Philharmonische Vergangenheitsbewältigung

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Zum 75-Jahr-Gedenken an den "Anschluss" haben die Wiener Philharmoniker ihre Homepage aktualisiert und in einem Film das Verhalten ihrer Mitglieder in der Nazi-Zeit eindrucksvoll und kritisch dokumentiert.

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Zum 75-Jahr-Gedenken an den "Anschluss" haben die Wiener Philharmoniker ihre Homepage aktualisiert und in einem Film das Verhalten ihrer Mitglieder in der Nazi-Zeit eindrucksvoll und kritisch dokumentiert.

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Die Wiener Philharmoniker ein Nazi-Orchester, das Neujahrskonzert eine Nazi-Erfindung? Regelmäßig um die Zeit des Neujahrskonzerts wird solches gerne vorgebracht. Auch dass das Orchester seine Archive bisher nicht entsprechend der Öffentlichkeit geöffnet habe, wurde immer wieder kritisiert. Nicht alle Anwürfe, so publikumswirksam sie auch sein mögen, sind richtig. Für Oliver Rathkolb steht fest, dass es in Europa keinen Klangkörper gibt, der seine Vergangenheit derart umfassend aufgearbeitet hat. Ein Wort, das Gewicht hat. Denn der kritische Zeithistoriker beschäftigt sich seit Jahren mit dem Spannungsverhältnis von Kunst und Politik. Seit kurzem zählt er zu jenem Historikerteam - die beiden übrigen Mitglieder sind Fritz Trümpi und Bernadette Mayrhofer - welches vom Orchester offiziell beauftragt wurde, seine komplexe Geschichte während der Nazi-Ära zu durchleuchten.

"Demokratie der Könige"

Die Kommission hatte kaum mehr als zwei Monate Zeit, denn zum 75. Jahrestag des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland sollten erste Ergebnisse vorliegen. Sensationen gibt es keine, aber eine Verdichtung bisherigen Wissens. Bereits 1988 hatte sich Clemens Hellsberg, Leiter des Historischen Archivs und seit Jahren auch Vorstand des Orchesters, in einem Beitrag für die Programmhefte der Wiener Philharmoniker mit dem Verhalten des Orchesters während der NSZeit auseinandergesetzt, ausführlicher dann 1992 in seinem Buch "Demokratie der Könige": nach wie vor das Standardwerk über die Wiener Philharmoniker - und zugleich die weltweit erste kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte eines Orchesters.

Hellsberg hatte sich ausbedungen, schonungslos die Vergangenheit des Orchesters aufzuarbeiten. Kein leichtes Unterfangen, denn die Hälfte der einstigen Orchestermitglieder gehörte der NSDAP an, und einige davon lebten noch. Dass seine damalige historische Bewertung nach wie vor aktuell ist, bestätigte sich auch bei der Präsentation der filmischen Dokumentation "Schatten der Vergangenheit. Die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus" in der Wiener Staatsoper, eines der Kernstücke des ORF-Programmschwerpunkts "75 Jahre Anschluss", in der versucht wird, lebendige Gegenwart mit schmerzvoller Historie zu einem so spannenden wie berührenden Dokument zu verbinden.

Vom jüngsten Neujahrskonzert bis zu einem bewegenden Finale - einem Orchesterstück von Jörg Widmann, bei dem wie bei Haydns Abschiedssymphonie die Musiker nach und nach das Podium verlassen, allerdings nicht um einen Urlaub zu erkämpfen, sondern als Erinnerung an jene Orchestermitglieder, die von den Nazis brutal aus dem Orchester entfernt wurden - reicht der filmische Bogen. Man sieht Bilder des von den Nazis aus seiner Position gedrängten Ersten Staatsopernkapellmeisters Josef Krips, ohne den nach 1945 der musikalische Wiederaufbau nicht möglich gewesen wäre, ebenso von der späten Heimkehr Bruno Walters. Auch das Thema Clemens Krauss, mit dem die Geschichte des Neujahrskonzerts eng verknüpft ist, kommt nicht zu kurz.

Begonnen hat diese Tradition der Strauß-Konzerte -auch das kann man seit Wochenbeginn auf der durch die Arbeiten der Historikerkommission erweiterten Homepage der Wiener Philharmoniker nachlesen - mit einer gemeinsam mit dem Nazi-Rundfunk organisierten Konzertreihe, den Philharmonischen Akademien. Dass den - freilich nur propagandistisch - an Kultur interessierten Machthabern diese populäre Note des Orchesters sehr gut in ihre Ideologie passte, ist unbestreitbar. Aber ebenso, dass die Idee zu der Einbindung von Strauß-Musik in philharmonische Programme von Krauss gekommen ist, was bereits Hellsberg in seinem Buch berichtete. Dass Krauss Mitglied der NSDAP und nach 1945 wie andere prominente Kollegen mit einem kurzfristigen Dirigierverbot belegt war, lässt aber keinen Schluss zu, diese Vorgängerkonzerte des späteren Neujahrskonzerts, oder auch dieses selbst, als Erfindung der Nazis zu qualifizieren.

War es tatsächlich der hochgeachtete, mächtige einstige Philharmoniker-Geschäftsführer Helmut Wobisch, ein erklärter NS-Parteigänger, SS-Mann und Spitzel, der im Alleingang Baldur von Schirach nach dessen Entlassung aus der Gefangenschaft eine Replik des ihm von den Amerikanern abgenommenen Ehrenrings der Wiener Philharmoniker überreicht hat? Schirach hatte sich bekanntlich mit Erfolg für so manches jüdische Mitglied der Philharmoniker eingesetzt. Nach den bisherigen Ergebnissen scheint es so. Oder doch nicht?

Grautöne statt Schwarz-Weiß

Warum, hörte man nun nach dieser Präsentation, wurde die zweite Ring-Überreichung mit der Übergabe einer Streichquartett-Platte verbunden? Das hätte der Trompeter Wobisch nie getan. Licht in dieses unrühmliche philharmonische Kapitel könnte Schirachs Sohn Richard bringen. Der aber schweigt dazu beharrlich. Wie lange noch? Aber, wie sagte es der Regisseur Robert Neumüller? Er habe gelernt, dass man mit dem üblichen Schwarz-Weiß nicht weiterkomme, es gebe vermehrt Grautöne.

Der spektakulärste Fund, zu danken der Archiv-Mitarbeiterin und Theaterwissenschaftlerin Silvia Kargl, die dieses Dokument im Keller der Staatsoper fand, ist ein Vereinsmitglieder-Buch mit einer Auflistung der einstigen jüdischen Mäzene und Besucher des Orchesters, das bisher unbekannte Einsichten gewährt. Auch künftig herrscht an Themen kein Mangel. Eines wird Provenienzforschung sein, ein anderes die Ehrungen des Orchesters während der Nazi-Zeit. Darüber wird schon demnächst die Hauptversammlung der "Demokratie der Könige" befinden. Die aktualisierte, wesentlich erweiterte Orchesterhomepage wird eine gute Entscheidungshilfe sein.

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