Patriotische Sommerparty

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Woher haben die Autofahrer im Handumdrehen diese kleinen Fähnchen her, die plötzlich über den Dächern deutscher Autos flattern? Wer drapierte über Nacht die badetuchgroßen Deutschland-Flaggen an den Balkonen und Fenstern dieser Stadt? Wer schleppte, ohne dass wir es bemerkt hätten, all die Fernseher und Videobeamer in die Kneipen, damit die sportlichen Ereignisse den Besuchern sämtlicher Berliner Gaststätten ins Ohr gedröhnt werden?

Die wichtigste Ausrüstung für diesen Berliner Sommer ist die Biertisch-Garnitur: ein Tisch, zwei Bänke, dazu ein Fernseher, Deutschlandfahnen unterschiedlicher Formate und endlos viele Dosen Bier. Wer hingegen Tausende zum Fröhlichsein braucht, der besucht die "Feier-Meile" zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule. Hier stehen Wurst-und Bierbuden kilometerlang nebeneinander, Musik wummert, ein Riesenrad dreht sich, auch das noch.

Es ist ein eigenartiges Wir-Gefühl, das die Deutschen erfasst hat. Nach der Bild-Zeitungs-Losung "Wir sind Papst!" heißt die Devise nun "Wir sind Fußball!" Diese Art von Patriotismus hat mit Fußball nichts zu tun. Seine einzige Botschaft lautet: wir wollen die große Sommerparty. Wenigstens ein paar Wochen nicht an das Gewürge deutscher Reformpolitik denken müssen, an fünf Millionen Arbeitslose, an die große Koalition. Sogar dass das Fußballfest keineswegs nur von privaten Geldgebern finanziert wird, wie die Veranstalter beteuern, sondern den Steuerzahler mit mehreren Milliarden Euro belastet, interessiert bis zum 9. Juli keinen. Doch was, wenn Deutschland Weltmeister wird? Werden die Fähnchen auf den Autos dann zur Pflicht? Und müssen die Kinder bis Weihnachten mit schwarzrotgoldener Schminke im Gesicht herumlaufen?

Der Autor arbeitet am Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin.

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