Origineller Kopf mit Witz

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Rechtzeitig zum 75. Geburtstag erscheinen die Tagebücher aus den Jahren 1971-1972 von Peter Rühmkorf: eine "private Sozialgeschichte", ein Patchwork an Einfällen und Reflexionen.

Die Jahre, die Ihr kennt" heißt ein Buch von Peter Rühmkorf, das zu seiner Zeit ein regelrechtes Kultbuch wurde. Kennt man sie überhaupt noch, die frühen 70er Jahre, die Zeit der Studentenrevolte, der Emanzipation, der Umwertung aller bürgerlichen Werte? Rühmkorf gibt sie zur Besichtigung frei, und zwar in Form von Tagebüchern: Unbearbeitet, ungeschönt, ohne Nostalgie und ohne späteres Besserwissen. Ein "Zusammenharken von fallfrischem Laub", wie er es nennt, ein Hoffen, "daß sich aus den welken Blättern schließlich ein Komposthaufen bildet."

Stets absturzgefährdet

Zu besichtigen ist ein Schriftstellerleben, das einem Hochseilakt gleichkommt - absturzgefährdet, schwebend zwischen den Gattungen, alles andere als erfolgsorientiert und vor allem: ohne finanzielle Absicherung. "Ich brauche Geld, Geld, Geld," heißt es gleich zu Beginn der 400 Seiten. Wir schreiben die Jahre 1971/72. Rühmkorf ist zu diesem Zeitpunkt immerhin schon 42 und hat - wie er bitter resümiert - erst einen einzigen Literaturpreis bekommen. Seit Jahren versucht er sich erfolglos als Theaterautor, seine Lyrikproduktion ist ins Stocken geraten. Von Hauptberuf ist er ein wacher Zeitgenosse, ein linker, politisch orientierter Publizist, aber keineswegs dogmatisch, wie seine kritische Haltung zur Baader- Meinhof-Gruppe zeigt. Ein origineller Kopf von treffsicherem Witz, der zuletzt die Anthologie "Über das Volksvermögen" herausgegeben hat, Gereimtes aus dem Souterrain, von den Abzählreimen bis zu den Klosprüchen. Zur offenen Form des Tagebuchs, das er als eine "private Sozialgeschichte" begreift, ist der stets satirisch Gestimmte geradezu prädestiniert. "Die ehrpusslig prüde Gesellschaft" will er auf die Schippe nehmen. Seine Gewährsmänner heißen Benn und Ringelnatz und tatsächlich findet man beide in den Gedichten dieses Schnoddermauls wieder. Die ausgeprägte Selbstironie, mit der er sich sonst im Wege steht, kommt ihm diesmal zugute. Gefeit vor Selbstmitleid und Selbstüberschätzung, respektlos und nüchtern seziert er seinen nicht immer nüchternen Alltag. Das Tagebuch solle ein Gegenteil von Öffentlichkeitsarbeit sein, merkt er kritisch gegenüber Max Frisch an. Ebendieses Gegenteil gelingt ihm. Und es gelingt ihm, für seine ureigenste Form von Aufzeichnung immer wieder neue Bilder zu finden. Den Erinnerungsband "Die Jahre, die Ihr kennt" nennt er eine "ganz gehaltvolle Wundertüte, die etwas ans Licht bringt, was mir selber nie so klar gewesen war: in voller Länge mich." Und das Tagebuch? "Eigentlich auch nur sone Kleenex- Wickelrolle. Man wischt 'n paarmal den Schreibtisch ab und betrachtet die anhängenden Fusseln interessiert als authentische Zeitdokumente."

In voller Länge: mich

Es sind die extremen Schwankungen zwischen Höhenflügen und Abstürzen, die Rühmkorfs Bohème-Dasein ausmachen. Die Honorarvorstellungen, die er an den Rowohlt Verlag heranträgt, werden gleich einmal um eine Null korrigiert. "konkret"-Verleger Klaus Rainer Röhl, mit dem er wegen einer festen Anstellung sprechen möchte, meldet sich nicht. Die Inszenierung seines Stücks "Volsinii", einer Satire auf den Spätkapitalismus, im Deutschen Theater Ostberlin kommt nicht zustande. Er muss merken, dass die junge Generation seine anspielungsreiche Lyrik nicht versteht. Die allgemein verfügbaren "Wörterkübel", aus denen er immer geglaubt hatte zu schöpfen, sind gar nicht bekannt.

Doch es gibt nicht nur Niederlagen. Ins Bonner Palais Schaumburg wird er zu einem Schriftstellerempfang eingeladen. Rühmkorf erscheint wie gewohnt in Parka und blauem Rollkragenpullover und schämt sich schrecklich. Seine Kollegen wundern sich, dass ausgerechnet er beim Essen neben Gustav Heinemannn sitzen darf. Die Bestandteile des anschließenden Besäufnisses werden säuberlich aufgezählt. Auch hierin scheint Rühmkorf wahrheitsliebend zu sein.

Es sind nicht nur die Fakten aus einer völlig anderen Zeit, die den Reiz dieser Aufzeichnungen ausmachen, es ist der Tonfall, mit dem sie Rühmkorf serviert. Durch dieses Patchwork an Einfällen und Reflexionen geht der Leser wie durch einen Rohbau, treppauf oder treppab, er verlässt aber doch nie das Tageslicht der klaren Gedanken.

Tabu II

Tagebücher 1971- 1972

Von Peter Rühmkorf

Rowohlt Verlag, Reinbek b. H. 2004

416 Seiten, geb., e 23,60

Wenn Peter Rühmkorf mal so richtig ICH sagt - dann kommt heraus ein Lese-Bilderbuch im Steidl-Verlag. Kein Familienalbum, das nur Interesse bei den Angehörigen wecken könnte. Sondern die spannende Dokumentation eines frechen, kreativen Schriftstellerlebens mit - teils noch nie veröffentlichten - Briefen, Skizzen und Fotos aus dem Privatarchiv des Vers-Virtuosen, wie ihn Hans Magnus Enzensberger nannte.

Wenn ich mal richtig ICH sag...

Von Peter Rühmkorf. Steidl Verlag, Göttingen 2004. 272 Seiten mit zahlr. Abb., geb., e 30,40

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