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Johannes Paul II.: Während sich die Medien in öffentlicher Krankheitsbegleitung üben, reizt das neue Papstbuch "Erinnerung und Identität" auch zum Widerspruch.

Alles, was man für oder gegen diesen Papst sagen kann, wird unwichtig vor dem, was sich nun im Vatikan abspielt. Durch seine Existenz im Leiden, durch sein öffentliches Dahinsterben sprengt Johannes Paul die Begrenzungen der Katholischen Weltkirche." Mit ergriffenen Worten deutete Günther Nenning für die Leser der Krone die römischen Ereignisse. Und der Autor, der mittlerweile jeden braven Christen an Frömmelei überholt, nimmt in der zitierten Kolumne gleich die Medien mit aufs Korn: "Das weite, sehr weite Reich des Leidens: Es ist unterbelichtet, im Vergleich zur Flut der Neuigkeiten, die immer die gleichen sind; und zur Sensation und zum Skandal, die das tägliche Brot des beklagenswerten Medienbetriebs sind. Dazu die täglichen unerfüllbaren Versprechen des Journalismus: So wirst du reich! So bleibst du fit! So hast du ständig Spaß, vor allem: Sex! Und so bleibst du jung und schön, du bist quasi unsterblich!"

Solch Mesalliance zwischen Papsttreue und Boulevard kann in diesen Tagen sauer aufstoßen: Die Öffentlichkeit seines Leidens - vom Papst selbst und seiner Umgebung, so hart dies klingt: mitinszeniert - ist ein idealer Stoff für die Branche der Betroffenheitsmedien, und die Verteidiger dieses Schauspiels (Nenning: "Indem dieser Papst lebt und leidet, führt er der Welt ein Schauspiel der Ergebung in Gott vor.") arbeiten selbst mit an der Entwürdigung, die diesen Vorgängen innewohnt: Die ganze Welt ein virtuelles Konsilium am Bett des prominenten Patienten, Expertisen und Gegenmeinungen über Luftröhrenschnitte inklusive. Würde eines Schwerkranken heißt auch Respekt vor der Intimität und Diskretion - aber das passt weder zu den medialen Mechanismen noch zum Selbstverständnis dieses Pontifikates.

Die Verbindung von Papst und Boulevard zeigte sich dieser Tage auch bei einer inhaltlichen Auseinandersetzung, welche - sollte man meinen - wichtiger ist als jede öffentliche Krankheitsbegleitung: Der deutsche Verlag des jüngsten Papstbuches "Erinnerung und Identität" erkor sich ausgerechnet die Bild-Zeitung zum Partner für Vorabdrucke aus dem Buch, wiewohl die darin enthaltenen Monologe des Papstes als Antworten auf kurze Fragen zweier polnischer Philosophen kaum für den Boulevard taugen.

Es entspricht ebenfalls medialen Gesetzmäßigkeiten, dass - angesichts der Krankheit des Autors - "Erinnerung und Identität" schon zu einem Vermächtnis stilisiert wird. Der Papst setze darin Abtreibung und Holocaust gleich, so eine der Vorab-Aufregungen zu diesem Buch. Auch wenn die tatsächlichen Formulierungen solcher Zuspitzung nicht direkt entsprechen, so stimmt doch die Tendenz: Für diesen Papst sind Nationalsozialismus und Kommunismus (im Buch oft in einem Atemzug genannt) Folgen einer gottlosen "Ideologie des Bösen", und es sei diese Ideologie, die gleichfalls die Abtreibung - oder auch homosexuelle Lebensgemeinschaften - rechtfertige.

Solch Denkweise des Papstes ist nicht neu, ihre Herleitung erfolgt im Buch aber über die Fundamentalkritik an der Aufklärung (mit Descartes habe die Abkehr von Gott im Denken begonnen...), ohne dass auch sich christlich gebärdende Ideologien des Bösen - etwa die Inquisition oder die Judenfeindschaft - angesprochen werden. Auch nicht zum ersten Mal formuliert Johannes Paul II. "die Ehescheidung, die freie Liebe, die Abtreibung, die Empfängnisverhütung" als eine Linie des moralischen Abstiegs. An anderer Stelle kann man wiederum lesen, dass neben der Demokratie auch die Monarchie und Oligarchie "annehmbare Lösungen" für die Verwirklichung von Gemeinwohl sein können.

Im späteren Verlauf des Buchs findet sich dem entgegen auch eine eindeutige Würdigung der Aufklärung. Und lange Exkurse über Vaterland, Nation und eine Interpretation der Entwicklung Europas aus dem Blick der polnischen (Heils-)Geschichte sind interessant und aufschlussreich, aber einem Nicht-Polen nicht immer zugänglich.

Georg Hoffmann-Ostenhof hat das neue Papstbuch im profil als "gefährlichen Unsinn" qualifiziert. Man muss sich dieser Wortwahl nicht anschließen. Und man wird vieles im Buch beherzigenswert finden. Aber Johannes Pauls II. kaum differenzierender Rigorismus in Moralfragen und seine jedenfalls teilweise Denunziation der Aufklärung zeigen, wo dieser Papst auch liberalere Katholiken vor den Kopf stößt und - hoffentlich - weiter zum Widerspruch reizt.

otto.friedrich@furche.at

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