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CHRISTENTUM UND THEATER

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Die Kunst gehört zu jenem Bereich, der in Christi Macht gegeben ist und durch ihn Gott untertan gemacht wird — denn es gibt nichts, das nicht der Verherrlichung Gottes dienen müßte. Die Wirklichkeit der Kunst, die für sich selbst Wesen und Wirkung und Wert hat, ist in die Wirklichkeit des Christentums aufgenommen. Aus den mannigfachen Bereichen der Kunst soll als konkrete die Schauspiel- k u n st herausgenommen werden und in ihrer Beziehung zum Christentum betrachtet werden. Aus dem reichen Beziehungsfelde sollen hauptsächlich zwei Probleme behandelt werden: Jenes der Persönlichkeit und das der Vergegenwärtigung, die beide in einer Analogie zum Christentum und dessen Weltsendung stehen.

I. Das Christentum ist die Religion der Persönlichkeit in mehrfacher Hinsicht. Zunächst enthüllt es durch die Offenbarung Christi das Wesen Gottes als des dreipersönlichen Gottes. Sodann gewährt die Religion Christi eine Entfaltung und Vervollkommnung der menschlichen Persönlichkeit, indem das Christsein durch die heiligmachende Gnade das Sein und die Fähigkeiten des Menschen überhöht und zu neuen, höheren Zielen befähigt.

Die Persönlichkeit des Schauspielers ist Grundvoraussetzung echter Schauspielkunst. Je stärker und umfassender die Persönlichkeit, um so stärker die schauspielerische Wirkung. Dabei ist wohl zu unterscheiden zwischen dem Schauspieler als Mensch und dem Schauspieler als Künstler, wovon beide ihre eigenen Gestaltungsprinzipien haben. Für unser Thema kommt aber nur die Gesamtpersönlichkeit von Mensch und Künstler in Frage. Zu dieser Gesamtpersönlichkeit tritt beim Schauspieler noch etwas hinzu, was dem nichtkünstlerischen Menschen versagt ist: das künstlerische Talent. Der Schauspieler hat also eine doppelte Kulturaufgabe zu leisten: Die Vervollkommnung seiner Persönlichkeit und das Wirksamwerden dieser Gesamtpersönlichkeit im Talent.

Hier kann ein ernster Einwand aus der Erfahrung gemacht werden: Es gibt viele Schauspieler hohen künstlerischen Formats und hoher menschlicher Persönlichkeit, die nicht Christen sind. Anderseits gibt es viele aus echtem Christsein lebende Schauspieler, die trotzdem nicht zu hoher schauspielerischer Leistung gelangen. Auf letztere Frage ist leichter zu antworten, wo das Talent nicht ausreicht, dort ist wohl hohe Persönlichkeit möglich, aber nicht hohe künstlerische Leistung. Das Talent kann durch nichts, auch nicht durch Heiligkeit ersetzt werden; in solchem Falle ist das Menschliche im Künstler größer als das Künstlerische im Menschen. Was die Frage anbelangt, ob ein nichtchristlicher Schauspieler hoher künstlerischer Leistung fähig ist, muß sie natürlich mit J a beantwortet werden. Wie es außerhalbedes Christentums Menschen von hervorragender sittlicher Qualität gibt, weil die menschliche Natur mit ihren Anlagen allen Menschen vom gleichen Schöpfer gegeben ist, ist auch eine derartige künstlerische Persönlichkeit der Substanz nach genau so geformt wie įie eines bewußt religiös-christlichen Künstlers — nur daß ihr die Bewußtseins- und Glaubensformen dazu fehlen. Der nichtchristliche Künstler ist auch vom Heiligen Geiste gebildet, trotz seines Nicht-darum-Wissens und trotz seiner Leugnung oder Weigerung; denn Persönlichkeit m u ß in irgendeiner Form vom Heilig-Geistigen geformt sein: Es ist einem Nachen vergleichbar, der zwar am Ufer verankert ist, aber dennoch vom Strom des Wassers umflossen ist — während der christliche Künstler jenem Nachen zu vergleichen ist, der bewußt und gelenkt im Strom schwimmt. Auch gegen den Strom fahren, heißt i m Strom sein. Es offenbart zum Beispiel das echte Genie Bernard Shaws, daß seine „Heilige Johanna’ wirklich den Eindruck einer „Heiligen’ hinterläßt, obwohl Christliches und Religiöses leichthin, witzig, sarkastisch, ein wenig boshaft behandelt werden; vielleicht gegen Shaws Absicht formt sich der Gesamteindruck einer „heiligen” Johanna!

Damit stellt sich nun die Frage noch dringlicher nach der Eigenart des schauspielerischen Talentes. Das schauspielerische Talent ist die Fähigkeit zur Enthüllung der Persönlichkeit. Das sinngemäße Lesen eines Textes, einer Rolle ist ein bloßes Nachbilden dessen, was der Dichter schuf. Schauspielerisch nachbilden heißt: der Rolle einen persönlichen Aspekt geben, den der Schauspieler kraft seines Talents aus seinem Ich heben kann. Die meisten Menschen haben nur einen Ausschnitt ihrer Persönlichkeit für das tägliche Leben bereit; das alltägliche Ich ist nur ein Teil dessen, was die Menschen an und für sich jeweils in ihrer Innerlichkeit sind; es fehlt den nichttalentierten Menschen die Möglichkeit, die anderen Seiten und Komponenten, die anderen Maskierungen des inneren Selbst zu enthüllen. Der Schauspieler aber enthüllt sein inneres Selbst in den verschiedenen Rollen. In keiner Rolle kann die ganze Persönlichkeit ganz in Erscheinung treten — selbst wenn es eine Rolle „Josef Kainz” gäbe, hätte dieser sich darin nicht völlig darstellen können.

Christentum und Theater haben miteinander gemein, daß beide an der Bildung und an der Offenbarung der Persönlichkeit arbeiten. Christus offenbart einerseits die Personhaftigkeit Gott-Vaters, anderseits vollendet er die Persönlichkeit des Menchen. Der Schaupieler offenbart, zeigt, enthüllt, entschleiert vor den Menschen den Reichtum der personalen Welt. Das eine ist ein göttliches’Mysterium; das andere ein künstlerisches Mysterium.

II. Vergegenwärtigung ist das zweite Hauptproblem von „Christentum und Theater”. Vergegenwärtigung heißt Wiedergegenwärtigmachen durch Wiederholung. Dadurch wird in gewisser Weise die historische Zeit ausgeschaltet oder überwunden: Es wird ein Vergangenes jetzt und morgen und so oft ich will, hier und jetzt zur Gegenwart und zum Erlebnis erhoben. Das Mysterium der Mitte im Christentum ist das heilige Opfer Christi. In sakramentalen Gestalten wird gegenwärtig gesetzt, was historisch auf Golgatha geschehen ist; die Zeiträume werden • übersprungen und überwunden, indem in anderen Gestalten hier und jetzt Ereignis wird, was einstmals vor Jahrhunderten geschah. Dieses Ereignis ist ein sakramentales Drama, ein wirkliches Geschehen, das jenes erste, historische von Golgatha zur erlebbaren Gegenwart bringt.

Etwas Aehnliches ist die Aufgabe des Theaters. Ich betone: etwas Aehnliches! „Alles Irdische ist nur ein Gleichnis.” Tatsächlich ist alles Geschaffene in richtiger Schau symbolfähig für das Göttlich-Ungeschaffene. Erinnern wir uns an die Gleichnisse Christi, in denen das Saatkorn, der Weinberg, das verlorene Schaf usw. symbolfähig sind, um höhere, ewige Wahrheiten auszudrücken. In der Selbstenthüllung der Persönlichkeit stellt der Schauspieler dem Publikum „den Menschen” dar, jenen, wie er ist, oder jenen, wie er sein soll. Es kann sich jeder Zuschauer selbst erkennen: bald in dieser, bald in jener Rolle; der Zuschauer sieht sich selbst, befreit von der Enge seines alltäglichen Ich, indem vom Schauspieler in den verschiedensten Rollen das Menschenleben dargelebt wird.

In aller Ehrfurcht soll die hier zugehörige Analogie zwischen Christentum und Theater näher auf gezeigt werden: 1. Die Gegenwärtigsetzung des Opfers Christi auf Golgatha im heiligen Meßopfer geschieht durch die Transsubstantiation, das heißt durch die Verwandlung des Brotes in den Leib Christi und des Weines in Sein Blut. Sie geschieht, sie ist ein dramatischer Vollzug. Es ist die Repräsentation im eigentlichen Realsinn des Wortes. Auf der Bühne kann man von Gegenwärtigsetzung und Verwar r,,,,ng im übertragenen Sinne sprechen. Die Repräsentation eines menschlichen Schicksals in einer schauspielerischen Rolle glückt nur in dem Maße, als der Schauspieler die Selbstverwandlung in eine Rolle vollziehen und zur Darstellung bringen kann. Der Schauspieler entnimmt zwar alles, w a s er spielt, dem Eigenen; aber er muß es in die Maske bringen, unter der die Selbstdemaskierung geschieht; diese Maske ist ein dichterisches Gefüge in einer dichterischen Gesamthandlung, in einem Drama. Nur wenn diese Verwandlung des sich enthüllenden Selbst in die verhüllende Maske gelingt, ist die Repräsentation, die wiederholbare Gegenwärtigsetzung menschlichen Dramas schlechthin gewährleistet und vollzogen: das Mysterium des Schauspiels. Jedes natürliche wie übernatürliche Mysterium hat nicht nur einen Bezug zur Vergangenheit, sondern auch zur Zukunft, die im Mysterium vorausgenommen wird. Die auf die Zukunft hinweisende Dramatik des heiligen Meßopfers drückt der heilige Paulus mit den Worten aus: „Sooft ihr dieses Brot essen und den Kelch trinken werdet, werdet ihr den Tod des Herrn verkünden, bis Er kommt” (I. Kor. 11, 26). Es ist zwar das Drama des Todes Christi zugegen, aber der im Drama enthaltene Christus ist der Kommende, der Verklärte. Darum ist jedem, der an diesem Opfer aktiv teilnimmt, dem Kommunikanten, ein Anrecht darin gegeben, daß er auferstehen werde am Jüngsten Tage, ein Anrecht auf jene Verklärung des Leibes, in der Christus auf dem katholischen Opferaltar zugegen ist. Auch in dieser Hinsicht besteht eine Analogie zum Mysterium des Schauspiels. Dieses entzeitlicht nicht nur bezüglich aller möglichen Menschen-Schicksale, sondern stellt auch eine Form des Bleibenden her: Es macht die konkrete Welt durchsichtig für ihre guten wie bösen Kräfte, indem es die allgemeinen Grundzüge des Menschendramas in der Form der Schönheit darstellt. Die Schönheit ist die allgemeingültige Anschauungsform der Wahrheit; Schauspiel als Kunst macht die Wahrheit vom Menschen in der Form der Schönheit anschaulich, wobei auch die im Niedrigen wirkenden positiven Werte durch die künstlerische Darstellung in ihrer Schönheit erscheinen. So liegt in der schauspielerischen Repräsentation auch eine verklärende Kraft, ein in der Schönheit aufleuchtendes Symbol der allgemeinen Weltverklärung.

2. Der Priester und der Schauspieler scheinen mir also einige Verwandtschaft zu haben: Der eine ist der Liturge Gottes, zugewandt der göttlichen Wirklichkeit im Gottesdienst; der andere ist der Liturge der Schöpfung, weltzugewandt. Der eine zeigt den Menschen Gott und bringt die Menschen zu Gott; der andere zeigt den Menschen die Welt und bringt die Menschen zu sich selbst. Wie aber der Priester die Ganzheitsschau nicht verlieren darf und die geschöpflichen Werke anerkennen muß, darf umgekehrt der Schauspieler in seiner weltzugewandten Aufgabe nicht der Versuchung erliegen, im Dinglichen, im Material seiner Kunst aufzugehen und die Transparenz seiner Kunst als Offenbarungsmöglichkeit nicht mehr zu spüren.

3. Von hier aus lassen sich noch andere metaphorische Aehnlichkeiten zwischen Christentum und Theater aufzeigen. Beide Bereiche stellen das Dingliche in ihren Dienst: der eine als „Sakramentalien”, der andere als „Requisiten”. Beidemal bedeutet die Verwendung materieller Wirklichkeiten eine Versinn- lichung des Geistes: und umgekehrt wird durch den religiösen wie künstlerischen Gebrauch Materielles zum Symbol des Geistes erhoben.

Das Kostüm ist als liturgisches wie schauspielerisches Requisit von hoher Bedeutung. Die menschliche Kleidung ist als solche ein bewußtes und unbewußtes Bekenntnis zur Erbsünde; zu jener inneren Nacktheit des Menschen, die aus dem Sündenfall kam. Die schöne, die kultivierte Kleidung ist im kultischen wie schauspielerischen Gebrauch sowohl ein Bekenntnis zur Erbsünde, wie ein Zeichen der neuen, gnadenhaften Gewandung des Menschen, letzteres in dem Maße, als die Kleidung „schön” ist.

4. Aus diesen Beispielen ist schon zu ersehen, wie Kult und Theater sich der dinglichen Welt bedienen, um das Christus- und das Menschendrama darzustellen. Priester und Schauspieler bringen Gott die Welt zum Opfer dar. Der Mensch als Christ nimmt die Welt und bringt sie durch Askese und Ueberwindung Gott zum Opfer. Der Mensch als Schauspieler nimmt Sie Welt auf und schafft sie im Spiegel der Selbstenthüllung und Repräsentation neu und — kann sie Gott zum Opfer bringen, indem der eine aus der Welt flieht und so den Weltauftrag und die Weltsendung des Christentums verfehlt; indem der andere i n die Welt flieht und so sich und seine künstlerische Sendung in der Welt Gott entzieht. Und doch muß es nicht so sein. Der Heilige und der Künstler sollen und sollten sich in der gleichen Opfer gesinnung treffen, wenn sie auch auf verschiedenen Wegen ihr Opfer auf den Altar bringen.

5. Das Christentum ist die Wahrheit und führt durch die Vereinigung mit Gott zur Vollkommenheit. Daher ergibt sich auch im Dies- V seits durch das Christentum eine Vervollkommnung sämtlicher Lebensbereiche. Somit gewinnt auch der Schauspieler durch die Forderungen des Christentums zur Erfüllung seiner Aufgabe die wahre Schau und die wichtigen Richtlinien.

a) Die erste dieser Forderungen ist die Ruhe: das heißt das absolute und durch äußere Widerwärtigkeiten nicht beirrbare Bewußtsein von der Mission des Künstlers, der am Spiel zu arbeiten hat; die Versenkung in die innere Welt und die Welt des großen Dichters. Lebendiger Christ ist nur, wer eine gleiche, durch keine Aeußerlichkeit beirrbare Ruhe in seiner Sendung aus Gott gefunden hat.

b) Der Christ braucht Selbstbeherrschung, um Körper und Geist täglich in den Dienst Gottes und der Mitmenschen zu stellen. Selbstbeherrschung ist auch die Forderung an den Schauspieler, es ist jene Disziplin, die er seinem Körper, seinen Muskeln, jedem Glied bis zur Fingerspitze seinem Selbst auferlegen muß, und die Geistesgegenwart, die die Tücke des Objektes auf der Bühne fordert.

c) Die Erfüllung des Gebotes der Liebe ist nur möglich durch ein rücksichtsvolles H i n- hören auf den Mitmenschen und ein Beachten seines Werkes, das vor Gott durch unsere Hilfe vollendet werden soll. Ohne dieses Hinhören und Rücksichtnehmen auf den Partner, den Nächsten des Schauspielers, ist das Gelingen seiner Aufgabe nicht möglich.

d) Der Christ muß festbleiben; er soll sich im Dienste am Mitmenschen selbst aufgeben, aber dennoch feststehen im eigenen Urteil und in der Verantwortlichkeit für seine eigene Person und Sendung. Festigkeit ist auch die vierte Forderung an den Schauspieler: die Beibehaltung seiner Persönlichkeit, während die „personae”, die Masken, wechseln. Der Schauspieler soll sich wohl in die Grttalten verlieren, sein Wollen aber und die unverrückbaren Regeln seines künstlerischen Gewissens sollen im Wechsel der Gestalten bleiben.

e) Wie der Glaube Voraussetzung, Weg und Hilfe des Christen ist, muß auch der Glaube die fünfte Forderung an den Schauspieler sein — und es ist unnötig, darüber viele Worte zu machen. Wie eine Kerzenflamme — man mag die Kerze auch nach unten halten — stets in die Höhe, himmelwärts strebt, so ist der Geist des Künstlers nach oben gerichtet. Ich behaupte, daß es keinen Menschen und erst recht keinen von der Inspiration lebenden Künstler geben kann, der keinen Glauben hätte. Glaubt er nicht an Gott, so glaubt er an das „Göttliche”; und glaubt er nicht daran, so ist er mindestens abergläubig, dabei ein Mächtigeres und Höheres dennoch anerkennend, von dem sein sogenannter „Erfolg” abhängig sein soll. Ein wirklicher Künstler kann und wird niemals ein vollkommener Materialist sein.

f) Der Christ muß schließlich seinen Weg wissen; er muß sein Ziel kennen, seine Sendung erlauscht haben. Er muß seinen irdischen Beruf als Mittel zur himmlischen Berufung erkannt haben und aus beidem her seinen Weg gehen. So lautet auch die sechste und letzte Forderung an den Schauspieler das Wissen um den Weg: Er muß wissen, ob er mehr als Empfangender leben will, das heißt Popularität, Ruhm, Ehre ernten; oder als Gebender — und sei es in Verkennung, Undank und ständigem Kampf. Muß wissen, ob er dem Beruf oder der Berufung leben will, oder ob er beides in kluger Synthese und Ausgewogenheit verwenden kann.

Derart läßt sich die Analogie von schauspielerischem und christlichem Ethos aufzeigen. In alledem aber haben das auserwählte Volk der Christen und das auserwählte Volk der Künstler eine gemeinsame Weltsendung. Die Kultur der Freude. Christentum und Theater haben Kraft, Macht, Autorität aus der Wahrheit. Wo diese Wahrheit wahrhaftig wird, wo sie durchscheinend wird, dort ist die Schönheit. Wo die Schönheit ist, dort ist die Freude. Die wahrhaftige Freude ist aus dem Christentum, die durchscheinende Freude aus dem Theater.

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