Perfide, poetisch und plausibel

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Daniel Wissers Gedanken-Kopfstände rücken manches zurecht, was der vertrauten Perspektive entgeht. "Kein Wort für Blau" bietet kurze Prosatexte über absurde Begebenheiten und skurrile Persönlichkeiten.

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Daniel Wissers Gedanken-Kopfstände rücken manches zurecht, was der vertrauten Perspektive entgeht. "Kein Wort für Blau" bietet kurze Prosatexte über absurde Begebenheiten und skurrile Persönlichkeiten.

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Ein satter blauer Untergrund, darauf vier Sprechblasen-Optionen, in jener mit den Unsicherheit signalisierenden Gedankenkreisen ist der Untertitel "Erzählungen" eingedruckt. Das ist ein raffinierter Trick, denn eigentlich enthält Daniela Wissers Band "Kein Wort für Blau" Geschichten, genauer sehr kurze Geschichten, die selten mehr als eine gute halbe Seite brauchen, um eine kleine Welt rund um absurde Figuren und Konstellationen aufzubauen. Es beginnt mit einem Herrn Oberhallinger, der in achtjähriger Arbeit eine Welttuba von so gigantischen Dimensionen konstruiert, dass drumherum eine riesige Festhalle errichtet werden muss. Leider ist dann der berühmte Marsch aufgrund des extrem niedrigen Frequenzbereiches für die zahlreich erschienenen Bewohner von Maria Elend nicht zu hören, nur zu spüren, als Kopfschmerz und Beklemmung.

Skurrile Originale

Das ist die Eröffnungsgeschichte "Marsch" und sie steckt den Bereich ab, in dem sich der Großteil der kurzen Texte einfügen lässt. Es geht um die Mühen und Anstrengungen, mit denen die Menschen versuchen, Bedeutsamkeit und Einmaligkeit in ihre Leben zu zwingen und ihre Ängste und Leerläufe zu kaschieren. Diese Anstrengungen wollen tapfer gelebt, und, da sie nicht selten vergeblich, wahnwitzig oder einfach unsichtbar und unbeachtet sind, ebenso tapfer protokolliert sein.

Vieles davon hat historische Wurzeln oder Anknüpfungspunkte, deren Richtigkeit kann man Wisser zumeist durchaus glauben. Wahrscheinlich hat sogar ein Viktor A. am 18. Dezember 1928 tatsächlich das Liebenberg-Denkmal in Wien erklommen, um es von Schnee zu säubern. Sicher aber hat Vincenzo Peruggia 1911 die Mona Lisa aus dem Louvre gestohlen. Denkbar ist auch alles andere, wie steil die Volte auch sein mag. Das kann die längste Sprechpause des Schauspielers Voit sein, die vor 39 Jahren begann und noch nicht beendet ist, die Entdeckung eines namenlosen Stammes mit bizarren Butterturmfrisuren durch den Forschungsreisenden Scheerbart, die drei Weltrekorde in Serie bei einem Speerwurfwettbewerb, die sich als Rechenfehler herausstellen, der Frust des Wüstenforschers Doppelmeier über die Müllberge unter der obersten Sandschicht, der von Kellnerin Ridi bediente erschöpfte Önologe Schindel in der Weinstube "Zum Pfauen", die wiederholt den Schauplatz abgibt - zum Beispiel für den Dauerschweiger Josef, der dann doch einmal etwas sagt. Auch Figuren treten mitunter mehrmals auf, wie der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen, und immer wieder begegnen wir dem Mond - via Fernrohr, mit der Apollo-Mission oder auch in der Mondscheingasse.

Aus der Logik der Texte ergibt sich eine besondere Dichte an skurrilen Originalen wie dem einstigen Sieger im Goldfisch-Schlucken, dem Besitzer einer Goldmedaille im Tauziehen, dem Redenschreiber für Seilbahnkongresse, dem Weltrekordhalter im Fahnenmast-Sitzen oder den "Warmsitzern" in der Oper, die ihr Amt drei Stunden vor Einlass antreten müssen.

Weltumspannender Anspruch

Wisser treibt ein so perfides wie poetisches Unwesen mit den Gesetzen der Logik, bei dem in einem höheren Sinn alles plausibel bleibt - wie die Geschichte von der nicht realisierten Rolltreppe bis zum Gipfel des 7495 Meter hohen Pik Kommunismus, die Erfindung des Suppenwärmers, der sich nicht durchsetzte, oder jene des Funks, den Guglielmo Marconi zwei eitlen Flottenadmirälen präsentiert, die dankend ablehnen und die Kommunikation zwischen ihren Schiffen lieber weiterhin mit Brieftauben abwickeln. Ein konkretes Ergebnis der geschilderten Passionen sind oft Schriften mit eigenwilliger Themensetzung, die sich wunderbar in die Bibliothek selbstverfasster Bücher in Richard Brautigans Roman "Die Abtreibung" einfügen ließen, wie Abhandlungen über die Schädlichkeit grüner Tapeten, die Bedeutungslosigkeit der Bedeutung von Straßen-, Orts-und Flurnamen oder über die häufigsten Fehler bei der Fälschung fotografischer und filmischer Beweise für Bergbesteigungen und Mondlandungen.

Wissers Miniaturen haben einen weltumspannenden Anspruch im besten Sinne, in ihrer Lakonie erinnern sie an Erwin Einzinger und in ihrer Poesie an Günter Kaip. Damit reiht sich der Autor nach seinen beiden auf ihre Art nicht weniger schrägen Büro-Romanen "Standby"(2011) und "Ein weißer Elefant" (2013) mit viel Geschick in diese Tradition ein, die immer auch davon lebt, dass Gedanken-Kopfstände manches zurechtrücken, was der vertrauten Perspektive entgeht, denn: "Typisch für einen Gegenpapst, im Kirchenlatein Antipapa genannt, ist, dass er sich selbst und seine Anhänger ihn niemals als Gegenpapst, sondern als Papst bezeichnen."

Kein Wort für Blau

Erzählungen von Daniel Wisser

Klever 2016 120 S., geb., € 16,90

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