„ … ohne zu wissen, was ich wollte“

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Claudio Magris im Gespräch über seinen Weg zur österreichischen Literatur, seine Bewunderung für den Schriftsteller Joseph Roth sowie die banal-kitschige Faszination und Glorifizierung des Bösen.

Der italienische Schriftsteller und Germanist Claudio Magris begann seine Laufbahn mit einem Buch über den habsburgischen Mythos in der österreichischen Literatur.

FURCHE: Kommen wir zu Ihren Anfängen. Wie kommt ein vierundzwanzigjähriger Triestiner in den frühen sechziger Jahren dazu, sich mit österreichischer Literatur und dem darin aufgehobenen Habsburger-Mythos zu beschäftigen? Hängt das mit eigener Familiengeschichte zusammen?

Claudio Magris: Meine väterliche Familie ist davon überhaupt nicht betroffen. Sie kam aus Friaul, mein Großvater und mein Vater waren Italiener. Sie kamen aus Triest, waren aber italienische Bürger. Nach dem Ersten Weltkrieg sollten sie Triest verlassen. Die Familie meiner Mutter hat viel mehr mit der k. u. k. Welt zu tun. Sie ist griechisch-dalmatinischer Herkunft. Der Großvater war k. u. k. Marineoffizier, zugleich italienischer Irredentist. Er sprach auch fließend kroatisch, was seine Kinder, also meine Mutter und ihre zwei Brüder nicht mehr konnten. Das ist der Beweis für das Ende eines gewissen übernationalen Dialogs. Und wir haben kroatische Cousins. Das bedeutet, dass in der Mitte des 20. Jahrhunderts sich der eine Bruder als Kroate, der andere als Italiener fühlte.

FURCHE: Der Riss ging durch die Familie?

Magris: Ja, das war damals öfter der Fall. Ich bin in Kontakt mit den Cousins, der eine lebt in England, der andere in Kroatien. Was das Buch „Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur“ betrifft, war das so: Ich habe Triest verlassen, ich habe in Turin studiert und damals, obwohl ich ein Bücherwurm war – ich hatte Tolstoi und Proust schon mit 14 gelesen – hatte ich keine Zeile von Triestiner Autoren gelesen, aus Grauen gegenüber den Lokalgrößen natürlich.

FURCHE: Keinen Italo Svevo, keinen Umberto Saba?

Magris: Später natürlich. Als ich in Turin aus Nostalgiegründen begonnen habe, Triestiner Autoren zu lesen, habe ich intellektuell meine Welt entdeckt. Da hatte ich das Gefühl, dass, um meine Welt, also um mich besser zu erkennen, ich die Welt vor meiner Geburt kennenlernen muss und also auch die Geschichte der Donaumonarchie. So habe ich angefangen, österreichische und deutsche und auch andere europäische Autoren zu lesen. Und so kam das Gefühl auf für eine Welt, die als ein System der Ordnung definiert worden war. Andererseits stand sie für Unordnung, für Anarchie wie kaum eine andere Kultur – Wien lag also nicht an der schönen blauen Donau, sondern war eine Wetterstation für den Weltuntergang. So habe ich angefangen, etwas zu schreiben, ohne zu wissen, was ich eigentlich wollte. Das passiert mir immer wieder. Eigentlich war für mich diese unglaubliche, großartige österreichische Literatur und auch das Thema der Nostalgie über die Welt, aus der sie entstanden war, eine Metapher für etwas anderes. Manchmal geschieht es, dass man ein Gedicht schreibt, und man weiß gar nicht, wofür das Gedicht eine Metapher ist. Ein Liebesgedicht kann von einer Blume handeln. Ich hatte den Eindruck, dass diese Welt ein letztes Bollwerk einer Einheit, einer noch klassischen Totalität war. Und andererseits war das schon die Wiege einer postmodernen Auflösung, einer Zerbröckelung. Ich erinnere mich, als ich das Thema meinem Doktorvater erklären wollte, hatte er davon nichts verstanden, weil ich es selbst noch nicht richtig verstanden habe. Erst nachdem ich ein Drittel des Buches verfasst hatte, wusste ich, was ich gerade zu schreiben unternommen hatte.

FURCHE: Joseph Roth kommt eine Schlüsselrolle zu.

Magris: Ja, aber ich glaube, die großartigen Schriftsteller, die eigentlich erst nach dem Ende der Monarchie zu schreiben begannen, kommen bei mir nicht deutlich genug vor. Ich habe damals Musil geliebt, aber ich war nicht reif genug, um mich auf eine Konfrontation mit ihm einzulasssen. Deshalb habe ich das letzte Kapitel in anderen Büchern nachgetragen. Joseph Roth aber ist eine Schlüsselfigur, denn er war beides: Er stand noch in der alten Welt und kannte schon die Auflösung.

FURCHE: Warum ist Joseph Roth am Ende zum Monarchisten geworden? Eine Erklärung besagt, dass er in den Monarchisten die einzigen Personen sah, die nie mit dem Hitlerregime paktieren würden. Bei den Sozialisten war er sich nicht so sicher.

Magris: Ja, und weil die Monarchisten keine politische Kraft entfalten konnten. Das verhält sich ähnlich wie mit der Dichtung. Bei seiner Beerdigung gab es den schwarz-gelben Kranz, aber ebenso die rote Fahne von Egon Erwin Kisch. Es gibt einen Brief von Roth an Schuschnigg, in dem er schreibt, dass er als alter Österreicher, der es als Ehre empfindet, im Ersten Weltkrieg für Österreich gekämpft zu haben, jetzt gegen das neue Österreich, gegen den Ständestaat, kämpfen muss.

FURCHE: Nimmt nicht Joseph Roth in Ihrem eigenen Denken einen besonderen Stellenwert ein?

Magris: Von Joseph Roth habe ich viel gelernt. Was er gegen die banal-kitschige Faszination des Bösen sagt, ist bewundernswert. Wir leiden alle an der Glorifizierung des Bösen, die Transgression scheint etwas Interessanteres zu sein als die Moral. Als Schweizer Grenzpolizisten einen kommunistischen deutschen Schriftsteller an der Grenze abfangen, schreibt Roth in einem Brief, dass dieser Mann nichts anderes getan hat als Thomas Mann, beide haben gegen Hitler geschrieben. Über den eventuellen stilistischen Wertunterschied zwischen beiden habe nicht die Schweizer Grenzpolizei zu entscheiden.

FURCHE: Dass das Böse nicht zu dämonisieren sei, hat Roth schon sehr früh erkannt. In seinem ersten Roman „Das Spinnennetz“ erwächst der Schrecken aus dem gewöhnlichen Alltag heraus.

Magris: Das hat nichts Dämonisches, das ist ein fantastisches Buch. Er beschreibt auch die Rolle der pervertierten jüdischen Tradition, diesen Messianismus, den Willen, die Welt so schnell wie möglich an den Abgrund zu bringen, damit die Erlösung kommt, diesen negativen Messianismus.

FURCHE: Und wie sehen sie Hermann Broch heute? Er ist nahezu verschwunden aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Magris: Die „Schlafwandler“-Trilogie und „Der Tod des Vergil“ sind etwas Besonderes. Dazu kommen die Essays, besonders „Hofmannsthal und seine Zeit“. In Italien gab es eine Zeit lang eine übertriebene Begeisterung für alles, was mit Österreich zu tun hat, auch für jeden drittrangigen Autor. Als ich diese Mode kritisierte, schrieb ein Freund von mir: Dieser arme Magris versucht den Golem zu stoppen, den er selber in Gang gesetzt hat. Aber Broch war weder ein Nostalgiker noch ein Vertreter der Negativität. Besonders die linke italienische Kultur hat in der österreichischen Literatur wie Karl Kraus und Altenberg Vertreter des Nihilismus gesehen. Broch aber ist religiös, ohne irgendetwas zu tun zu haben mit einem traditionellen konfessionellen Religionsgefühl. Broch hat sich des Phänomens Nihilismus mit einem Scharfsinn angenommen, ohne ihm zu huldigen und mit ihm zu paktieren. Es ist schwer, Broch zu benutzen trotz der berühmten Szene im Film „La notte“ von Michelangelo Antonioni, in der Monica Vitti die „Schlafwandler“ in der Hand hält.

* Das Gespräch führte Anton Thuswaldner

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