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Seit Jahrhunderten hat es kaum eine päpstliche Enzyklika gegeben, die ein solch heftiges für und wider hervorgerufen hat, wie das Rundschreiben „Humanae vitae“ (Für das menschliche Leben) vom 25. Juli 1968, in der Papst Paul VI. die traditionelle Ehelehre der Kirche bestätigt.

Bezeichnend für die Aufnahme dieser Enzyklika mag die Äußerung eines namhaften katholischen Theologen sein: „Das hat uns gerade jetzt noch gefehlt! Inmitten der spannungsgeladenen ideologischen Kämpfe im Weltkommunismus eine römische Ideologie voll von Natur- recht und Gesetzesdenken aus dem Mittelalter. Damit ist der Kirche, die durch das Vaticanum II in der Weltöffentlichkeit wieder an Ansehen gewonnen hat, schwerster Schaden zugefügt worden.“ Dazu die gegenteilige Meinung: „Diese Enzyklika ist ein Dokument zur Rettung der Menschheit und stellt die bedeutendste päpstliche Lehräußerung seit Jahrhunderten dar, vergleichbar nur mit dem kommunistischen Manifest.“

Was beinhaltet diese vielbesprochene, authentische, wenn auch nicht unfehlbare und unwiderrufliche Lehräußerung des Papstes wirklich?

1. In der Darstellung der neuen Prinzipien der kirchlichen Ehelehre kombiniert sie die traditionelle Ehelehre der Kirche mit den neuen Grundwerten der Ehe, wie sie am Konzil und in der Geburtenkommission in überwiegender Mehrheit von namhaften Theologen vertreten wurden.

2. ‘ Es wird ausführlich über die brennenden Probleme der weltweiten Geburtenkontrolle gesprochen, wie Bevölkerungsexplosion, Hungerkatastrophen in Entwicklungsländern, aber auch von den grandiosen Fortschritten in der Beherrschung der Naturkräfte durch menschliche Vernunft.

3. Das Bild der neuen personalen Ehe wird klar herausgestellt.. Eheliche Parnerschaft, der Vorrang der Gattenliebe, die Einheit und Ganzheit des ehelichen Lebens auch hinsichtlich der Fruchtbarkeit, die verantwortete Elternschaft in eigener Selbstprüfung usw. gelten als unauf- gebbare Werte einer christlichen Ehe.

4. Es wird die Zuständigkeit des kirchlichen Lehramtes in dieser Sache betont, denn es handelt sich hier um die christliche Sittenlehre, insofern „die Ehe eine weise Einrichtung des Schöpfers ist, um den Plan seiner Liebe in der Menschheit zu verwirklichen. Dazu hat die Ehe für den getauften Christen die Würde eines sakramentalen Gnadenzeichens, insofern 9ie die Einheit Christi mit seiner Kirche darstellt" (Nr. 8).

5. Gegenüber der Ehezwecklehre des kirchlichen Rechtsbuches werden in wohltuender Weise die Wesensmerkmale und der Primat ehelicher Liebe hervorgehoben als einer menschlichen, zugleich sinnanhaften und geistigen Liebe, die auf eine un- gefeilte personale, selbstlose und auf Lebenszeit treue Lebensgemeinschaft der Gatten hinzielt und mit Fruchtbarkeit gesegnet ist.

6. Verantwortete Elternschaft umfaßt nicht nur die Kenntnisse der biologischen Abläufe, sondern auch die Beherrschung der instinkthaften Triebe zur Zeugung menschlichen Lebens durch Verstand und Willen.

Je nach Lage kann sie die Großoder Kleinfamilie im Auge haben.

Bei der Ausübung der verantworteten Elternschaft haben sich die Eheleute nach der objektiven Sittenordnung zu richten, die von Gott geschaffen ist und die das rechte Gewissen getreu auslagt. Sie müssen ihre Verpflichtung gegenüber Gott,

sich selbst, ihrer Familie und der Gesellschaft in der richtigen Rangordnung der Werte anerkennen und dürfen sich nicht willkürlich oder autonom über den Sühöpferwillen hinwegsetzen.

Was traditionelle und neue Ehelehre scheidet

7. Wenn bisher die traditionelle und neue Ehelehre im großen und ganzen übereinstimmten, so trennen sie sich in der Frage über Wesen und Zielsetzung der einzelnen ehelichen Akte. Es ist verständlich, wenn der Papst an der bisherigen Lehre einer untrennbaren Einheit von ehelicher Vereinigung und Fortpflanzung festhält, da trotz mehrjähriger intensivster theologischer Arbeit die Methodenfrage nicht einwandfrei gelöst werden konnte.

Durch Jahrhunderte hat die Kirche an der Einheit der ehelichen Hingabe mit der Fruchtbarkeit festgehalten und jeden Mißbrauch unter Androhung der Hölle verboten, da dem Menschen kein unbeschränktes Verfügungsrecht über seine Zeugungsfähigkeit zusteht. Daher sind die direkte Unterbrechung des Verkehrs, die Schwangerschaftsunterbrechung, die direkte Sterilisation und die bewußte Verhinderung der Zeugungsfähigkeit des ehelichen Aktes durch künstliche Maßnahmen verboten. Auch die versuchte Rechtfertigung solchen Vorgehens durch das Prinzip des geringeren Übels oder durch den Hinweis, daß der einzelne, bewußt unfruchtbar gemachte Akt mit den bewußt fruchtbar gesetzten ehelichen Akten ein Ganzes bildet und daher teilhat an der einzigen und identischen Gutheit des ganzen ehelichen Lebens. Solche frustrierte Akte werden ja nicht willkürlich, sondern aus einem wichtigen Grund zur Bezeugung der Liebe, zur Lösung der zwischengeschlechtlichen Spannungen und zur Erreichung einer tieferen personalen Einheit gesetzt.

Eheliche Liebe kann ja auch an der Enthaltsamkeit scheitern.

Der Papst verwirft aber solche Argumente mit dem Hinweis, daß es niemals erlaubt sei, das sittlich Schlechte zu tun, damit daraus das Gute hervorgehe.

Schwer trifft dieser scholastische Grundsatz das Votum der Mehrheit der Geburtenkommission, wenn ihre Lösungsversuche in einem Atemzuge mit Abtreibung und Sterilisation als sittlich böse verworfen werden.

8. Als Ausweg aus einem kaum lösbaren Ehedilemma weist die Enzyklika auf die Erlaubtheit therapeutischer Mittel bei Krankheiten hin, auch wenn sie Sterilität verursachen sollten.’ Besonders betont wird die mögliche Inanspruchnahme der unfruchtbaren Perioden nach Knaus-Ogino, und zwar aus folgenden Gründen: Dem Geist des Menschen kommt das Vorrecht zu; die von der Natur angebotenen Möglichkeiten zu beherrschen. Gerade dieses Argument führen auch die Vertreter der künstlichen Geburtenkontrolle ins Feld, wenn sie den frustrierten ehelichen Akt als notwendig zur Erhaltung von Harmonie und Frieden in der Ehe erachten. Daher wird streng auf die von Gott festgelegte Ordnung im physiologischen Bereich des Menschen verwiesen. Damit geben sich die fortschrittlichen Theologen nicht zufrieden, dáin die menschliche Geschlechtlichkeit und eheliche Hingabe müssen mehr vom Geist und Gewissen als von der Biologie bestimmt werden. Denn nur in der Verfügungsgewalt über die Natur, in der freien sittlichen Verantwortung in bezug auf seine Fortpflanzung, wird der Mensch zum Ebenbild Gottes. Die untrennbare Einheit der Gottes- und Nächstenliebe, die Freiheit vom Zwang des Gesetzes, zu der uns Christus durch sein Evangelium und seinen Erlösertod befreit hat und die Verantwortung im Gewissen vor Gott, sind die Fundamente einer neuen Ehelehre, wie sie die Mehrheit der Geburtenkommission vor Augen hatte. Dazu wird aber noch viel zur Erziehung zur Mündigkeit und Selbstverant- woriung ‘•bei uns- -Katholikem-getan werden müssen.

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