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Das Christentum — lediglich ein soziales Konzept?

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In einem nunmehr gedruckt vorgelegten Referat versucht der bekannte Schweizer kommunistische Philosoph nicht nur die Position von Christen und Marxisten zu ermitteln, sondern — und darin liegt das Wagnis — die Ansatzpunkte für ein Gespräch der beiden, wenn nicht für ein gemeinsames Bestehen dies freilich nur in einer vollkommunistischen Gesellschaft, zu finden.

Die ernsten, im Bereich des demokratischen Sozialismus geführten Gespräche zwischen Sozialisten und gläubigen Christen sind nur möglich geworden, E’eil von beiden Seiten das Phänomen des Marxismus usgeklammert wurde, wenn nicht gar der sozialistische Gesprächspartner sich als antimarxistisch verstanden wissen wollte. Wie weit der Christ sich auch im Gespräch mit einem Nur-Sozialisten vorwagen mag, und angesichts der Bedingungen, unter denen wir heute leben, vorwagen muß: einen gemeinsamen Standort von Vollmarxismus und Christentum annehmen, heißt dieses in seinem Sinn völlig mißzuverstehen und ihm den Charakter einer lediglich spirituellen Denkweise zu verleihen.

Im Marxismus, welcher Richtung immer, ist das Denken nur auf die innerweltliche gesellschaftliche Ordnung hin gerichtet. Der Mensch ist Teil dieser Ordnung, Bestandteil, ohne Eigenmacht und ohne Eigenrecht. Die marxistische Philosophie kennt in ihren Betrachtungen als gegenständliches Ausgahgs- material lediglich die Gesellschaft; nur sie wird interpretiert. Also ein Abstraktum.

Die christlichen Kirchen, die Farner vereinfachend als ein Ganzes versteht, sind dagegen wie alle christliche Weltdeutung und Gesellschaftslehre zuvorderst auf den Menschen gerichtet. Die Seelsorge ist logisch nur eine Einzelmenschsorge. Auch die christliche Gesellschaftslehre sieht in der Gesellschaft nicht etwas, das gegenüber den in ihr gefaßten Menschen distanziert ist, sondern eine naturnotwendige Veranstaltung, die um des Einzelmenschen da ist und nur mit Rücksicht auf diesen Sinn und Existenz empfängt. Daher gibt es auch keine „christliche“ Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft von Christen.

Dazu kommt, daß das Christliche als Bekenntnis einen doppelten Bezug hat. auf das Jenseits im Sinn des Marxismus etwas Abstraktes und auf die jeweilige Gegenwart, in deren Zeit- und Gegenstandsbereich der Christ leben muß. Beide Bezüge des christlichen Denkens sind synchron und eins. Die Ambivalenz des Denkens läßt den Christen eine zuweilen bedenkliche, aber der Natur seiner Sicht entsprechende Stellung zu dem finden, was er „Welt“ nennt.

Der Marxismus aber will nur i n der Welt sein, wie der orthodoxe Liberalismus, dessen „Volksausgabe“ er eigentlich ist, wie sich in der Politik zeigt. Auch in Oesterreich.

Der Ansatz für ein sinnvolles und auf eine Synthese hinführendes Gespräch zwischen den Marxisten — wie der Autor der Broschüre einer ist — und den Christen ist daher vorweg nicht gegeben. Das wäre nur dann möglich, wenn es dem Marxismus gelänge, seine Gesprächspartner zu einer Säkularisierung ihres Denkens zu bewegen, wie dies Farner in einer außerordentlich klugen und vornehmen Weise zu tun versucht.

Das wäre vorweg zu sagen.

Anderseits ist aber das große Anliegen da: Die Christen müssen sich damit abfinden, daß ein großer Teil unseres Planeten im Herrschaftsbereich des Marxismus gelegen ist und daß dieser nun darangeht, mittels einer raffinierten Internatserziehung die Jugend zu atheistischen Janitscharen zu machen. Von diesem Sachverhalt hat die „Wirtschaft“ des Westens schon Kenntnis genommen und macht, unbekümmert, welche Prinzipien sie und ihre Staatsmänner auch nach außen hin vertreten, das Geschäft mit dem Osten. Lediglich den Oesterreichern soll das verwehrt werden, was die NATO-Länder selbstverständlich tun.

Wir lassen uns auch von Einzelerscheinungen zu sehr beeindrucken und wollen nicht wahrhaben, daß der Kommunismus für eine große Schichte ein Glaubenssurrogat geworden ist, so daß in der Auseinandersetzung von Kirche und Marxismus östlicher Art, was den Nachdruck der Haltung betrifft, Glaube gegen Glaube steht.

Die Sache wird noch dadurch verkompliziert, daß im Marxismus-Kommunismus Elemente eines verdeckten Christentums sichtbar werden. Der Marxismus ist daher keineswegs in allen Fragen ein Ganz- Anderes gegenüber dem Christentum. Vielfach, und nicht allein aus propagandistischen Gründen, bedient der Kommunismus sich christlicher Argumentationen. Daher auch sein Erfolg gerade in Ländern, in denen vorher Christentum lebendig war und zu einem Formelkatalog verkümmert ist.

Farner ist sich der Schwierigkeit seines Versuches bewußt, wenn er darangeht, Gemeinsames im Glaubensgut von Marxismus und Christentum zu finden und von diesen wenigen Gemeinsamkeiten aus die Möglichkeit einer gemeinsamen Existenz, einem für die Kirche freilich erzwungenen Nebeneinander im vollendeten Kommunismus, zu finden.

Kommunismus und Christentum können, wie Farner sagt, das Heute mit dem Morgen verbinden. Das kann der Pragmatismus nicht. Er sieht kaum über den Tag hinaus. Auch der Existentialismus vermag nicht dergleichen, wirft er doch den einzelnen auf sich selbst zurück und läßt ihn so in Einsamkeit verkommen.

Nun muß man fragen: Welches Konzept für die Bewältigung der Zukunft hat der Marxismus? Ist er nicht auch Pragmatismus, und dies bewußt, und zwingt er nicht die Menschen in seinen Bereichen zu einer nihilistisch-existentialistischen Haltung? Will der Marxismus nicht die Umwelt manipulieren und damit unbewußt die Bedingungen seiner Existenz, wenn er alles Denken als Reflex von Umwelterscheinungen versteht, also auch den Marxismus?

Schafft nicht der Marxismus durch eben seine Realisierung die Ursache für seine Liquidation als Idee? Der Marxismus von morgen ist — zu Ende gedacht — nicht der Marxismus von heute und kann daher nicht vorausgedacht werden. Was an ihm aber leiben könnte, wäre das, was er dem Christentum — einfach dem Dekalog — an Gedankengut übernommen hat. Wenn der Marxismus das Gesetz der Entwicklung der Welt begriffen haben sollte nehmen wir dies an, hat er auch das Gesetz seiner eigenen Liquidation begriffen!

Anders liegen die Dinge, wenn der Marxismus sich von der Annahme einer Gleichsetzung von Idee und Praxis löst und der Idee einen Eigenstand zubilligt wie dies noch Stalin getan. Dann ist das, was sich „Marxismus" nennt, aber nicht mehr Marxismus, sondern etwas anderes.

Ein Zweites: Der Verfasser geht davon aus, daß der Marxismus in der Offensive ist. Das mag militärisch stimmen. Das Christentum ist, weil in Verteidigung, nach Meinung von Famer für das Prinzip der Toleranz. Nur deswegen. Aber die Offensive des Marxismus, von der der Verfasser keineswegs überheblich spricht, scheint nicht mehr jenen Nachdruck zu haben, den sie bis zur großen Abrechnung Chruschtschows mit dem Stalinismus hatte. In der Periode des Revisionismus nimmt der Kommunismus’ viele Stellungen zurück. Der Marxismus hat sich eben auch an die Geschichte verloren.

Drittens: Der Verfasser meint ein Gespräch nicht mit der Kirche, nicht mit den Vertretern einer Religion, sondern nur mit den Vertretern der „Botschaft“ führen zu können. Das hieße: auf der einen Seite steht ein Apparat mit allen Merkmalen einer Sekundärkirche, steht eine Religion, und hinter dieser die freilich oft revidierte „Botschaft" des „Meisters". Auf der anderen Seite aber stehen lediglich unorganisierte Anhänger einer „Botschaft", die von ihnen höchst individuell interpretiert wird. Das Christliche ist aber nicht Lehre, Wiedergabe von Verkündetem, allein.

Viertens: Das Christentum ist auch nicht ausschließlich eine Praxis. Sonst wäre es identisch mit einer Summe von Verhaltensregeln, um mit diesen die Welt in einer bestimmten Weise zu reparieren. Wie der Islam.

Fünftens arbeitet der Verfasser mit falschen Gleichungen: Christentum «= weiße Rasse und die von ihr geschaffenen Staaten. Ebenso Kapitalismus = Christentum. Dabei wird für „Kapitalismus“ nicht einmal eine Definition gegeben. Nicht nur, daß die weiße Rasse als die bisher schlechthin böse Rasse disqualifiziert wird, kann man das, was sie bisher getan hat, nicht dem Christentum anlasten und anderseits anerkennen, daß es nicht realisiert wurde, wozu eben nach Farner nunmehr der Kommunismus berufen sei. Die Schwarzweißtechnik, mit der der Verfasser zuweilen operiert, nimmt dem sonst ausgezeichneten Werk viel von seiner Glaubwürdigkeit.

Was nun die Frage des Eigentums anlangt, geht Farner von Thomas aus und definiert das private Eigentum an den Produktionsmitteln als eine historische Kategorie. Dem kann man zustimmen, wenn man dessen bewußt ist, daß jede Eigentumsform nur eine Anpassung an Wirklichkeiten darstellt, Auch die kommunistische! Wer sagt uns, daß nicht nach der Industrialisierung im Osten neuartige Privat-eigentumsformen sich durchsetzen, weil es so etwas gibt wie einen Eigentumsinstinkt? Erst jüngst untersuchte man in Rußland ein Beweis gewandelter Lebensbedingungen, ob nicht neben dem ausschließlich Staat und Kolchosen zugesprochenen Eigentumsrecht an den Produktionsmitteln das vorläufig in der Sowjetunion außerhalb jeder Diskussion steht ein Herrschaftsrecht an Gütern jenen verliehen wurde, die mit eben diesen Gütern fast wie Eigentümer verfahren dürfen! Wer sagt schließlich, daß nicht auch das Kollektiveigentum ebenso inhuman sein kann, wie das private es weithin gewesen ist?

Der Autor will die Christen zu einer Art Rabattierung bewegen, zur Reduktion auf ein Teilchristentum. Einen Teilmarxismus mag es noch geben. Ein Bruchteilchristentum aber ist nicht möglich. Auch wenn manche Politiker sich zu einem solchen bekennen. Es gibt beispielsweise auch keine Arbeiterkirche.

Sicher muß die Kirche sich als Institution der Wirklichkeit anpassen. Unter dem Papst Johannes kann dies in einer erstaunlich raschen Weise erfolgen. Kaum ist dagegen zu erwarten, daß sich die Wirklichkeit an die Kirche anpaßt. Eher noch in Teilen an den Kommunismus, der die Materialien dieser Welt vielfach, vermöge Kapital und Macht, zu ändern vermag. Das Christentum ist nicht an die Gesellschaft oder gar an eine ihrer Formen gebunden. Insoweit ist das Christentum unbefangen. Nicht aber der einzelne Christ, der nun einmal Interessen hat. Soweit die Kirche nichts von der christlichen Lehre aufgeben muß, kann sie auch in einem vollkommunistischen Bereich in einem sachlichen Kontakt mit den Herren des Staates stehen. Voraussetzung aber ist, daß sie die Freiheit der Rede hat und alles, was Gottes Gebot ist, aussagen kann. Zwischen Wärtern und Gefangenen ist nur ein Monolog möglich.

So absurd es zu sein scheint, von einem Gespräch Christen—Marxisten nur zu reden, und so sehr gerade im christlichen Lager jeder peinlichen Mutmaßungen ausgesetzt ist, wenn er dergleichen auch nur erwägt — eines müssen wir schon jetzt tun: lieber die Dinge ernsthaft nachdenken! ,

Das erste wird sein, daß wir uns mehr Wissen über jene Erscheinungen aneignen, die sich uns als „Kommunismus“ zeigen. Wir sagen — und weithin mit Recht —, daß der Kommunismus, wo er an der Macht ist, die Menschen davon abhält, vom Gegner etwas zu erfahren, es sei denn das amtlich Zugelassene. Nun, was wissen wir denn vom Marxismus? Wo wird an unseren niederen und hohen Schulen schon Marxismus ernsthaft gelehrt; nicht parteiisch, aber in jener bemühten Objektivität, mit der etwa in den Schulen antike Denkweisen dargestellt werden? Wie kann man den Marxismus beurteilen, wenn man nur weiß, daß er vom Bösen ist? Sollen die Christen nicht auch in der Sache „Marxismus“ der Wahrheit dienen? In der Sache „Nationalismus“ haben wir dies schon versäumt. Zumindest in Oesterreich.

Wir müssen davon ausgehen, daß der Kommunismus da ist. Man muß daher — was Farner mit Recht von uns verlangt — die Möglichkeiten einer Existenz des Christentums in einem völlig kommunistischen Staat prüfen. Das heißt nicht: diesen wünschen. Ebenso wie wir, einer Forderung des evangelischen, der KP nahestehenden Theologen Fuchs gemäß, das christliche Ethos im Hinblick auf die neuen Techniken und die ihnen entsprechenden gesellschaftlichen Seinsweisen neu interpretieren müßten. Im romanischen Christentum tat man jedenfalls oft noch so, als ob die erste industrielle Revolutiön nicht stattgefunden hätte.

Die Kirche — ihre Vertreter — hat noch mit keinem ihrer Gegner das Gespräch gescheut. Soll es beim Marxismus anders sein und das Gespräch erst dann begonnen werden, wenn das Sprechen für die Kirche den Sprecher zum Blutzeugen macht? Dabei ginge es bei einem solchen Gespräch wahr-, lieh nicht um gegenseitiges Ueberzeugen, sondern darum, die Wirklichkeit des Kommunismus zu erfahren und für seinen Bereich die Möglichkeiten eines Weiterlebens der Kirche zu prüfen.

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