Originalklang der ganz anderen Art

19451960198020002020

"Die Fledermaus" wurde bei den Wiener Festwochen unter Dirigent Nikolaus Harnoncourt zur musikalischen Sensation.

19451960198020002020

"Die Fledermaus" wurde bei den Wiener Festwochen unter Dirigent Nikolaus Harnoncourt zur musikalischen Sensation.

Werbung
Werbung
Werbung

Franz Joseph Pingitzer hätte das Zeug dazu gehabt, einer der größten Dirigenten des 19. Jahrhunderts zu werden. Sein Pech: Er liebte Mozart und Rossini über alles, mit Verdi, Wagner und all den anderen neumodischen Komponisten konnte und wollte er nichts anfangen. So fristete er sein Leben als Konzertmeister, sein Genie konnte sich nicht entfalten. Und dann plötzlich, eine letzte, unverhoffte Chance: Nach personellen Turbulenzen in seinem Haus sah er sich mit der Aufgabe konfrontiert, "Die Fledermaus" von Johann Strauß zu erarbeiten. Er warf all seine Bedenken gegen die ihm fremde Musik und gegen die Operette als solche über Bord und machte sich mit all seiner Energie an die Arbeit. Die Welt sollte zu hören bekommen, wozu er mit seinem vermeintlich anachronistischen Stil und seinem vermeintlich altmodischen Geschmack fähig war ...

Franz Joseph Pingitzer hat nie existiert, aber "Die Fledermaus" der Wiener Festwochen im Theater an der Wien klingt so, als stünde der fiktive Konzertmeister am Dirigentenpult. In Wirklichkeit dirigiert Nikolaus Harnoncourt die Wiener Symphoniker und schon nach den ersten der Takten der Ouvertüre ist klar: Die erste Produktion der diesjährigen Festwochen ist musikalisch eine Sensation. Zum einen ist es die zugrundeliegende, eben erschienene, von zahllosen späteren Überarbeitungen gesäuberte "Fledermaus"-Fassung, zum anderen das respektvolle Streben Harnoncourts nach Authentizität, die den Abend zu einem einzigartigen Hörerlebnis machen: Das Straußsche Îuvre ist eben kein Monolith, der überragend und einsam in der Musik-landschaft herumsteht, sondern es baut naturgemäß auf einer Tradition auf, die Harnoncourt hörbar macht - Originalklang der ganz anderen Art.

Auch von der Bühne tönt höchste Qualität: Mit Silvana Dussmann steht eine hervorragende, sehr wienerische Rosalinde zur Verfügung, mit Isabel Rey eine ausgezeichnete Adele. Der heftig akklamierte Star des Abends ist jedoch Agnes Baltsa als Prinz Orlofsky. Gegenüber dieser geballten Frauen-Power haben es die männlichen Darsteller nicht leicht, doch Olaf Bär als Dr. Falke, Anton Scharinger als Frank sowie vor allem Ernst-Dieter Suttheimer als neurosengeschüttelter Advokat Dr. Blind und betrunkener Diener Ivan stehen ihren Mann.

Im Gegensatz zur Volksoper, wo kürzlich eine vornehme, elegante "Fledermaus" in Szene gesetzt wurde, hat Jürgen Flimm im Theater an der Wien die andere Möglichkeit der zeitgemäßen Operetteninszenierung gewählt: schräg und schrill im obligaten Retro-Look (Kostüme: Birgit Hutter). Nicht in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen, sondern im Milieu der Neureichen und Möchtegerne startet Dr. Falke seinen Rachefeldzug. Dem Parvenü Eisenstein (Wolfgang Brendel), der im Grunde jener Vorstadtschlurf geblieben ist, der er einmal war, wird ein rauschendes Fest vorgegaukelt. Die Organisatorin Ida (Mercedes Echerer) hat dazu arbeitslose Künstler engagiert, Dr. Falke konnte seine Freundin Agnes Baltsa gewinnen, in die Rolle des russischen Gastgebers zu schlüpfen. Ihr kann das sich als Carmen-Interpretin ausgebende Girlie Adele nichts vormachen ...

Um die Demütigung perfekt zu machen, läßt Dr. Falke sogar Eisensteins Wohnung in ein Gefängnis umbauen. Da hapert's zwar etwas mit der Logik (so betrunken kann der echte Gefängnisdirektor Frank nicht sein, um auch auf die Täuschung hereinzufallen), doch darüber rettet Erwin Steinhauer als überragender Frosch hinweg. Als Schauspieler engagiert, um im bösen Spiel des Dr. Falke den Part eines Gefängniswärters zu übernehmen, macht der ziemlich heruntergekommene Mime sich über seinen Kollegen und Über-Frosch Otto Schenk lustig und extemporiert wüst über die Wiener Theaterlandschaft. Wenn er das Regietheater und den scheidenden Burgtheaterdirektor von der Bühne herab durch den Kakao zieht, tritt er unfreiwillig in die Fußstapfen Richard Lugners. Doch das sei ihm verziehen, angesichts von Scherzen wie: "Sie san ja der Harnoncourt! San des wohl lauter alte Instrumente?"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung