Ort leidvoller Geschichte

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Zur Enthüllung des Mahnmals am Wiener Judenplatz für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Österreich am 25. Oktober.

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Zur Enthüllung des Mahnmals am Wiener Judenplatz für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Österreich am 25. Oktober.

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Nach jahrelangen Kontroversen wird nun Rachel Whitereads Mahnmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Österreich enthüllt - auf dem Judenplatz, einem Ort, der wohl wie kein anderer für die leidvolle Geschichte der Juden in Wien steht. Noch unter den Babenbergern siedelten sich hier Juden an und errichten am damaligen Schylhof als Zentrum ihrer Gemeinde eine Synagoge. Es war die Zeit des kanonischen Zinsverbotes, das aber so nur für Christen galt. 1195 bestellte Herzog Friedrich I. Schlom, den ersten in Wien namentlich bekannten Juden, zum Münzmeister.

Das 4. Laterankonzil 1215 brachte nicht nur das Dogma der Transsubstantiation (die Hostie ist wahrhaft Leib Christi), sondern eine Reihe von Judendekreten (Kleidervorschriften, Zinsbeschränkungen). Sowohl der Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen als auch der österreichische Herzog Friedrich II. der Streitbare erließen in weiterer Folge Judenordnungen, die persönlichen Schutz der Juden durch die Obrigkeit für die Zahlung der den Fürsten zustehenden Judensteuer versprachen. Wenn der dabei festgelegte Höchstzinsfuß von etwa 170 Prozent konfiskatorisch anmutet, ist zu bedenken, dass er im Wesentlichen nur Drohbedeutung hatte. Trotzdem waren die hohen Einnahmen der Juden aus Kredit- und Pfandgeschäften bekannt und auch Grundlage für die Ergiebigkeit der landesfürstlichen Judensteuer.

Ausgehend von Paris (1290) über Deutschland wurde dann auch in verschiedenen österreichischen Orten, so in Korneuburg (1305) oder in Pulkau (1338) von geschändeten, blutigen Hostien berichtet. Dies war Anlass für Pogrome, aber auch für kirchliche Untersuchungen dieser Ereignisse, die meist die Unhaltbarkeit der - gelegentlich auch von einzelnen Geistlichen - inszenierten Vorwürfe aufzeigten. 1307 kam es auch in Wien wegen eines angeblichen Hostiendiebstahls zu Vorwürfen gegen die Juden. Nur das energische Eingreifen Albrechts I. verhinderte damals Schlimmeres.

1415 wird der Reformator und Professor der Prager Universität Johannes Hus als Ketzer verurteilt und verbrannt. Es kommt daraufhin in Böhmen zu Unruhen, dem Ersten Prager Fenstersturz, und in weiterer Folge zu den Jahrzehnte dauernden Hussitenkriegen. Zweifelhaft religiös verbrämte Vorwürfe und der Verdacht der Konspiration mit den Hussiten geben Herzog Albrecht V. (später Kaiser Albrecht II.) die Grundlage für die Judenverfolgung von 1420 ("Geserah"). Es ergeht der herzogliche Befehl, die Juden in den österreichischen Städten gefangen zu nehmen und ihr Vermögen zu Gunsten der herzoglichen Kammer einzuziehen. Die damit auch für viele Wiener verbundene Schuldentlastung sowie der wirtschaftliche Neid hatten wohl auch unrühmlichen Anteil an dieser Maßnahme und an der Zerstörung der ersten jüdischen Gemeinde in Wien.

Das gotische Reliefbild am Haus zum Jordan (Judenplatz 2) erinnert an die Verbrennung von 200 Juden, dem traurigen Höhepunkt der Geserah am 12. März 1421. Der lateinische Text unter dem Bild der Taufe Jesu im Jordan lässt religiöse Verwirrung, nicht aber die sonstigen schändlichen Motive für dieses Vorgehen erkennen: "Durch die Fluten des Jordan werden die Körper von Schmutz und Übel gereinigt. Alles weicht, was verborgen ist und sündhaft. So erhob sich (im Jahre) 1421 die Flamme des Hasses, wütete durch die ganze Stadt und sühnte die furchtbaren Verbrechen der Hebräerhunde. Wie damals die Welt durch die Deukalionischen Fluten gereinigt wurde, so sind durch das Wüten des Feuers alle Strafen verbüßt."

Die Synagoge, in der es im Herbst 1420 zu einem Massenselbstmord (wie in Massada) gekommen sein soll, wird niedergerissen. Die Steine werden zum Aufbau der (jetzt: Alten) Universität verwendet.

Trotz dieses fürchterlichen Geschehens wählen Juden einige Jahrzehnte später Wien wieder zu ihrem Wohnort; auf diesen Platz kehrt die jüdische Gemeinde aber erst um die Jahrhundertwende mit der Übertragung des in der westlichen Ecke des Platzes etwas zurückgesetzten klassizistischen Hauses, des Misrachi-Bethauses, wieder zurück.

In dieses historische Spannungsverhältnis des Platzes zwischen dem spätgotischen Reliefbild und dem Misrachi-Haus wurde in einer am Furchtbaren bereits mehr als schwangeren Zeit im Juni 1935 das (erste) Lessing-Denkmal enthüllt. Nachdem Goethe und Schiller bereits im Zuge des Ringstraßenbaues Denkmäler erhalten hatten, fand damit der erste deutsche Klassiker, der als deutscher Vertreter der Aufklärung und Vernunft insbesondere mit seinem Drama "Nathan der Weise" und der darin enthaltenen Ringparabel den oder zumindest einen Weg der Versöhnung für das Zusammenleben der Menschen verschiedenen Glaubens aufzeigte, ein repräsentatives Denkmal. Dieses Zeichen in der Person Lessings konnte das Furchtbare aber nicht verhindern, das Denkmal selbst 1939 abgetragen und während des Krieges eingeschmolzen.

Seit 1981 befindet sich wieder ein Lessing-Denkmal an jenem Platz: Eine überlebensgroße Bronzefigur des Dichters, in Reisekleidern aufrecht hinaufschreitend auf dem stufenförmigen Steinsockel. Im Rücken das gotische Reliefbild mit der erschreckenden lateinischen Inschrift, vor ihm das neue Denkmal und die darunter liegenden Reste der 1421 zerstörten Or-Saria-Synagoge. Die Kopfhaltung Lessings ist gesenkt; vielleicht betroffen fragend, ob jemals, sei es durch die Vernunft der Menschen oder durch eine Wandlung der Herzen kollektive Verhetzung und Schuldvorwürfe durch individuelles Bemühen und gegenseitiges Verständnis in einer friedlichen Gesellschaft abgelöst werden?

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