekers Stücke "Tanzkonzerte", die, wie es die Tanzwissenschafterin Susanne Traub beschreibt, "das Erleben des einen Mediums im anderen zur Sprache bringen" (aus Sibylle Dahms, "Tanz", Stuttgart 2001).

Die bewusst gesetzte Verbindung zwischen beiden bestimmt weitgehend das Wesen ihrer choreographischen Arbeit. Musik ist für Keersmaeker weder Untermalung, noch wird sie benutzt, um bestimmte Stimmungen zu bewirken.

Ihr Zugang zur Musik ist ein sehr direkter. Keersmaeker schöpft das Material für Bewegungsabläufe aus der Struktur der Komposition und vertraut darauf, dass der menschliche Körper, auch ohne Erklärungen psychologischer oder erzählerischer Natur, ein Träger von Emotionen ist. Neue Möglichkeiten ergeben sich, wenn beispielsweise Musik und Tanz gemeinsam entwickelt werden oder das schöpferische Potenzial der TänzerInnen zum Tragen kommt.

Hohe Erwartungen gingen dem Galaabend "Soirée Répertoire" mit Ausschnitten aus Choreographien der ersten Rosas-Dekade bis 1992 im Burgtheater voraus. Davon blieb die Erkenntnis, dass man es letztlich mit Bruchstücken zu tun hatte. Am Ende hatte man kaum mehr als den Eindruck eines tänzerischen Grundvokabulars bekommen.

So wurde zum eigentlichen Höhepunkt ihres Gastspiels die energiegeladene Aufführung von "(but if a look should) April me", ebenfalls nach einer Gedichtzeile von E. E. Cummings, ebenfalls im Burgtheater. Erstmals verwendete Keersmaeker eine Ballettmusik für eine Choreographie - Igor Strawinskys "Les Noces" ("Die Hochzeit") - und lässt auch Assoziationen zur Geschichte einer Zwangsvermählung zu. Andere Musikstücke, von Thierry De Mey bis zu Volksliedern aus Italien und Indien, sind hinzugefügt.

Wenn am Ende zwei TänzerInnen (Tisch-)Platten aufeinandertürmen, Männer im Hintergrund ein Fußballspiel im Fernsehen anschauen, eine Frau an einem Gurt von der Decke baumelt, hat man in Bildern, in denen Rausch und Askese, Begehren und Ernüchterung aufeinander treffen, eine Geschichte gesehen. Doch keine im narrativen Sinne, sondern eine, die sich im Kopf des Zuschauers konstituieren kann. Fragmentarisch und mit neuen Fragen.

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