Papiergötter und Freigeistsöhne

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"Götter & Söhne“: Unter diesem Titel zeigt der Carinthische Sommer in Ossiach drei "Minutenopern“ und eine Kantate von Darius Milhaud.

Die Querelen und Streiche der antiken Götter wirken wie ein inszenierter Comic, in dem alles aus Papier ist. Nur eine Pause und einen Innenhof entfernt geht es dann mit dem diesjährigen Musiktheater des Carinthischen Sommers weiter. In der Ossiacher Stiftskirche versetzt Regisseur Titus Hollweg "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ in einen biederen Haushalt der 1950er Jahre. Und die Klammer dieses zweigeteilten Abends ist die Musik des Komponisten der Provence, Darius Milhaud.

Fröhliche Götterparty

Die fröhlich-sarkastische Götterparty im Alban-Berg-Saal lässt die Lust des Komponisten an den drei "Minutenopern“ deutlich spüren. Milhaud schrieb sie 1927. Den Auftrag bekam er damals von Paul Hindemith, für sein Festival der zeitgenössischen Musik in Donaueschingen. Und er lautete: "So kurz wie möglich!“ Das war keine Sparmaßnahme, sondern tätige Kritik gegen Opernereignisse wie den "Ring“ … In den drei Opéras-minute beim Carinthischen Sommer 2011 spürt man diese charmante Lust an der Persiflage vermeintlich todernster Dinge - in Milhauds Musik, die würdevoll gesetzte Chorchoräle und Melodiöses mit clownesquen Einwürfen der Bläser, der Percussionsinstrumente und mit emotionalisierten Kurzduetten aufbricht.

Die hier eingesetzte Musik ist eine Art Milhaud-Collage, als deren Auftakt die Uraufführung von "Neige sur le fleuve“ eingesetzt wurde. Das klangmalerische Werk fordert Aleatorik - also kleine, merkliche Schwankungen bei jeder Aufführung. Es folgen die Minutenopern "Der befreite Theseus“, "Die Entführung der Europa“ und "Die verlassene Ariadne“. Als Verbindung zwischen den (sehr kurzen) Arien und Duetten erklingen Sätze aus Milhauds Petite Symphonie Nr. 6. Aber so langwierig wie diese Aufzählung ist es nicht: Die Musik sprudelt oder versucht witzig "Würde“ zu wahren. Frech, manchmal fast slapstickartig unterstreicht dies Titus Hollwegs Inszenierung: die aufgeblähten, eitlen Egos der Götter in weißem Papier, das ritualisierte Schreiten des griechischen Chores über eine weiße Matte, das "Aus-Muhen“ der Europa, die vom Zeus-Stier hoffiert wird, der Plastik-Brustpanzer des Theseus, der eigens am Draht geführte Papierschmetterling oder das Papierschiffchen, dessen Sich-Entfernen durch kleinere Papierschiffchen, die von Hand zu Hand gehen, auf die Bühne gebracht wird. Alles kluge Mittel, um das Amüsante und (All-)Gemeine dieser selbsternannten Promi-Gesellschaft ins Licht zu rücken. Die Ironie hat nur bei einer Sache nichts verloren: bei den schönen, frischen Stimmen der Solistinnen Claudia Guarin, Judith Halász und Heidi Manser und der Solisten Sebastian Huppmann, Stefan Reichmann, Steffen Rössler und Steven Scheschareg.

Fünf von ihnen schaffen dann, gemeinsam mit der Regie und der präzisen Camerata Schulz, einen totalen Schwenk in ein anderes Fach, in eine andere Stimmung, in ein nahegehendes Psychodrama. Der zweite Teil von "Götter & Söhne“ ist die Kantate "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“, die Milhaud nach einem Text seines Freundes André Gide schrieb.

Kontrast von Milhaud und Lully

Diese Werkwahl des CS-Intendanten Thomas Daniel Schlee hat etwas Symbolisches: "Der verlorene Sohn“ von Benjamin Britten, der hier 1975 gespielt wurde, steht für die Tradition der Kirchenoper in Ossiach. Neu ist die Figur eines jüngeren Bruders des Zurückgekehrten - er ist gleich angezogen und denkt ans Weggehen. Das Familiendrama der Rückkehr und dieser erneuten Regung des freien Geistes und Willens geht in ihrer Schlichtheit, Interpretation und Emotionalität (ohne Pathos) tief unter die Haut. Die gesungenen Dialoge gehören zu einem expressiven Milhaud - die gruppendynamischen Szenen am Familientisch werden mit Lully-Musik unterlegt: ein äußerst gelungener Kontrast.

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