Menschen - © Foto: iStock/imagedepotpro

Auf die Person kommt es an

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Volker Gerhardt sucht den „Geist der Menschheit“ in der Humanität und analysiert diese im Hinblick auf ihre Gültigkeit als Leitmotiv für menschliches Handeln.

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Volker Gerhardt sucht den „Geist der Menschheit“ in der Humanität und analysiert diese im Hinblick auf ihre Gültigkeit als Leitmotiv für menschliches Handeln.

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Ist der Humanismus historisch geworden? Nicht nur George Steiner, der ­bedeutende ­Literaturwissenschaftler mit Wiener Wurzeln, hat unlängst „den Niedergang des Humanismus in der westlichen Welt“ beklagt. Das ­Humane sei extrem gefährdet, warnte der 90-jährige Gelehrte. Tatsächlich ist die ­Autonomie des Menschen bedroht. Durch unumschränkte Herrschaft von Algorithmen. Durch digitale Überwachung. Durch die Versuche mit Biotechnik und künstlicher Intelligenz. Vor allem aber durch ­eine schrankenlose Machbarkeits-Hybris.

Schon wird in großer Saloppheit der Begriff „Transhumanismus“ in die Debatte geworfen: Ganz so, als sei jenes Unteilbare der menschlichen Integrität, das in dem Begriff „Individuum“ ausgedrückt wird, ein überholtes Konzept. Die Person des Menschen erscheint da gern als verlängerte Werkbank hin zum möglichst langlebigen „Übermenschen“ im Gefolge Nietzsches.Der Berliner Philosoph Volker Gerhardt setzt den „Geist der Menschheit“ dage-
gen. Das Wort stammt von Wilhelm von Humboldt und appelliert an das universalistische Selbstverständnis des Homo
sapiens, der sich die Erde nicht nur untertan, sondern diese auch nachhaltig bewohnbar machen soll.

Der Mensch als das Maß aller Dinge?

Der Autor nimmt diesen Appell auf und untersucht den Begriff „Humanität“ auf seine Gültigkeit als Leitmotiv für menschliches Handeln und menschliche Würde. In weitem historischem Bogen wird die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der „humanitas“ nachgezeichnet, vom Stoiker Panaitios über Cicero und die Humanisten – allen voran Erasmus von Rotterdam – bis zu Herder, Kant, Max Scheler und Ernst ­Cassirer. Von Kant stammt denn auch jener kategorische Imperativ, auf den Gerhardt alles setzt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

„Wer Menschheit sagt, will betrügen“, behauptete einst der umstrittene Rechtsscharfmacher Carl Schmitt. Indes, so antwortet Gerhardt: „Ein Bericht aus einem der zahllosen Vernichtungslager des 20. und 21. Jahrhunderts genügt, um uns zur unbedingten Parteilichkeit für den Humanismus entschlossen zu machen.“ Der Philosoph fügt jedoch auch hinzu: „Er kann aber auch jede Berufung auf die Humanität verstummen lassen.“

Der Mensch sei das Maß aller Dinge, postulierte einst Protagoras. Dieser immer wieder angefeindete Satz meldet indes nicht nur den Souveränitätsanspruch des Individuums an, sondern verweist vor allem auch auf dessen Verantwortung für die Schöpfung. So hat ihn denn auch das Christentum übernommen und, wie Volker Gerhardt schreibt, „durch die Menschwerdung Gottes, durch die Vorrangstellung der Liebe und das Bekenntnis der Toleranz einen theologischen Humanisierungsschub gebracht, der bis heute nicht zureichend begriffen ist“. Die Verstrickung der Kirche in Machtpolitik und Kolonialismus verstelle da noch immer den Blick.

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