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Begegnung bei den „Stimmen”

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Diese zwei indirekten und objektiven Begegnungen muß ich nun im Rückblick als die notwendige Voraussetzung meiner unmittelbaren und subjektiven Begegnung mit Nuntius Pacelli ansehen. Sie gaben dieser von vornherein sozusagen ihren bestimmenden Stil. Es war im Haus der „Stimmen der Zeit” in München, daß Nuntius Pacelli unerwartet an mein Zimmer klopfte. Als ich erstaunt aufstand — es war gegen Abend —, stand die hochragende, fast statuenhafte Gestalt vor mir. „Der Nuntius”, sagte er kurz, gleich als ob er dies als sein einzig Persönliches darstellen wollte. P. Heinrich Sierp, den er sonst in Sachen seiner Tätigkeit als Diplomat zu konsultieren pflegt , hatte ihn an mich in theologischen und philosophischen Sachen verwiesen (da er vom Fach Naturwissenschaftler war). Es ging sofort um die Lage der deutschen Theologie. Nuntius Pacelli hatte von seiner dominikanischen Schulung einer rein spekulativen Theologie her ein eingeborenes Mißtrauen gegen mystische und humanistische Theologien, vor allem gegen solche, die sich an zweitgenössische außerkatholische Richtungen anlehnten. Bei einem der damaligen deutschen Theologen war ihm der große Einfluß Rudolf Ottos kritisch aufgefallen, der in der Tat mit seiner Theorie vom „Heiligen” als eshaftem ,ynumtnosum fascinosum tremen- dum”, dem erschreckend berückenden Göttlichen, das der Kern von Gott und Religion sei, in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg alles, ob protestantisch, ob katholisch, faszinierte. Es war in der Sorge Pacellis nicht nur der unbeirrbare Instinkt des Katholischen, der ihn in all dem so etwas wie einen „objektiven Modernismus” argwöhnen ließ, das heißt einen Modernismus, der nicht Ur-Erlebnisse, sondern Ur-Werte meinte (wie auch Max Scheler, auch in seiner katholischen Zeit, von einer Wertphilosophie getragen war). Es war ebenso der Instinkt des juristisch und diplomatisch geschulten Römers, der einen rational klaren „ordo Romanus” liebte und lebte, gegenüber einer deutschen Philosophie der Ahnungen und Abgründe, die er einmal, in rascher Aufwallung kurz „Nebel” nannte. Als Eugenio Pacelli als erster Nuntius des Deutschen Reiches nach Berlin ging, vollendeten sich unsere Münchner Begegnungen, wenigstens für die kurze Zeit, die ich in Berlin mit Vortrags-Zyklen zubrachte. Zum ersten dieser Vorträge, die di sogenannte „Geistige Wende” der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zum Thema hatten, erschien er persönlich, und es war ein großer Anblick, wie er die große Treppe im preußischen Herrenhaus, wo die Vorträge stattfanden, im vollen Sinn des Wortes hinaufschritt Ich versuchte in diesem Vortrag aufzuhellen wie eine innerkatholische Wende dieser Jahre aus einer Abwendung von einer rein juridischen Kirche zu einem mystisch-kultischen Corpus Christa mysticum entsprungen sei. Bei der nachfolgenden Unterredung zwischen uns gestand mir Nuntius Pacelli, daß ihm nun Sinn und Richtungen der katholischen Bewegungen in Deutschland klargeworden seien. Das war wohl zunächst als Bestätigung seiner früheren Sorgen gemeint. Und diese Sorgen waren es wohl auch, die den späteren Papst Pius XII. zu seinem Einschreiten gegen die biblisch-patristische Theologie von Lyon veranlaßten. Aber wie er dann nach einer rückhaltlosen Aussprache mit F. de Lubac dieses Einschreiten ebenso offen zurücknahm, so möchte ich auch seine große Enzyklika über die Liturgie und seine Initiierung einer wahren liturgischen Erneuerung als das Positive seiner zuerst kritischen Stellung zu den deutschen Bewegungen ansehen, parallel zu der Weise, wie er nun selbst in einer eigenen Enzyklika das Corpus Christi mysticum in den Mittelpunkt stellte. In all diesem aber (und es kommt noch seine offene Revidierung des Konflikts mit der „Action franęaise” hinzu, den er auf die Ungeschicklichkeit des damaligen Pariser Nuntius zurückführte), in all diesen schwierigen Entwicklungen zeigte sich mir die überraschende Gegenseite dessen, was ich in diesen Erinnerungen das große „Pathos des Dienstes” im Nuntius, Kardinal-Staatssekretär und Papst nannte. Diese Gegenseite ist eine unbekümmerte offene Männlichkeit, ja Väterlichkeit (wie Karl Korn sie mit einem glücklichen Ausdruck in der Frankfurter Allgemeinen die „Vater- Imago” in Pius XII. nannte). So sehr kritische Beurteiler das Pontifikat Pius XII. als steilen Höhepunkt einer päpstlichen Alleinmacht ansehen mochten, im Unterschied zur christlichen Antike, die mehr den Aspekt einer Kirche der vielen Patriarchate bot (für die Rom mehr unsichtbare Lenkung und letzter Rekurs war), und so sehr gewisse italienische Theologen bereit schienen, Bischöfe und Konzilien nur als Beamtentum des römischen Pontifex anzusehen (was aber grad dem Vatikanischen Konzil widerspricht, das die Bischöfe als Nachfolger der Apostel in eigenständiger Jurisdiktion anerkennt) — Pius XII. selbst stand in seinem innersten Herzen Mensch zu Mensch und Mann zu Mann. Er war in seiner Berliner Nuntiuszeit so sehr lebendiger.

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