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Christusromane

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Man muß sich wohl fragen, ob die Gestalt und das Leben Jesu für Romanliteratur überhaupt ein mögliches Thema abgeben können. Denn auch der geschichtliche Roman setzt naturgemäß schöpferisches Gestalten durch die eigene Phantasie voraus, das insofern berechtigt ist, als die nüchterne Historie einerseits so manche Fragen und Zusammenhänge unerhellt läßt und andererseits in ihrer Zeichnung die inneren Dimensionen ihrer Gestalten ebensowenig wie die mögliche Vieldeutigkeit alles dessen, was menschlich ist, erschöpft. Der nachschaffende Dichter hat durchaus die Möglichkeit, neue Sichten aufzuzeigen, die — soll das Werk seriös sein — wohl das sicher feststehende Material anerkennen und einbeziehen, aber zugleich ein abgerundetes Ganzes bieten, fernes Geschehen wie dessen verblichene Gestalten aus ihrer historischen Erstarrung lösen und, gemäß der Aufgabe des Romans, sie gleichsam zu neuem Leben erstehen lassen und nahebringen. Aber all das setzt voraus, daß die geschichtlichen Gestalten und Geschehnisse nicht mit dem Anspruch der absoluten, für das menschliche Verständnis abgeschlossenen Offenbarung auftreten.

Eben dieses aber ist bei Jesus Christus der Fall. Es gibt im Grunde keine Psychologie Jesu, die menschliche Weisheit und Phantasie ergründen könnten, noch gibt es ein anderes Maß, ihn zu verstehen — soweit dies Menschen möglich ist —, als das immer tiefere Sichaneignen seiner geschichtlichen Offenbarung in Glauben und Nachfolge. Damit verschließt sich die Gestalt Christi jedem unmittelbaren Roman.

Der gläubige Dichter wird darum, wenn er jene Zeit zum Thema wählt, eher einen anderen Weg beschreiten: er wird versuchen, die jüdischen und heidnischen Zeitgenossen Jesu, die seiner einfühlenden und schöpferischen Phantasie noch genug Raum lassen, zu zeichnen, und zwar in ihrem Verhältnis zu Christus, dessen Licht und Schatten auf sie fällt und ihr Schicksal bestimmt. So haben sich viele Schriftsteller um Gestalten wie Petrus und Judas oder Kaiphas und Pilatus bemüht. Dort, wo Christus selbst geschildert wird, bedarf es evangelischer Nüchternheit und Ehrfurcht, die jede apokryphe Verbreiterung und Verharmlosung fernhält. (Die Möglichkeit von Gegenwartsromanen, die nicht die historische Gestalt, sondern den Typ des Petrus, Johannes, Judas usw. zeichnen, sei hier nur angedeutet.)

Im Gegensatz zum gläubigen Dichter kann der ungläubige der Versuchung erliegen, einen unmittelbaren Jesus-Roman zu schreiben. Da er in Christus wohl eine überaus starke, mit geheimnisvollen Kräften ausgestattete und vielleicht sogar begnadete Persönlichkeit, aber doch nur einen Menschen sieht, mag er versuchen, auf ihn das Licht neuen und größeren Verständnisses zu werfen. Da er aber aus seiner Persönlichkeit mit der Gottheit Kern und Mitte herausbricht und so das Wesentliche verkennt, ist sein Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die rein subjektive Freiheit der Deutung, die er als Ungläubiger Christus gegenüber besitzt, muß notwendigerweise zu Willkür ausarten, die sich über diesen hinaus auch auf seine Jünger und Gegner erstreckt.

Schalom Asch unternimmt es in seinem Roman „Der Nazarener“, Jesus als ungewöhnliche religiöse, aber bloß menschliche Persönlichkeit zu zeichnen. Wie um der Verantwortung, Geschichte zu sdireiben, zu entgehen und seiner schöpferischen Phantasie freies Spiel zu ermöglichen, flüchtet er in eine Darstellung durch zwei „reinkarnierte“ Zeitgenossen Jesu, deren einer er selber ist, und ein unveröffentlichtes „Evangelium nach Judas (Iskarioth)“. (Dabei heißt es in der Einleitung: „wenn die Lehre von der Seelenwanderung wahr ist“, und dieses „wenn“ bleibt bis zum Ende offen.)

Die Milieuschilderungen dieses Romans sind von plastischer Eindringlichkeit, gewinnender Schönheit und Poesie, die Handlungen werden mit dramatischer Wucht, ja bisweilen mit atemloser Spannung beschrieben, die Charaktere erscheinen, wenigstens vom literarischen Gesichtspunkt, meisterhaft gezeichnet.

Um so befremdender ist die Willkür gegenüber den geschichtlichen Tatsachen. Nicht nur werden Szenen und Aussprüche Christi beliebig aus dem Zusammenhang gerissen und vermengt und mit wenig geglückten Zutaten versehen, wenn nicht geradezu entstellt, es werden auch die Charaktere verzeichnet. Christus ersdieint mit ungewöhnlicher suggestiver Kraft ausgestattet, die es ihm möglich macht, Menschen zu heilen: „Bei der Macht deines Glaubens befehle ich dir, steh auf von deinem Bett!“ (Seite 171), und sein Wirken ist rein subjektiv: „Judas, ich bin nur der, so in deinem Herzen sitzet. Ich bin der Glaube. Ich bin in jedem Herzen so viel, als das Herz mich fassen kann“ (Seite 328). So machtvoll er bisweilen auftritt, so wirbt er doch ängstlich um die Anerkennung seiner Lehre durch die Schriftgelehrten und Pharisäer, die mit oft erstaunlicher Geistesakrobatik feststellen, er sage nichts Neues und bleibe den Besten ihrer Rabbis treu, oder er wird als exaltiert beschrieben: „er redete mit sich selber wie ein Besessener (Seite 351). Im Antlitz des Leidensmannes wird überaus viel „Verzweiflung und Lebenshunger (Seite 659) gelesen und „seine Augen flehten Verzeihung“ (Seite 648). Alles Göttliche wird entweder gestrichen oder hinwegdisputiert. So werden viele Wunder einfach verschwiegen, die Auferweckung des Lazarus aber wird in magischen Mystizismus verschleiert. Tendenziös verzeichnet wird die Initiative zur Tötung Jesu, die allein den Römern unterschoben wird, während ihn die rechtgläubigen “Juden als einen ihrer Treuesten und Reinsten verehren. — Ebenso frei ist die Zeichnung der Jünger. Judas Iskarioth erscheint geradezu als Psychopath, der nur den Anbruch des Reiches Israel beschleunigen will. Wohl am schwächsten ist die Darstellung der Mutter Jesu, deren geringes Verständnis für ihren ältesten (!) Sohn geradezu Mitleid erregt und deren Sohilderung von der Kindheit Jesu in apokryphe Gewöhnlichkeit absinkt. — Wer auch nur einigermaßen die Evangelien kennt, kann — bei aller Anerkennung der literarischen Vorzüge — den Versuch des Verfasssers, Christus aus seinem göttlichen Mysterium in die bloße Menschlichkeit erhöhten Judentums und in Ubersteigerung natürlicher Religiosität zurückzuholen, nicht als gelungen betrachten.

Mirko Jelusidi hingegen schreibt einen Roman um Jesus. Dieser selbst wird in den ganz seltenen Fällen, da er auftritt, mit knappen Stridien und ehrfürchtig gezeichnet. Vor allem soll das Erleben seiner Persönlichkeit durch einige Zeitgenossen und ihre Auseinandersetzung mit ihr den Weg zur „Wahrheit und dem Leben öffnen. Es ist ein tolles Abenteuer, in das einige Funktionäre der römischen Besatzung im Gegenspiel gegen Exponenten und Emissäre der jüdischen Hierarchie hineingeraten; zum großen Teil ist die Rahmenhandlung ein Spiel römischer Spionage und jüdischer Gegenspionage, in dem Avita und Burrus die Helden sind ufAd der junge Caius das Greenhorn darstellt; wichtig ist ferner das Zerwürfnis zwischen Maria Magdalena und ihrem Verehrer Eleazar, das diesen zum geschworenen Feind Jesu macht. Aber so ernst es dabei dem Verfasser um die religiöse Auseinandersetzung ist, es will ihm nicht gelingen, die Persönlichkeit Christi zur beherrschenden Gestalt des Romans zu machen. Dazu versinken seine Schilderungen in allzu behagliche Routine, die sich zwar bisweilen zu stärkeren Szenen aufschwingt, aber da und dort auch einer gewissen Banalität verfällt, Die offensichtliche Vorliebe des Verfassers für die Römer verführt ihn dazu, sie zu Beschützern des Nazareners zu machen: ihre Überlegungen, die solchen Schutz als politische Opportunität erklären, wirken wenig überzeugend. Während die Schilderung der Hohenpriester eine gewisse Kraft aufweist, versagt sie bei Maria Magdalena und wird beim „reichen Jüngling“ zu einer grotesken Verzerrung. Da und dort tauchen überholte Restbestände vergangener Schilderungen auf, so etwa die „hellen, öfter sogar rötlichen Haarschöpfe“ der Galiläer (Seite 172), oder bei einem Römer der „Instinkt seines Herrenblutes“ (Seite 450).

Christusromane verpflichten. Schalom Asch verfügt über genügend Gestaltungskraft, aber — abgesehen von seiner allzu projüdischen Tendenz — sucht er Jesus zum unmittelbaren Helden des Romans zu machen und versagt an ihm, da er ihn im wesentlichen mißversteht. Mirko Jelusidi beschreitet an sich den richtigen Weg, indem er einen Roman u m Christus zu schreiben sucht, aber — abgesehen von seiner allzu prorömischen Tendenz — versagt er in der Kraft der Gestaltung.

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