Oper ohne jede Bewegung
Musikalisch war die Staatsopern-"Chowanschtschina" ein Erfolg, während die Regie durch das Bühnenbild jeder Möglichkeit beraubt wurde.
Musikalisch war die Staatsopern-"Chowanschtschina" ein Erfolg, während die Regie durch das Bühnenbild jeder Möglichkeit beraubt wurde.
Dieses Bild kennt man seit Jahrzehnten aus Musiktheater-Premieren: das Musikalische gefällt, die Szenerie wird abgelehnt. Entsprechend teilen sich Applaus und Buh-Rufe auf. Wie zuletzt bei der jüngsten Staatsopernpremiere. Modest Mussorgskis "Chowanschtschina" gilt seit der Ära Abbado als eine Art Wiener Kultstück und ist schon deswegen eine besondere Herausforderung für jeden, der sich neu damit auseinandersetzt.
Wie stellt man es an, neben einer solchen, längst Legende gewordenen Produktion zumindest halbwegs bestehen zu können? Für das prominente Leading-Team, den Regisseur Lev Dodin und Dirigenten Semyon Bychkov, wäre es wohl keine besondere Herausforderung, dachte man. Hatte man voreilig Vorschusslorbeeren an den für das Haus am Ring erstmals tätigen Regisseur verteilt? Wollte er in quasi letzter Minute diese Erwartungen dämpfen, indem er noch kurz vor der Premiere darauf bestand, ein Theater- und nicht ein Musiktheaterregisseur genannt zu werden? Ließ er sich nach der Premiere deswegen so lange bitten, auf die Bühne zu kommen, weil er spürte, dass ihn, wie es dann auch der Fall war, ein Buh-Orkan empfangen würde?
Dramaturgie der Bewegungslosigkeit
Lässt sich, könnte man daraus ableiten, mit einer statischen Opernregie heute eben kein Staat mehr machen? Bedarf es stets außergewöhnlicher, den Inhalt eines Werks oft exzessiv deutender Konzepte, in denen die Protagonisten ständig in Bewegung sind, um reüssieren zu können? Gewiss nicht. Was an dieser "Chowanschtschina" störte, war das Zusammentreffen eines kaum gestalterische Möglichkeiten offen lassenden Bühnenbildes - einer besonders charmelosen Art von Lastenaufzug (Alexander Borovskiy) - mit einer durch dieses Korsett eingeschnürten Regie, die damit bewusst jeden Platz für persönliche Interaktionen vergab. Tatsächlich erschienen die Protagonisten meist durch verschiedene Ebenen voneinander getrennt. Eine jeglicher Kommunikation misstrauende, sich in fahlen Farben ergehende, rasch in Eintönigkeit abdriftende Bilderwelt. Dazu nicht der Deut eines Versuchs, die in den einzelnen Tableaus angeschnittenen Handlungen wenigstens zu skizzieren, geschweige denn zu erläutern. Es sei denn, man reduziert den Plot dieses Musikalischen Volksdramas in fünf Aufzügen auf die Idee der Über- und Unterordnung. Wenigstens das ließ sich aus Dodins Konzept, einer Art Dramaturgie der Bewegungslosigkeit, ablesen, wofür man mit Iurii Khamutanskii - eine Pointe für sich - einen Bewegungsregisseur aufgeboten hatte.
Glänzendes Ensemble
Nicht auszudenken, wären nicht Ferruccio Furlanetto als facettenreicher Fürst Chowanski, ein in blendender stimmlicher Verfassung agierender Ain Anger als Dossifei, Christopher Ventris als ebenso souveräner Andrei Chowanski, der anfänglich distonierende, schließlich mustergültig agierende Herbert Lippert als Golizyn, der durch Artikulationsklarheit auffallende Norbert Ernst als Schreiber oder die junge Elena Maximova als exzellente Marfa an der Spitze eines auch in den übrigen Partien rollendeckend besetzten Ensembles auf der Bühne gestanden. Sie lenkten damit bald den Blick von der enttäuschenden Szene auf Mussorgskis Musik, die in der vervollständigten Version Schostakowitschs geboten wurde.
Geführt wurden sie wie das glänzend gestimmte Orchester und deren durch slowakische Stimmen verstärkte Choristen von einem Dirigenten, der schon früher im Haus am Ring durch seine impulsiven Wagneroder Strauss-Dirigate aufgefallen war: dem 62-jährigen Semyon Bychkov. Höchste Zeit, ihn künftig öfters am Haus am Ring zu engagieren. Die Philharmoniker haben diese Chance längst genützt. Zuletzt am Wochenende, als sie unter ihm ein gleich fulminantes Abonnementkonzert mit ebenfalls russischer Musik bestritten. Und fix ist auch, dass er eines ihrer Konzerte bei den kommenden Salzburger Festspielen leiten wird.
Chowanschtschina
Wiener Staatsoper: 27., 30. November
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!