Wiener - © Foto: APA / Herbert Neubaue

Oswald Wiener: Dort weiterdenken, wo es wehtut

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Oswald Wiener, Multitalent und prominenter Vertreter der österreichischen Avantgarde, ist am 18. November gestorben. Sein Werk wird bleiben.

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Oswald Wiener, Multitalent und prominenter Vertreter der österreichischen Avantgarde, ist am 18. November gestorben. Sein Werk wird bleiben.

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Als Heranwachsender im Wien der späten 1940er, frühen 1950er Jahre kommt Oswald Wiener über die Rundfunkstation der Amerikaner, das Blue Danube Network, mit dem Jazz in Berührung. Er liest „Shining Trumpets“ von Rudi Blesh, fährt mit dem Fahrrad nach Basel, um Jazz-Platten zu kaufen, spielt das Kornett, lernt Konrad Bayer und über ihn H. C. Artmann und Gerhard Rühm, später Friedrich Achleitner kennen. Er studiert afrikanische Sprachen, Musik- und Rechtswissenschaft und prägt in den Jahren 1955 bis 1959 entscheidend die theoretische Ausrichtung der „Wiener Gruppe“. Diese wichtigste Gruppierung der deutschsprachigen Nachkriegsavantgarde ist den zeitgleichen, sogar leicht späteren internationalen Bewegungen wie den französischen Situationisten, dem US-amerikanischen Happening und Neo-Dada im Rang zumindest gleichzustellen.

Auf diese Phase der frühesten künstlerischen Produktion, die Oswald Wiener mit der Vernichtung des bis dahin Geschriebenen (vor allem sogenannter konkreter und experimenteller Texte) und seinem kurzfristigen Ausscheren in eine bürgerliche Existenz (als Abteilungsleiter der österreichischen Niederlassung des italienischen Büromaschinenherstellers Olivetti) beendet hat, greift sein literarisches Hauptwerk „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ (1969) zurück. Es wendet sie jedoch auch radikal um, bricht mit ihr in ästhetischer Ausrichtung und Intention. Dieser Bruch kann als die notwendige und einzig mögliche Entwicklung der Avantgarde gesehen werden, als ihre Überwindung und Fortführung, in Form eines „Sprachkunstwerks, das Selbstmord begeht“. Der Autor sägt permanent an dem Ast, auf dem er sitzt, jeder einzelne Satz ist so geschrieben, dass man – in logischer Hinsicht – sich selbst die Grundlagen entzieht, ein Sprachkunstwerk, das die Sprache kalauernd verachtet und künstlerisch denunziert: eine Unmöglichkeit, ein Widerspruch in sich selbst.

Kritik am Behaviorismus

In den ersten Teilen ist die „verbesserung“ auch und vor allem Kritik an der „Sprachmetapher“, an der Überschätzung der Rolle, die Sprache für das Denken, für Kunst und für Wissenschaft spiele. Denn dies führe zwangsläufig zu einem behavioristischen Verständnis des menschlichen Denkens: der Mensch als von verschiedenen Medien, vor allem durch die Sprache, außengesteuertes Wesen. Mit dem Abschlaffen des linguistic turn, dem Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie der Königsweg aller wissenschaftlichen Betrachtung waren, geht auch eine weitreichende Kritik ihrer Galionsfigur, Ludwig Wittgenstein, einher.

Die „verbesserung“ kann als eines der ersten postmodernen Prosawerke gelten, das etwas später aufkommende dekonstruktive Lektürepraxen bereits in seinen Produktionsprozess inkarniert hat. Sie nimmt den erkenntnistheoretischen Anarchismus oder philosophischen Dadaismus Paul Feyerabends vorweg. Die späteren Abschnitte modellieren als ein sich selbst beharrlich aushebelnder Essay, der zugleich seine eigene Persiflage ist, die Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften als ein Amalgam von Politik, Staatenlenkung und Statistik. Dieser wissenschaftlichen Auffassung, die im 20. Jahrhundert (und auch im beginnenden 21. Jahrhundert) zur eingefleischten Theorie des Weltbilds aufgestiegen ist, hält der die „verbesserung“ beschließende Abschnitt über den „bio-adapter“ einen Zerrspiegel vor.

Mit ihm entwirft Wiener das Glücksversprechen eines Glücksanzugs und der Virtual Reality (noch bevor es diesen Begriff gegeben hat) in der Fusion von Mensch und Maschine (Cyborg). Obwohl er es zugleich untergräbt, sei der „bio-adapter“ dennoch – so die Überzeugung des Autors – unsere Realität und biete die „erste diskutable skizze einer vollständigen lösung aller welt-probleme“. Es ist die „behavioristische psychologie“ und der Behaviorismus insgesamt, der im „bio-adapter“ realisiert ist und zugleich als das Grundübel der abendländischen Sozietäten und ihrer Weltbilder entlarvt wird. Im „bio-adapter“ versucht der Autor, die damals junge Wissenschaft „Kybernetik“ zu präsentieren gleichwie zu unterminieren, denn sie stütze via politische Organisation, Medizin, Naturwissenschaft die Staatsdoktrin. Ein am Individualanarchismus Max Stirners orientierter Ansatz soll diesen in die Kybernetik hineintragen, zuerst mit der Hoffnung, die Position des Einzelnen und seines Bewusstseins gegen die mechanistische Ausrechenbarkeit zu stärken. Als auch dies als unzureichend erkannt wird, bleibt nichts als eine Kapitulation in Richtung Nihilismus: Gehen dem Einzelnen die Mittel aus, sein Bewusstsein als etwas Nicht-Mechanisches zu erklären, findet er sich mit der allgegenwärtigen Erklärungsmacht des Mechanischen ab.

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