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Adel und moderne Gesellschaft

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Es mag befremdlich, vielleicht sogar alarmierend klingen, -daß eine nun schon zum viertenmal in verschiedenen Hauptstädten unseres Kontinents sich wiederholende Zusammenkunft vorwiegend junger Adeliger bei ihrer Tagung hier in Wien, auf traditionsreichem und historischem Boden, scheinbar sich dieser ihrer Besonderheit nun plötzlich schämt und dafür „Tagung junger konservativer Europäer“ nennt.

Wer etwas zynisch veranlagt ist, dem wird der hämische Ausspruch einfallen, wonach die Staatsmänner den Begriff „Europa“ immer dann anzuwenden pflegen, wenn ihnen nichts Gescheiteres mehr einfällt. Sollte am Ende gar dies hier auch der Fall sein? Steht der Europabegriff, verbunden mit dem Attribut „konservativ“, hier nur zu dem Zweck, um eine gedankliche, geistige Leere zu cachieren? Ist also der beinahe monströse Fall eingetreten, daß der adeligen Jugend dieser Stadt, deren Bauten noch heute auf Schritt und Tritt ihre adelige Vergangenheit verkünden, daß dieser Jugend der Adelsbegriff fremd geworden ist, daß sie damit nichts mehr anzufangen weiß?

Der Schein läßt an ein Wiedererstarken des so verlästerten und zerzausten Adels glauben, die Realität hingegen zeigt nur das ungeheure Anwachsen eines fast international zu nennenden Snobismus, und daneben — gepaart mit einem manchmal durchaus echten Gefühl für historische Werte — das uneingestandene, aber allgemeine Heimweh nach der Geborgenheit einer untergegangenen Welt.

Und doch möchten gerade wir Österreicher, von denen einmal jemand geistreich gesagt hat, daß sie ihren Untergang bereits hinter sich hätten, aus dieser unserer geschichtlichen Erfahrung heraus die Worte wiederholen, die Alexander von Villers an seinen Freund, den Baron Warsberg, geschrieben hat: „Der Adel war einmal ein Stand, das ist er nicht mehr; als Stand hat er aufgehört und ist nur mehr eine Erinnerung...“. Diese bitteren Worte wurden aber nicht, wie man glauben könnte, in der Welt--untergangsstimmung des Jahres 1945, auch nicht im Chaos des Zusammenbruches von 1918 ge-„ schrieben, sondern vielmehr vor mehr als 80 Jahren, im Jahre 1879, also noch inmitten jener Welt der Sicherheit und Geborgenheit, der wir heute nachtrauern. Sie beweisen uns, daß der Niedergang des Adels sich nicht mit irgendeinem besonderen Kalenderdatum markieren läßt, sondern das Ergebnis eines weit zurückreichenden geschichtlichen Prozesses ist, den auch die wohlwollendste Haltung gutmütiger Journalisten, Filmproduzenten und Protokollchefs heute nicht wieder rückgängig zu machen vermag.

Will man aber den Gründen nachgehen, die Villers zu diesem schwerwiegenden Urteil veranlaßt haben, dann braucht man nur die Frage nach der ursprünglichen, wesenhaften Funktion des Adels zu stellen und zu prüfen, was davon heute noch übriggeblieben ist.

Was die eigentliche Funktion des Adels war, das hat Villers vollkommen klar erkannt, als er seine eben erwähnten Betrachtungen mit dem lapidaren Satz abschloß: „Ohne Feudalismus kein Adel!“ Der Feudalismus in der Form der Grundherrschaft, das war die eigentliche adelige Funktion. Das war, wenn Sie wollen, das Vorrecht des Adels, sein Privileg, dem jedoch — wie jedem echten Privileg, jedem korporativen Recht — eine Reihe von Pflichten entsprachen, Pflichten politischer, juridischer, administrativer, militärischer und wirtschaftlicher Art, denen in der Regel eben auch nur ein Adeliger nachkommen konnte. Inwieweit, historisch gesehen, im Einzelfall der Adel diesen Pflichten auch wirklich nachkam, ist eine andere Frage. Der Stand als ganzer ist sich aber seiner damaligen Verantwortung durchaus bewußt gewesen, und es hieße einer etwas gouvernantenhaften Geschichtsbetrachtung huldigen, wollte man in mangelndem Pflichtbewußtsein des Adels die Ursache seines Untergangs erblicken.

Was sind dann aber heute die Kriterien des Adels? Hat er solche überhaupt noch?

Ic'u darf es ganz schonungslos sagen: Alexander v. Villers hatte recht. Als sozialer Stand hat der Adel heute keine Kriterien mehr. Es gibt keine gesellschaftliche Funktion, die dem

Aus der Ansprache des Verfassers auf der „Tagung junger konservativer Europäer“ in Wien am 11. Juni 1960.

Adel aus einem zwingenden Grunde vorbehalten wäre und die nicht ebensogut von bürgerlichen Kreisen erfüllt werden könnte.

Was bleibt dann aber noch übrig? Scheinbar nichts, und von radikaler Seite wird man Ihnen wahrscheinlich auch noch versichern, daß das so gut sei, denn der moderne Staat benötigt keinen Adel, der vielmehr innerhalb der modernen Gesellschaft einen gespenstisch anmutenden Anachronismus darstelle.

Nun, ganz so ist dem nun doch nicht. Denn wir wissen heute nur zu gut, daß selbst die klassenlose Gesellschaft eine „neue Klasse“ kennt, um zum Beispiel das berühmte Buch von Djilas zu zitieren. Der Aufstieg neuer, aktiver Schichten, neuer Eliten und damit eines neuen Adels ist ein ebenso immer wiederkehrender historischer Prozeß wie der Untergang zersetzter und degenerierter Führungsschichten. Dieser Aufstieg neuer Eliten hat sich auch zu allen Zeiten noch durchgesetzt, und auch unser Zeitalter macht hier keine Ausnahme. Es ist daher auch nicht, wie wiederum von den Pessimisten angenommen wird, grundsätzlich adelsfeindlich. Wir möchten eher sagen, es ist adelsfreundlich, allerdings in einem ganz anderen Sinn, als wir dies vorhin andeuteten. Diese unsere Zeit ist elitenfreundlich, ja elitenhungrig. Niemand ist mehr darnach aus, geführt und gewiesen zu werden, als der ganz allein auf sich gestellte, in den Massenbrei einer atomisierten Gesellschaft eingestampfte Herdenmensch unserer Tage. Er ist völlig orientierungslos.

Wenn wir aber einen Blick um uns werfen, so werden wir unschwer feststellen können, daß es heutzutage, im Zeitalter der Manager und Arrangeure, nur noch relativ wenige gibt, die ein solches Format haben, daß sie damit aus der breiten Masse derjenigen herausragen, die durch die zahlreichen politischen Umstürze, durch Beziehungen, durch die Konjunktur, ja durch Korruption hinaufgeschwemmt worden sind. Ist es nicht in höchstem Grade beängstigend, daß die Zukunft unseres Kontinents einer Führungsschichte anvertraut ist, die in ihrer Zusammensetzung außerordentlich unhomogen, in ihren Zielen und Bestrebungen disparat und in ihrer politischen Gesamtkonzeption alles andere denn mitreißend ist? Und das alles noch angesichts einer Situation, die von uns schwerwiegende, weitsichtige, verantwortungsbewußte Entscheidungen erfordert. Wie lange ist uns überhaupt noch Zeit gegeben, um hier endlich einmal ins reine zu kommen?

Das, was in erster Linie not tut, ist also eine Aktivierung der Gewissen, eine neue Konstituierung des Verantwortungsbewußtseins, vorgelebt von einer neuen Elite, von einer neuen Führungsschichte. Und dazu brauchen wir Männer, die in der gewaltigen geistigen Auseinandersetzung unserer Tage absolut krisenfest sind, die nicht bereit sind, vor massiven Drohungen oder um momentaner Vorteile, um der Geschäfte willen, sich zu beugen; die geistig völlig unabhängig und frei sind und sich nicht wie die breiten Massen manipulieren lassen. Wir brauchen Leute, die die Gesamtheit unserer Lage und nicht nur irgendwelche interessenmäßig begrenzte Sektoren daraus übersehen und die — wenn ich so sagen darf — nicht nur in der horizontalen, sondern auch in der vertikalen Ebene, das heißt, die nicht nur ein Problem nach seiner gegenwärtigen Situation beurteilen können, sondern die auch imstande sind, es aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus zu sehen. Schließlich und endlich brauchen wir dringend Leute, die sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in die Breschen stellen, die uns die Entwicklung der letzten 50 bis 60 Jahre geschlagen hat.

Die Verluste, die wir in dieser Periode erlitten haben, sind sehr vielfältig. An erster Stelle steht vielleicht der Verlust der Autorität.

Die Folge ist, daß die im alten Sinne „legitimen“ Träger der Autorität dieselbe an neue Machtfaktoren, an politische Parteien und Massenorganisationen abgetreten haben, deren Autorität aber nicht mehr auf ethischen und historischen und damit ziemlich konstanten Grundlagen beruht, sondern auf den ständig wechselnden und schwankenden Ergebnissen von Wahlen und momentanen Machtkonstellationen. Das „Menschliche“ scheidet damit aus. Was bei einem derart maschinell aufgebauten Autoritätsbegriff herauskommt, davon können wir in Österreich ein Lied singen, und deshalb wird es eine wesentliche Aufgabe der Elite von morgen sein, hier neue Wege zu suchen.

Ihr wird es auch zukommen, eine neue Basis der Legitimität zu schaffen. Wir sagten bewußt „neue Basis“, denn wir halten nichts von Restaurationsversuchen. Die Grundlagen der alten Legitimität sind derart zerstört, daß jeder Restaurationsversuch nicht zur Wiederherstellung, sondern zu einer Fälschung führen würde. Was aber soll man tun? Es wird nichts anderes übrigbleiben, als, um mit Ernst Jünger in den „Marmorklippen“ zu sprechen, „an einem neuen Schatz der Legitimität zu sammeln“. Wie, das wissen wir nicht, wir tappen hier noch völlig im dunkeln, und doch müssen wir uns dieser Aufgabe unterziehen und dürfen uns nicht auf die Zukunft vertrösten, denn dann könnte es zu spät sein. Wir brauchen also hier Männer mit Gespür und Idealismus.

Idealismus ist überhaupt ein ganz wesentlicher Punkt. Das ist ja eine der tiefsten Wunden, die uns der letzte Krieg geschlagen hat, daß ein Gutteil jenes alten, staatserhaltenden, patriotischen Idealismus zu Tode geritten wurde. Die jüngere Kriegsgeneration hat hier zweifellos einen seelischen Knacks erlitten, der wahrscheinlich unheilbar ist. Und dennoch werden wir auf die Dauer ohne Idealismus, ohne Opferbereitschaft nicht auskommen. Einmal weil es sich immer deutlicher erweist, daß ein echtes Staatsbewußtsein nicht durch irgendwelche geistig verklemmte, nationalistisch-kleinbürgerliche Sen-timents oder Ressentiments hochgepäppelt werden kann und noch weniger mit Hilfe eines rein materialistisch inspirierten Konjunkturpatriotismus, sondern einzig und allein durch unentgeltliche, nicht auf Rentabilität kalkulierte Vorleistungen eines selbstlosen Idealismus, wie er sich etwa hier in Österreich während der Tage der Ungarnkrise vor vier Jahren oder auch im vorigen Jahr während der Gegenaktion gegen die kommunistischen Weltjugendspiele in vielen Ansätzen gezeigt hat. Dieser Idealismus ist um so wichtiger, als man sich endlich darüber klar sein muß, daß die gegen uns, gegen Europa, gerichtete Offensive des östlichen Materialismus sich keineswegs nur auf technische Errungenschaften und ideologische Phrasen stützt, sondern daß dahinter — so paradox dies klingen mag - auch ein ganz unerhörter Idealismus steckt, dem wir wesentlich mehr werden entgegenstellen müssen als bloß die Produkte unserer Zivilisation, wenn wir bestehen wollen. Wir brauchen also auch hier Leute, die notfalls bereit sind, eine gewisse Askese des Konsums auf sich zu nehmen, die bereit sind, gegebenenfalls bewußt aus dem Zug des Wirtschaftswunders auszusteigen, denn es ist durchaus möglich, daß dieser Vergnügungszug eines massiv materiell orientierten Konservatismus, wenn er nicht überhaupt im Abgrund landet, so doch die Wettfahrt mit dem Osten verliert, und dann wird es für Europa entscheidend darauf ankommen, nicht ausschließlich auf ihn gesetzt zu haben.

An diesen ganz wenigen Strichen ist zu ersehen, wie diese neue Elite, dieser junge Adel, wenn ich so sagen darf, ungefähr aussehen müßte, ja vielleicht auch aussehen wird. Er ist, um hier Mißverständnissen vorzubeugen, keineswegs mit dem alten, bisherigen Adel grundsätzlich identisch. Vielmehr ist diese neue Führungsschichte sozial nach allen Seiten hin vollkommen offen. Sie ist keine Kaste, ja nicht einmal mehr ein eigener Stand, wie der alte Adel; sie ist auch keine Organisation, keine Partei; sie ist etwas sehr viel Subtileres und dennoch etwas bedeutend Festeres, nämlich eine geistige Gemeinschaft, aufbauend auf dem religiösgeistig-kulturellen Erbe unserer Geschichte, verbunden durch gemeinsame Ideale und aufgeschlossen für die Bedürfnisse unserer Zeit. Ob sich hieraus in fernerer Zukunft auch eine soziale Formation herauskristallisiert, bliebe abzuwarten und ist auch im Hinblick auf unsere gegenwärtige Situation gleichgültig. Nicht gleichgültig hingegen ist die Frage, ob der heutige Adel, der alte Adel — natürlich nicht mehr als Stand, aber doch mit der Masse seiner Vertreter, sozusagen mit seiner wesentlichen Substanz —, dieser Führungsschichte angehören wird oder nicht.

Das ist die entscheidende Frage. Einmal natürlich für den alten Adel selbst, denn das kann man ja wohl, ohne Hellseher zu sein, prophezeien, wenn der bisherige Adel der heutigen Situation nicht entsprechend Rechnung trägt, dann geht die Entwicklung — so oder so — einfach über ihn hinweg. Zum Teil hat sie dies bereits getan, denn sonst wäre das Kuriosum nicht zu erklären, daß der Adel als gesellschaftliche Attraktion gesucht, als Arrangeur von Festen und Skandalen beliebt, bewundert und im stillen beneidet, in vielem noch die äußeren Formen bestimmt, während er als Stand gegenüber den echten Entscheidungen des politischen und sozialen Lebens vollkommen einflußlos geworden ist.

Für Österreich kann man vielleicht sagen, er hat das selbst verschuldet. Aus Stolz, aus Abscheu und auch aus Interesselosigkeit hat sich ein großer Teil des österreichischen Adels nach 1918 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und ist damit in eine Art innere Emigration gegangen.

Nach dem schon Gesagten braucht es keine Erklärung, daß die Fundierung einer neuen Autorität nicht einfach in der Restaurierung der alten, historischen Autoritätsträger liegen kann. Es wäre unrealistisch zu glauben, es würde sozusagen von heute auf morgen möglich sein, den gegenwärtigen Autoritätsinhabern den Einfluß auf das Handeln ihrer Gefolgschaft nehmen zu können. Durchaus aber im Bereich der Möglichkeit läge es, die Autorität über das D e n k e n der Menschen wiederzugewinnen, und zwar durch den Einsatz dessen, worüber die anonymen Machtfaktoren nicht verfügen, nämlich die Werte der Persönlichkeit. Die neue Autorität ist daher ihrem Wesen nach durchaus aristokratisch. Sie beruht jedoch nicht auf der Macht, sondern auf dem Bewußtsein der Verantwortung für den Nächsten; sie zwingt den

Mitmenschen nicht unter ihr Joch, sondern sie überzeugt ihn.

Wieviel aber könnte erst die adelige Gedankenwelt für die Formulierung eines in die Zukunft weisenden Freiheitsbegriffs beitragen.

Der aristokratische Freiheitsbegriff der Vergangenheit war einer der konsequentesten; er hat sich gegen die absolutistischen Tendenzen der Krone genauso zur Wehr gesetzt wie gegen die Diktatur der Straße. Er ist kompromißlos und daher nicht aufweichbar. Man könnte ihn als absolut krisenfest und sabotagesicher bezeichnen, denn er ist seinem Wesen nach nicht propagiert, sondern eingeboren.

Fassen wir zusammen: Die Auflösung des alten Adels als sozialer Stand ist evident. An Stelle dessen tritt seine Transponierung in einen geistigen Verband. Die Kontinuität in der Erblichkeit des materiellen Besitzes wird abgelöst durch die Kontinuität in der geistigen Erziehung. Diese neue Gemeinschaft ist die der heutigen materialistischen Zeit adäquate Form des Fortbestandes des Adels, weil es ja zu seinem Wesen gehört, daß er sich über den allgemeinen Trend immer wieder heraushebt. Es wäre daher auch verfrüht, von einem Untergang des Adels im absoluten Sinne dieses Wortes zu sprechen. Wer allerdings den Adel wiederum zu „materialisieren“ sucht, etwa in Form eines eingeschriebenen Vereins oder einer politischen Interessengemeinschaft, der handelt seinem Wesen völlig zuwider, denn er macht ihn' zu dem, was er gerade nicht sein soll, nämlich zu einem Kollektiv. Der Adelige unserer Tage ist aber kein Massenmensch, sondern viel eher mit dem „Waldgänger“ eines Ernst Jünger zu vergleichen.

Und so liegen die Aufgaben des Adels heute auch bei weitem nicht darin, „die alten Positionen zu verteidigen“. Wer das vorhat, der hat schon verloren. In den meisten Fällen lohnt es sich auch gar nicht mehr, weil einfach nichts mehr zu verteidigen ist. Die Dinge haben sich zu sehr geändert. Ebensowenig darf der Adel sich damit begnügen, nur eine Bereitstellung für spätere Möglichkeiten zu beziehen, von denen niemand weiß, ob sie überhaupt eintreten werden. Er muß vielmehr, seiner Verantwortung bewußt und im Verein mit allen, denen ihr Land und unser Kontinent, seine Kultur und seine geistigen Werte am Herzen liegen, die Initiative — aber nicht zur Verteidigung — nein, zum Angriff ergreifen.

Und das war letztlich auch der Grund, weswegen wir uns im Programm der Tagung nicht als Adelige, sondern als Europäer deklarieren. Weil wir nämlich hier in Österreich der Ansicht sind, daß wahre aristokratische Geisteshaltung, in dem neuen von uns dargelegten Sinn, weder in den Käfig eines „Klassen- oder Standesbewußtseins“ noch in den engen Pferch nationaler Grenzen eingesperrt werden darf. Das hieße dem Zeitgeist zu viele Konzessionen machen, wollte man die historisch überlieferte, übernationale, europäische Spannweite adeligen Denkens auf die Dimensionen kleinbürgerlicher Konzepte beschränken. Wir glauben, daß es im Zeichen unserer alten, gemeinsamen, sagen wir ruhig: adeligen Kultur, auch jenseits des Bodensees, jenseits der Alpen, ja jenseits der Pyrenäen Menschen geben muß, die wie wir die gleiche geistige Sprache sprechen und dasselbe fühlen.

Europa ist uns in dieser Sicht daher kein Surrogat, kein Ersatzstoff und kein Vorwand, sondern es ist uns wirklich in vielem die Verkörperung dessen, was wir als das Aufgabenfeld des neuen Adels ansehen. Daher schämen wir uns auch nicht unserer Vergangenheit. Ganz im Gegenteil, wir sind vielmehr bemüht, ihr nachzustreben, und als konservative Europäer stehen wir, die jüngere Generation, bewußt in der gleichen geistigen Front, an der, die Jahrhunderte herauf, auch die Generationen des alten europäischen Adels gestanden haben, und unser Ziel ist auch das gleiche, das die Besten unseres Kontinents immer wieder zu neuen Mühen und Opfern angespornt hat und anspornen wird, nämlich das zwar schon oft tot geglaubte und manchmal auch wirklich beinahe zu Tode geredete, als Ideal aber noch immer lebendige christliche Abendland.

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