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Das Christusbild in der modernen Kunst

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Lothar Schreyer ist durch sein künstlerisches Schaffen den Wegbereitern des deutschen Expressionismus, zumal dem Sturm-Kreis, persönlich verbunden. In einem früheren Werk hatte er über diese Zeit berichtet: „Erinnerungen an Sturm und Bauhaus“, München 1956. Doch gilt Sein Hauptinteresse den Grundfragen des christlichen Bildes. Er hatte sie schon in Büchern wie: „Der Sieger über Tod und Teufel“ (1953) und „Christliche Kunst des XX. Jahrhunderts in der katholischen und protestantischen Welt“ (1959) angeschnitten. Der neue Band sucht nun die Grundprinzipien für das Schaffen und jede Begegnung mit dem christlichen Bild aufzudecken. Eine grundsätzlich neue Sicht wird geboten, nicht in wissenschaftlicher Analyse, sondern als Bekenntnis. Im Christentum steht auch das Bild unter dem Primat des Wortes. Entsprechend der kirchlichen Wortverkündigung als Menschenwort, das ein Entfalten, Aneignen und Aufnehmen des Gotteswortes ist, wird die christliche Kunst als „Bildverkündigung" bestimmt: menschliches Bilden, das auf die uns offenbarte und in der Kirche übermittelte Bilderwelt des ewigen Wortes eingeht (16). Solche Bildverkündigung ist Liebestat. Sie setzt natürliche Begabung zur Tat voraus, vor allem aber die Liebe.

„Daher ist die Bildverküttdigmig kein entscheidend künstlerisches Phänomen, sondern ein primär religiöses. Eine Liebestat kann nicht ohne Liebe getan werden und sie kann nicht sein ohne Tun und ohne Tat. Wobei es letztlich nebensächlich ist, ob die Tat ein Kunstwerk ist im Sinne einer künstlerischen Kategorie“ (21).

In dem ersten Abschnitt über die Grundsätze der Bildverkündigung wird die Frage nach dem Schönen von einer neuen Seite her angegangen. „Wer liebt, für den ist deT Gegenstand der Liebe schön.“ Für diese an sich nur subjektive und relative Erfahrung findet sich im Handeln, im Lieben Gottes die absolute Begründung.

„Die Schönheit ist ihrem Wesen nach kein ästhetischer Begriff, sondern ein theologischer; sie ist das Sichtbarwerden der Liebesordnung des göttlichen Lebens. Diese Ordnung kennt den rein ästhetischen Schönheitsbegriff nicht. Was die i ästhetische oder nt: natürliche Betrachtung -häßlich nennt,ist, wenn es die vollkommene Liebesordnung ausdrückt, schön.“

In dieser Sicht ist der Gekreuzigte in seiner Todesqual, dessen Anblick vielen ein Ärgernis wird, schön (17 f.). Es gibt also eine Schönheit, die nur dem Gläubigen und Liebenden aufgeht.

Sowohl das Schaffen wie das Betrachten des christlichen Bildes setzt eine natürlich-übernatürliche Begabung voraus. Dazu muß man selbst in der übernatürlichen Liebesordnung leben und über die charismatische Begabung verfügen (22). Auch das Verständnis vom Schaffen des Künstlers wird vertieft. Hier liegt ei bedeutender Beitrag zur Theorie des Kunstwerkes. Besonders wird der Zusammenhang mit den Urbildern betont. Das künstlerische Schaffen gelingt nicht vom gegenüberstehenden Gegenstand her, sondern einzig aus dem Innenstand, in dem sich das Urbild spiegelt: das ist Christus (104). Das christliche Bild stammt aus der Inbilderwelt des christlichen Bewußtseins (105).

Leider wird die Theorie nicht aus der Betrachtung der Bilder entwickelt. Erst der dritte Abschnitt des Buches geht auf einzelne Werke ein. Nach allem Grundsätzlichen darf man auf die Anwendung gespannt sein, die nun für die Beurteilung der Gegenwart folgt. Sie fällt anders aus, als die rigorose Theorie vermuten lassen konnte. Eine beachtliche Aufzählung großer Werke aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts deutet der Autor als inmitten von Not gegebene Christusbekenntnisse (78—81). Das Schaffen der Generation Kandinskvs wird als Vorbereitung des Gefäßes für den Empfang des „christlichen Bildes" gewertet. Im Durchstoß zum ungegenständlichen Bild „begann nun die Verkündigung der geistigen Wirklichkeit“ (81). — Konstante Gestaltungsform des Christusbildes ist immer die Menschenform. Der Autor versteht sie nicht so sehr als Ähnlichkeit, denn als Bild, das von der Vorstellung des wirklichen Menschen erfüllt ist. Eine konstante Trias läßt sich am Christusbild heraus- stellen: Ausdruck höchsten Leidens,

höchster Ausdruck der Herrlichkeit und beides getragen von gottmenschlicher Liebe (30). Neben anderen Problemen geht der Autor in diesem Zusammenhang auch auf die aus der Kunstgeschichte und Liturgiegeschichte bedeutungsvolle Frage nicht näher ein. ob an den beobachteten Konstanten nicht einmal das eine und dann das andere Merkmal deutlich vorherrschen kann Über die Geltung der Forderung nach dem menschlichen Christusbild bleibt der Leser auch deshalb im unklaren, weil der Autor an anderer Stelle die nichtmenschlichen Sinnbilder Christi ausdrücklich anerkenni (53, 246 ff). Sie seien grundsätzlich vor allen Schöpfungsgebilden her zu gewinnen Ihnen kommt eine seltene Mitteilungskraft zu, die unser intellektuelles Einsehen übersteigt (248), was unseres Erachtens nicht zuletzt auch auf den Anrui an unsere Einbildungskraft zurückzuführen ist. Für die Rolle der Phantasie im Bildschaffen findet der Autor jedoch nui Worte der Zurückweisung. Den absoluten Grundformen geometrischer Struktur hingegen glaubt er eine ausgesprochene tri- nitarische .Sinndeutung geben zu können (110). Von einem Zueinander des ungegenständlichen und gegenständlichen Christusbildes ist wiederholt die Rede (265).

Eigenartig scheint der Gebrauch des Wortes „Meditation“. Sie hat nach Auffassung des Autors im Bereich des Bildes keinen Platz. Das Interesse für das Bild ist bloße Vorbereitung: „Die Kunstbetrachtung ist kein religiöser Akt“ (268), Der an anderem Ort (22) im christlichen Betrachter vorausgesetzte — freilich nui in der Gnade mögliche — Übergang vom natürlich sinnenhaften und geistigen Schauen zu einer Art übernatürlich geistiger Schau im Meditieren des Bildes wird wieder vergessen. Zweifellos gehör! auch die menschliche Vorbereitung der Meditation in den religiösen Akt mil hinein und wir brauchten nur auf einen heiligen Franz von Assisi zu blicken, um zu erfahren, wie aus der Lebensnähe zu Christus selbst die Begegnung mit dei Natur zum religiösen Akt geprägt werden kann.

Wen die mit theologischen Zitaten gesicherten und mit viel Theorie belasteter Darlegungen abschrecken, der kann mit dem dritten Teil des Buches beginnen. Dort ist von den Werken und ihrer Wertung die Rede. Der Autor geht einzelnen Typen des Christusbildes nach. Auch das Christusbild der farbigen Völker und Kin der fehlt nicht. Das an christlicher Weisheit und künstlerischer Lebenserfahrung überaus reiche Buch ist ein bedeutendes Zeugnis christlicher Begegnung mit der Kunst, ln seiner Theorie ist Lothar Schreyer einseitig. Die ausdrückliche Beachtung der „gottesdienstlichen Funktion“ (10) des christlichen Bildes ist wertvoll. Damit wird die Kunst i den größeren Zusammenhang ihrer Sendung gestellt. Unter der theokratischen Einseitigkeit dieses Aspektes verblaßt jedoch alle Rücksicht auf natürliche Voraussetzungen. Sosehr, daß ein Kriterium künstlerischer Qualität nicht mehr greifbar wird. „Die gottesdienstliche Funktion des Bildes, die helfende Zurüstung zum Gebet, ist unabhängig von künstlerischen Kategorien“ (276). Der Blick auf Gott scheint für den Autor nur möglich, indem er an der Kunst vorbeisieht. Zwar wird das Bild als ein Offenbarungsbereich Gottes erkannt, nicht aber die Kunst selbst. Hier versagt die Anleitung des Autors. Das Tun und Ringen auch des begnadeten Menschen scheint in Fragwürdigkeit zu zerrinnen. So gilt das Buch mehr dem „idealen“ Christusbild als seiner Inkarnation im Bereich der künstlerischen Werte. Die lähmende Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität macht sich teilweise auch in dem gut ausgest’atteten Bildteil bemerkbar, wo große Werke ziemlich unbegründet neben schwache Bilder treten. Die begnadete Meditation über das, was in Bildern zu finden ist, hat versucht, die Bilder selbst zurückzulassen (276). Dieser Versuch ist das Wagnis des Buches und zugleich sein Versagen gegenüber der Kunst des Christen, die unter den Formen lebendiger Äußerung der Gnade im schaubaren Bereich dieser Welt von ganz eigener Art ist. Jeder, dem das Anliegen der Kunst in der Gegenwart etwas bedeutet, sollte sich mit diesem Buch auseinandersetzen.

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