Pakete aus dem Himmel

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Warum es vermehrt Schneekatastrophen schneit statt Romantik und wie sich Schnee mit Kapital und Poesie mischt. Ein Gedankengestöber zum Beginn der Semesterferien.

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Warum es vermehrt Schneekatastrophen schneit statt Romantik und wie sich Schnee mit Kapital und Poesie mischt. Ein Gedankengestöber zum Beginn der Semesterferien.

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Die Wissenschafter des UNO-Klimarates wehren sich vehement dagegen, als Klimapropheten dargestellt zu werden, weil das weder ihrem Beruf noch ihrem Selbstbild entspricht. Dass sie von der UNO und den Medien trotzdem dazu gemacht wurden, hat die Debatte einigermaßen vergiftet. Vor allem, weil die eine oder andere ihrer Berechnungen sich als unwissenschaftlich herausgestellt hat. Einige Klimakundige können sich aber heute mit Fug und Recht Propheten nennen, und die FURCHE kann dafür ein schönes Beispiel liefern. Es handelt sich konkret um Wolfgang Behringer, einem Klimahistoriker an der Universität Saarbrücken. In einem Interview mit dieser Zeitung im Februar 2013 zum Thema Schnee wurde er nach der Zukunft von Schnee in den Alpen gefragt -und man muss hinzufügen: Damals aperten die Alpen eine Zukunft ohne Schnee buchstäblich heraus. Und die bange Frage lautete: "Nie mehr Schnee, Herr Behringer?"

Behringer sprach also, besser gesagt, er widersprach also: "Es wird Schnee geben, aber irren Schnee. Jedenfalls so, dass die Leute sagen werden, so etwas habe es noch nie gegeben. Ein japanischer Physiker, Ukichiro Nakaya, hat einmal gesagt, Schneeflocken seien Briefe aus dem Himmel. Insoferne werden das dann keine Briefe mehr sein, sondern Paketsendungen." In diesem Sinne - angesichts der "Paketsendungen" der vergangenen Wochen und der oft gehörten Redewendung, dass "sowas noch nie dagewesen" sei -muss man also Herrn Behringers Gespür für Schnee bewundern. Nun ergeben sich aus Behringers These aber Schlussfolgerungen, die dahin laufen, dass wir unser romantisches Verhältnis zum Schnee ändern sollten. Denn wenn wir ihn aus einiger kühler Distanz betrachten, bemerken wir, dass wir uns schon jetzt in einem ständigen Kippen und Rutschen zwischen zwei Extremen befinden: Dem Kampf UM oder dem Kampf GEGEN den Schnee. Der Schnee befindet sich da gleichsam in einem bizarren Gleichschritt mit unserer Kultur: Je heißer das Klima -desto extremer die Positionen. Und desto seltener ist der vielzitierte "Normalzustand" der Ausgewogenheit. In der Politik wie auch im Schneegestöber.

Gemeines und privates Kapital

Bemerkenswerterweise zeigt sich im Kampf GEGEN den Schnee eine gewisse Dürre, was Zahlen und Daten betrifft. Die Frage etwa "Wieviel kostet die Schneeräumung?" kann nicht abschließend beantwortet werden. Statistische Löcher wohin man blickt. Nur eins ist sicher: Es ist teuer. Mehrere hundert Millionen Euro im Jahr. Und eine Gesetzlichkeit gibt es dazu auch: Wenn Schneefall zur Katastrophe wird, werden Straßenmeisterei, Bundesheer und Bergrettung gerufen. Als Problem wird Schnee also vergemeinschaftet. Wenn er brav und gewinnbringend ist, dann bleibt er schön privatisiert. Das ist auch gut so bis auf die Frage: Wer zahlt was und wieviel?

Übrigens ist der Umgang mit Schnee durch den Staat oder halb-öffentliche Unternehmen ein stark unterbelichtetes Kapitel. Denn so manche Heldentat passiert da unbemerkt. Ohne also privaten Bahnbetreibern an den Waggon fahren zu wollen. Aber hätten Mitarbeiter der Privatbahn X die Zeit gehabt, eine Gämse aus dem Schnee zu schaufeln? Oder wären sie wegen artfremder Tätigkeit entlassen worden? Und doch wurde die ÖBB-Gämse zum Renner - im echten Leben wie im Internetz.

Beim "Kampf UM Schnee" sind wir hingegen um so reicher an Datenwerk. In diesem Konfliktfeld zeichnen jedenfalls die Schneekanonen einen klimatischen und ökonomischen Frontverlauf zwischen Natur und Zivilisation. 19.000 davon gibt es in Österreich und sie verkleistern insgesamt 16.000 Hektar mit Kunstschnee. Um den Schnee zu erzeugen, braucht man wiederum soviel Strom wie für eine 14.000 Einwohner zählende Stadt und pro Hektar sechs Millionen Liter Wasser.

Das ist der Einsatz, will man 71 Millionen Nächtigungen pro Winter, Tausende Arbeitsplätze und 14 Milliarden Euro Umsatz. Das Ganze hat natürlich mehrere Preise. Zum Ersten: "Schneekanonen befeuern den Klimawandel", sagen die Alpenschützer (ein sachdienliches Interview dazu finden Sie auf Seite 5). So gingen bis zu 70 Prozent des Wassers aus Bächen und Quellen in intensiv bewirtschafteten Skigebieten für die "technische Beschneiung" auf, und zwar selbst dort, wo es Schnee in Hülle und Fülle gibt. Warum? Weil der Schnee vom Himmel "zu pulverig" ist oder Mulden und Senken aufgefüllt werden.

Hätte die Ökonomie für eine solche Strategie ein Wort, es müsste "kontraproduktives Wachstum" oder "destruktives Wachstum" heißen. Es würde eine Strategie bezeichnen, in der das Wachstum an Erfolg die Grundlage des Erfolgs (Landschaft) zerstört. Und nein, diesen Fachbegriff gibt es nicht. Daran hängt sich wieder eine Frage, sozusagen ins ökonometrische Schneegestöber hinein: Warum nicht?

Sie sehen, das bisher Geschriebene ist alles Windhauch. Es kommen zu wenig erschöpfende Antworten. Vermutlich weil wir mit bloß rationalem Instrumentarium dem Schnee gar nicht gerecht werden, wie wir uns selbst vermutlich auch nicht. Schnee ist einfach mit Zahlen gar nicht zu beschreiben.

Verwehte Weisen

Er ist vielmehr mit alteingelernten Emotionen verbunden. Sie wehen gewöhnlich bereits im zartesten Alter durch die Kinder-und Wohnzimmer und riechen immer ein wenig nach Lebkuchen und Christbaum. Nicht umsonst lieben die Poeten den Schnee und die Flocke ganz ungeheuer. Zwischen Engleinflaum und niedlichem Stern gibt's putzige Fenster auf die der Frost malt Blumen und Blätter, wer hättʼ das nicht gern?

Und warum die menschliche Nähe zum Frostkristall? Darauf gibt es mehrere Antworten. Zunächst eine psychologische. Schnee beruhigt ungeheuer. Er dämpft die Geräusche, schafft über äußere die innere Ruhe. Studien belegen, dass eine Woche Urlaub im Schnee nachhaltiger entspannt als zwei Wochen am Meeresstrand. Das alles trifft zu, bloß hat der Psychologe die Rechnung ohne die Après-Ski-Tränke gemacht, wo die Stille von einer Lawine an Lärm und Suff in den Talboden gewummert wird.

Als die Zeit noch stiller war, in der Eiszeit, so meinen einige Zivilisationsforscher, hat der Aufstieg des Menschengeschlechtes zu seiner weltbeherrschenden Stellung begonnen. Im Schnee sei den meisten Tieren die Strategie ausgegangen, mit der Kälte umzugehen, der Mensch aber dehnte seine Sphäre mit Feuer, Fellen, Höhlen und Erfindungsreichtum bis an den Polarkreis aus.

Statistisch gesehen verschwinden noch immer jedes Jahr 50 Millionen Quadratkilometer der Welt unter einer Schneehaube. Sie hat ein so unglaubliches Gewicht, dass es die Drehung der Erde verlangsamt. In diesem Sinn trägt weniger Schnee zu einer erhöhten Winkelgeschwindigkeit bei. Die Erde dreht sozusagen eine Pirouette.

Von Flocken und Kanonen

Und weil wir hier unversehens bei Astronomie und damit in der Mathematik gelandet sind, soll das letzte Wort dieser Geschichte Johannes Kepler gehören. Man stelle sich ihn vor, wie er am Weihnachtstag 1611 aufgeregt durch den Schnee von Prag zu seinem Freund Wacker von Wackerfels stürmt, mit einem Umschlag in der Hand. Darin auf wenigen Seiten der Gedankenbeweis, dass die Schneeflocke ein Sechseck sein muss, weil das die von der Natur aus effizienteste Art der Schichtung ist.

Angeregt zu dieser Arbeit hatte ihn ein Mathematiker in Diensten eines englischen Feldherrn, der zu erfahren wünschte, wie Kanonenkugeln an Bord von Schiffen am besten zu stapeln seien und wie dabei die höchste Dichte und Stabilität erreicht würde. So kam der Schnee zum Krieg und der Krieg zum Schnee. Und wer nun genau hinsieht auf den Schnee und seinen künstlichen Bruder, der bemerkt, dass das alles wieder gefrierend aktuell ist. Weil die pulverige Schneeflocke ein Sechseck ist und der Kunstschneekristall eine Kugel. Und dieser kleine Unterschied ist auch letztlich die Ursache für den Schneekrieg 2019: Wir sind zu plump für die Flocke -und wahrscheinlich für die Welt insgesamt.

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