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Das Werk Albert Einsteinsgen zur woche

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Die Physik hat heute weltpolitische Bedeutung erlangt. Zwar faßt alle wtumm-lW Entwicklung der letzten 200 Jahre auf der Anwendung der Kenntnis physikalischer Gesetze, aber es war vor allem die routinierte Arbeit des spezialisierten Ingenieurs, der als Planer dieses Fortschritts öffentlich in Erscheinung trat. Seit der Entdeckung der Kernspaltung mit ihren umwälzenden Folgen ist es jedoch die Grundlagenforschung der Physik selbst, die das Interesse der Mächtigen auf sich zieht — mix gewaltigen Mitteln gefördert —. Schrecken und Hoffnung in ungeahntem Ausmaß dem Menschen verheißend. In dieser Situation ständig wachsender wissenschaftlicher Betriebsamkeit ist eine Betrachtung des Werkes Albert Einsteins, der am 17. April in Princeton gestorben ist, gewiß am Platz. Denn wenn einer, so repräsentierte e r jenen Typ des Gelehrten, der — . weltfremd bis zur Absonderlichkeit — ohne Rücksicht auf Nutzen und praktische Anwendung sich in rein philosophischem Streben nach Erkenntnis ein Lehen lang bewühte. Und wenn wir die Geschichte der Naturwissenschaften überblicken, so waren 'es fast immer solche Persönlichkeiten, denen die wesentlichen Erkenntnisse zu danken waren.

Wollen wir die äußeren Ereignisse seines Lebens beiseite lassen, „derm“ — so schreibt er in seiner Selbstbiographie — das Wesentliche im Dasein eines Menschen von meiner Art liegt in dem, was er denkt und wie er denkt, nicht in dem. was er tut oder erleidet.“ — Die erkenntnistheoretische Grundeinstellung Einsteins ist etwa folgende: Der Welt unserer sinnlichen Erfahrung steht die Welt der Begriffe gegenüber. Nach logischen Regeln geordnet, vollzieht sich das Denken. Seine Beziehung zur Erfahrungswelt ist nur dadurch gegeben, daß wir eine intuitive Verknüpfung zwischen unseren Begriffssystemen und den Erfahrungstatsachen vornehmen. Einstein betont, daß wir uns der Willkürlichkeit der Zuordnung unserer BegriffbiHdEngiein zur Erfahrung stets bewußt bleiben sollten, da wir von Natur aus geneigt sind, die bewährten und lange benützten Begriffe schließlich mit dem empirischen Material selbst zu verknüpfen und uns damit den Weg zu einer tieferen Einsicht zu versperren. Trotz des großen Einflusses, den die kritische Philosophie Humes und Machs auf ihn in seiner Jugendzeit ausübte, scheidet er sich mit dieser Anschauung von der des Positivismus. „Eine Theorie“ — so schreibt er — „kann an der Erfahrung überprüft werden, aber es gibt keinen Weg von der Erfahrung zur Aufstellung einer Theorie.“ Einstein, der sich zu dem pantheisti-schen Gottesbegriff Spinozas bekannte, war in unserem materialistischen und empiristischen Jahrhundert vielleicht der einzige große Vertreter des Königsweges der klassischen Philosophie, der deduktiven Methode. Das Ideal, dem er zustrebte, ist, von der Annahme einiger weniger Grundprinzipien aus, welche als intuitiv unmittelbar einsichtig erkannt werden, die Gesetze der Physik als logisch notwendig — so und nur so möglich — mathematisch abzuleiten.

So wie in der Thermodynamik auf Grund der Annahme der Gültigkeit ihres 1. und 2. Hauptsatzes (daß nämlich Energie nicht aus Nichts gewonnen und Wärme nicht restlos in Mechanische Energie übergeführt werden kann) das gesamte Lehrgebäude deduktiv abzuleiten ist, o ging Einstein davon aus, da* das Relativitäts-prinzip AHgemeingürtigkeit haben müsse. Dieses besagt, daß für alle in einer gleichmäßigen und geradlinigen Bewegung befindlichen Beobachter sowohl für die mechanischen als auch für die elektrisch-optischen Vorgänge dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten. Das bedeutet praktisch nichts anderes, als daß man in einem völlig ruhig und gleichmäßig fahrenden, gänzlich geschlossenen Zug durch keine Art von Experiment den Bewegungszustand des Zuges feststellen kamt. Die Physik tot Frafrni hat die Gültigkeit dieses Prinzips nur für mechanische Vorgänge angenommen. Das Experiment von Michelson hatte jedoch gezeigt, daß die Messung der Geschwindigkeit des Lichtes immer denselben Wert ergibt, unabhängig, ob und wie schnell sich der Beobachter relativ zur Lichtquelle bewegt. Dies bedeutet, daß das Relativitätsprinzip auch auf die elektrisch-optischen Vorgänge ausgedehnt werden muß. Dieses scheinbare Paradoxon konnte Einstein durch seine Kritik des Gleichzeitigkeitsbegriffes lösen. Er zeigte, daß es sinnlos ist, von einer Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse an räumlich voneinander entfernten Punkten zu sprechen, wenn man nicht eine Meßvorsehrift angibt, durch die diese Gleichzeitigkeit festgelegt werden kann. Auf Grund einer solchen tatsächlich durchführbaren Meßvorsehrift ergeben sich jedoch Beziehungen zwischen Zeit- und Raumabständen von relativ zueinander bewegten Systemen, welche das erwähnte Paradoxon auflösen.

In seiner allgemeinen Relativitätstheorie ging Einstein von der Tatsache aus, daß schwere und träge Masse eines Körpers einander genau gleichen. Unter Schwere versteht man jene Eigenschaft der Körper, die ihre gegenseitige Anziehungskraft gemäß dem Gravitationsgesetz bedingt, unter Trägheit den Widerstand, den sie ihrer Beschleunigung entgegensetzen.) Wenn dies kein Zufall ist, und eine solche Annahme widerspräche der Weltkonzeption Einsteins, dann wird man in einem Schwerefeld dieselben Gesetze beobachten wie in einem beschleunigten System z. B. in einem anfahrenden Zug). Das Bemerkens wer teste an dieser in ihrer Durchführung äußerst komplizierten Theorie ist, daß es Einstein hier gelang, nur unter der Voraussetzung dieses allgemeinen -Relatrvitäts-prinzips Gleichungen für die Gravitation mit mathematischer Notwendigkeit abzuleiten, aus der sich Folgerungen ergaben, die in der Astronomie wirklich bestätigt werden konnten.

Wenn der Formalismus seiner in den letzten Jahrzithnten entwickelten allgemeinen Feldtheorie, welche die Schwerkräfte und 'die elektro-nnagnetischen Kräfte unafaßt und unter den gleichen Gesichtspunkten abgeleitet wurde, auch eine Geheimwissensehaft einiger Spezialisten auf der Welt bildet, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß hier eine theoretische Neukonzeprion unseres Bildes der materiellen Welt entworfen wurde, die nur mit der ungeheuren Leistung Newtons verglichen werden kann. Wenn heute jeder Mittelschüler mit mehr oder weniger Verständnis lernt, daß Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist, so sind diese Begriffe bereits so weit zum Allgemeingut geworden, daß sie uns beinahe als Selbstverständlichkeit erscheinen. Wir haben kein Gefühl mehr dafür, welch großartige intuitive Iristwng die Aufstellung dieser Axiome der Nfewtonschen Mechanik bedeutete, auf der dreihundert Jahre physikalischen Denkens fußen. Und wenn auch heute bei der bloßen Nennung der Relativitätstheorie den Laien leichtes Gruseln befällt, so werden dennoch auch diese Begriffe einmal Allgemeingut der Menschheit werden.

So ist das Kennzeichnende des Weltbildes, das Albert Einstein entwaifen hat, die exakte Gesetzmäßigkeit, nach der sich alles Geschehen vollzieht, das letzten Endes durch ein einziges Formelsystem wiedergegeben werden kann. Ebenso unbedingt wie seine Ueberzeugmng von der Existenz dieser geordneten Harmonie des Alls war in unserer Zeit skeptischer Erkenntniskritik sein Vertrauen in die Fähigkeit des menschlichen Geistes, sie zu ergründen.

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