Gottfried-Karl Kindermanns Buch "Österreich gegen Hitler" erhitzt die Gemüter. Aber über Licht und Schatten jener Schicksalsjahre sollte man ohne Schaum vor dem Mund diskutieren.
Irgendwie dachte man, dass nach den Jahren leidenschaftlicher Waldheim- und Haider-Debatten dieser eine Befund unter allen Streitenden außer Streit gestellt sein sollte: Österreicher waren Täter und Österreicher waren Opfer des Nationalsozialismus; die von Hitler wirtschaftlich, propagandistisch, terrormäßig und zuletzt auch militärisch erpresste Republik Österreich aber war ein Opfer. Aber selbst auf diese Faustregel können verbissene Streithanseln sich bis heute nicht einigen, wie ein neuer Aufschrei von links bei Erscheinen des Buches "Österreich gegen Hitler" erst dieser Tage wieder zeigte.
Streitfragen
Der Autor Gottfried-Karl Kindermann ist immerhin Schüler des Politikwissenschafters Hans J. Morgenthau, Harvard-Fellow und Begründer der Schule des Politischen Neorealismus, zu der auch Henry Kissinger gezählt wird. Sicher: Er erweckt auf weite Strecken den Eindruck großer Bewunderung für die Politik von Dollfuss und Schuschnigg, aber die teilt er mit namhaften Zeugen der westlichen Welt in jenen Tagen und Schuschniggs Volksbefragungsformel wird im Buch begründet kritisiert. Kindermann macht die damalige Alternative klar: mit den verbalradikalen Sozialisten gegen Heimwehr, NS-Deutschland, Italien und Ungarn oder mit Heimwehr und Italien gegen Nazis und Austromarxisten. Und gegen die Demokratie - diese fehlt an dieser Stelle in Kindermanns Aufzählung. Er widmet ihr anderswo Platz: Für die Nazis war sie Mittel zum Zweck ihrer Abschaffung, für die Marxisten Durchzugsstadium zu einer blutroten Gesellschaftsordnung, für die Regierung eine lästige Behinderung - und eine reale Gefahr, als die NSDAP 1933 bei Landtagswahlen spektakuläre Gewinne einfuhr. Trotzdem war die so genannte Selbstausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 mehr als ein "Schildbürgerstreich" und das autoritäre Weiterregieren ohne Parteien und Justizkontrolle ein Verfassungsbruch. Das sagt Kindermann zuwenig deutlich.
Was bleibt, ist der Mut der Regierung Österreichs, dessen Parteien 1918 alle den Anschluss an Deutschland gewollt hatten, 1933 zu erklären: Mit Hitler-Deutschland nicht! Aber während die Sozialdemokraten, die solches gleichfalls verkündeten, am Anschluss an ein "freies und friedliches Deutschland der Zukunft" festhielten, entwickelten die Christlichsozialen zunehmend eine österreichnationale Unabhängigkeitsideologie. Sie ging zunächst von wenigen Personen aus (Knoll, Missong, Schmid, Winter, Lux, Zeßner-Spitzenberg - Kindermann fügt als eindrucksvollen Zeugen nun noch Alfons Stillfried hinzu), wurde aber doch so etwas wie eine "Vorform" österreichischen Selbstverständnisses nach 1945.
Dass Kindermann die christlichsozialen Opfer der NS-Barbarei besonders hervorhebt, ist ein etwas unfairer Vergleich: Natürlich wurden vor allem Anhänger des letzten Regimes gemaßregelt, und Kommunisten deshalb mehr als Sozialdemokraten, weil viele von diesen 1934 aus Enttäuschung zur KP übergewechselt waren. Dass die Juden bis 1938 in Österreich relativ gut lebten, stimmt. Dass ein uralter kirchlicher Antijudaismus, vielfach politisch instrumentalisiert, Hemmschranken entscheidend senken half, hätte gleichwohl erwähnt werden müssen.
Widerstand
So kann man gegen manche Sichtweisen und Akzentsetzungen in diesem Buch mit Recht Einwendungen haben - gegen die Grundaussage nicht: Österreich war der einzige Staat Europas, der zwischen 1933 und 1938 gegen den Nationalsozialismus, der im eigenen Land (und Regierungsapparat) Wühlarbeit betrieb, systematisch Widerstand leistete und diesen mit Hunderten Todesopfern (Dollfuss unter ihnen) und Wirtschaftsnot bezahlte. Das war kein "Schrittmacherdienst", sondern eine europäische Abwehrfront. Dass der tragische Konflikt mit der Sozialdemokratie diese Front schwächte, bleibt ein Schandfleck unserer jüngeren Geschichte. Aber man sollte über Licht und Schatten jener Schicksalsjahre ohne Schaum vor dem Mund diskutieren können.
ÖSTERREICH GEGEN HITLER
Von Gottfried-Karl Kindermann
Verlag Langen Müller, München 2003
480 Seiten, geb., e 29,90
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!