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Der große Pionier ‘ der Völkerkunde

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Am 10. Februar 1954 ist der große Ethnologe und Sprachwissenschaftler Prof. Doktor Pater Wilhelm Schmidt SVD. knapp vor Vollendung seines 86. Lebensjahres in Fribourg in der Schweiz verschieden. Es fällt schwer, der Wirksamkeit und den Leistungen dieses einmaligen Forschers und Denkers im Rahmen einer kurzen Würdigung gerecht zu werden. Mit ungewöhnlicher Schaffenskraft, die bis zu seinem Tode nicht erlahmte, immer den Blick auf das Universale, auf die großen Zusammenhänge gerichtet, arbeitete er im Laufe seines reichen Lebens m fast allen Teilgebieten des weiten Feldes der Völkerkunde, Religionsgeschichte und Linguistik. Es gibt nur wenige Völker, denen er nicht in irgendeiner Weise seine Aufmerksamkeit zugewendet hatte. Er war ein Meister der Synthese, seine Schlußfolgerungen dokumentieren strenge scholastische Schulung. Sein temperamentvolles Wesen, seine Kämpfernatur äußerten sich im besonderen in zahlreichen Kritiken und Polemiken, zu denen er immer wieder genötigt wurde. Weit über 500 Publikationen sind die Frucht seiner umfassenden Forschungstätigkeit.

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Am 10. Februar 1954 ist der große Ethnologe und Sprachwissenschaftler Prof. Doktor Pater Wilhelm Schmidt SVD. knapp vor Vollendung seines 86. Lebensjahres in Fribourg in der Schweiz verschieden. Es fällt schwer, der Wirksamkeit und den Leistungen dieses einmaligen Forschers und Denkers im Rahmen einer kurzen Würdigung gerecht zu werden. Mit ungewöhnlicher Schaffenskraft, die bis zu seinem Tode nicht erlahmte, immer den Blick auf das Universale, auf die großen Zusammenhänge gerichtet, arbeitete er im Laufe seines reichen Lebens m fast allen Teilgebieten des weiten Feldes der Völkerkunde, Religionsgeschichte und Linguistik. Es gibt nur wenige Völker, denen er nicht in irgendeiner Weise seine Aufmerksamkeit zugewendet hatte. Er war ein Meister der Synthese, seine Schlußfolgerungen dokumentieren strenge scholastische Schulung. Sein temperamentvolles Wesen, seine Kämpfernatur äußerten sich im besonderen in zahlreichen Kritiken und Polemiken, zu denen er immer wieder genötigt wurde. Weit über 500 Publikationen sind die Frucht seiner umfassenden Forschungstätigkeit.

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W. Schmidt kam von der vergleichenden Sprachwissenschaft her, worin er sich in der Erforschung ozeanischer, südostasiatischer und australischer Sprachen schon bald einen Namen machte. Dieses große Interesse an linguistischen Studien, die in seinem zusammenfassenden Werk „Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde“ (1926) gipfelten, begleitete ihn sein ganzes Leben. Am Beginn dieses Jahrhunderts wandte sich Schmidt nun der Völkerkunde zu, in einer Zeit, die durch eine geistesgeschichtliche Situation besonderer Art gekennzeichnet war. Gegen die bis dahin vorherrschende Auffassung von der naturgesetzmäßigen, einlinigen Entwicklung der menschlichen Kultur von niederen, rohen Formen über verschiedene Stufen zur Hochkultur, dem sogenannten Evolutionismus, war von maßgebenden, vornehmlich deutschen Gelehrten, wie dem Anthropogeo- graphen F. Ratzel und dem Historiker F. Graebner, Stellung genommen worden. Man erkannte, daß für die Erklärung von Aehnlichkeiten zwischen Kulturen hohe Bedeutung den Völkerwanderungen und Kulturübertragungen zukomme, daß der Kulturablauf kein naturwissenschaftliches, sondern ein historisches Phänomen sei, daß auch die schriftlose Menschheit, die sogenannten Naturvölker, in den Bereich der Geschichte gehören und daß es der menschliche Geist sei, der Kultur schafft. Schmidt wurde der konsequente und energische Verfechter dieser Erkenntnisse und gab nun in Oesterreich der Ethnologie die ihr artgemäße Richtung. In der 1906 von ihm (im Missionshaus Sankt Gabriel) ins Leben gerufenen Internationalen Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde, dem „Anthropos“, legte er in einem programmatischen Beitrag „Die moderne Völkerkunde“ in positiver Kritik die geistesgeschichtlichen Hintergründe der Ethnologie als einer historischen Disziplin dar und gab in seinem „Handbuch der kulturhistorischen Methode der Ethnologie“ (1937), worin er die von F. Graebner erarbeiteten Prinzipien zu einer möglichst objektiven Erfassung der Kulturgeschichte der Primitiven weiter ausbaute, der von ihm und seinem ältesten Schüler Wilhelm Köppers begründeten Wiener Schule der Völkerkunde das methodische Rüstzeug.

Schmidts wissenschaftliches Hauptanliegen war die Erforschung jener einfachen Jäger- und Sammlervölker, die aus methodischen Gründen die heute faßbaren ältesten Kulturen aufweisen. In seinem Buch über die kulturhistorische Stellung der Pygmäenvölker (1909) wies er auf die eminente Bedeutung einer gründlichen Erforschung dieser altertümlichen Völkerschaften hin, um Mensch- heitsdokumente von höchstem Wert für die Wissenschaft zu retten. Sein Appell blieb lange unberücksichtigt, bis dann von den Patres Schebesta, Trilles und Vanoverbergh in verschiedenen Forschungsreisen die Zwergvölker sowie von M. Gusinde und W. Köppers die Kultur der urtümlichen Feuerlandsindianer knapp vor ihrem Aussterben eingehend studiert werden konnten. Seine eigentliche Lebensaufgabe sah aber Wilhelm Schmidt in der Erforschung der Religion jener Altvölker. So entstand sein monumentales Werk „Der Ursprung der Gottesidee“, das heute in elf Bänden von je 1000 Seiten und einem zwölften Band in Manuskript vor liegt. Dazu gibt es in der gesamten ethnologisch-religionswissenschaftlichen Literatur kęin Gegenstück. Man kann es kaum für möglich halten, daß die Darlegung und Verarbeitung eines solch enormen Tatsachenmaterials, wie es in diesen Bänden geboten wird, von einem einzigen Gelehrten bewerkstelligt werden konnte. Schmidt hat hierin die gesamte verfügbare Literatur über die Religion der Altvölker ausgewertet und anschließend die religiösen Verhältnisse der afrikanischen und asiatischen Hirtenvölker behandelt, für die er eine alte jägerkultprliche Grundlage annahm. Nach den Kriterien der historischen Methode suchte Schmidt in tiefgreifenden Synthesen die älteste Religion der Menschheit wissenschaftlich zu ergründen, die er in einem relativ betonten Hochgottglauben (Urmonotheismus) sieht. Mit seinem „Ursprung der Gottesidee“ hat sich der Verewigte ein bleibendes Denkmal gesetzt, er hat uns ein Werk hinterlassen, auf das die vergleichende Religionswissenschaft wird immer wieder zurückgreifen müssen, mag man auch manche Einzelheiten der Interpretation nicht teilen oder mögen einige Schlußfolgerungen zu kühn erscheinen. Die Hauptergebnisse des Werkes, nämlich die Wertung des Gottesglaubens der Altvölker, werden in wesentlichen Punkten auch weiterhin ihre Gültigkeit haben.

Seine intensive Beschäftigung .mit der Kultur der einfachen Jägervölker führte Schmidt auch zur Klarstellung der Eigentumsverhältnisse auf den ältesten Menschheitsstufen. Hierüber liegt ein dreibändiges Werk vor, das die Grundlagen darbietet für jede wissenschaftliche Erörterung so wichtiger Fragen, wie Naturrecht, Privat- und Kollektiveigen’ tum, Ethik und Besitz usw. All diese schwierigen und weitschichtigen Forschungen ließen Schmidt noch immer Zeit, sich auch anderen Themen der Völkerkunde und Kultur- g geschickte zuzuwenden. So hat er sich auch den Rassen- und Völkerproblemen des Abendlandes gewidmet und darüber in einem weiteren dreibändigen Werk gehandelt. In diesem bietet er auf breiter Basis eine kulturhistorische und kulturpolitische Zusammenschau, wobei er die Ergebnisse der physischen Anthropologie, der Prähistorie und Historie mit den Erkenntnissen der Völkerkunde in Einklang zu bringen suchte, dem Indogermanenproblem besondere Aufmerksamkeit schenkte und auch die moderne Zeitgeschichte mit berücksichtigte, um zu universalen Aspekten zu gelangen.

Eine besondere Note der Arbeiten Wilhelm Schmidts ist die kulturkreismäßige Erfassung der Primitivkulturen als Versuch, eine historische Gliederung und Schichtung der schriftlosen Menschheit zu geben. Die seinerzeit von den ersten Pfadfindern der historisch orientierten Ethnologie, Graebner und Ankermann, erarbeiteten Kulturkreise baute Schmidt inhaltlich weiter aus und versuchte, den Kulturkreisbegriff im Sinne letzter Kultureinheiten als methodisches Prinzip zu vertiefen. So ergab sich für ihn folgender historischer Entwicklungsgang der Kulturen: 1. Die Kulturkreise der einfachsten Jäger und Sammler, die „Urkulturen“, als Grundlage der gesamten Kulturentfaltung. 2. Daraus als parallele Weiterentwicklungen die drei „Primärkulturen“, nämlich die Kulturkreise der totemistischen höheren Jäger, der mutterrechtlichen Bodenbauern und der patriarchalischen Hirtennomaden. 3. Aus der Mischung dieser drei Kreise erwuchsen schließlich die Hochkulturen, wobei dem Hirtenelement als adelsbildender Faktor besondere Bedeutung zugemessen wurde. Es ist unbestreitbar, daß die Aufstellung solcher Kultureinheiten als ein beachtlicher Versuch zu gelten hat, in die Vielfalt der Kultur- forme'n ein historisches Ordnungsprinzip zu bringen. Doch zeigte es sich immer mehr, daß das Kulturkreisschema nicht die letzte Erkenntnis bilde, besonders was die so- genannten Primärkulturen betrifft. Auch die Entstehung der Hochkulturen wird heute anders gesehen.

Wilhelm Schmidt stand emotional gewissermaßen noch in der „Kampfzeit“ der jungen, historischen Völkerkunde, die er als Bahnbrecher in entscheidender Weise geleitet hatte. Menschlich st es durchaus verständlich, daß ein kühner Pfadfinder wie er, sich, nicht dazu verstand, seine Konzeption, deren Wert für die Entwicklung der völkerkundlichen Wissenschaft außer Frage steht, aufzugeben. Unberührt bleibt ja auch in den

VON ALLEN BÜROKRATISCHEN ELEMENTEN REINIGEN soll eine neue Säuberungswelle die tschechischen Nationalausschüsse. So Ministerpräsident Široky vor dem Zentralkomitee der KPČ. Die Nationalausschüsse, die nach dem Muster der russischen Sowjets an Stelle der einstigen Gemeindevertretungen und Bezirkshauptmannschaften schon von der Londoner Exilregierung beschlossen und 1945 sogleich ins Leben gerufen wurden, erhielten 1948, nach der kommunistischen Machtübernahme, ihre heutige Gestalt. Aber fünf Jahre später muß der Prager Ministerpräsident feststellen, daß sie die wichtige Funktion, die ihnen im volksdemokratischen Staat zugedacht ist, nicht zufriedenstellend erfüllt haben. Das Mittel, mit dem man die bisherigen Mißstände zu beseitigen hofft, sollen — Wahlen sein! Die Idee ist freilich revolutionär, denn seit dem Bestehen der Nationalausschüsse hat es noch keine Wahlen gegeben, auch nicht in der sogenannten „demokratischen“ Aera zwischen 1945 und 1948. Der Entwurf einer neuen Wahlordnung ist für die nächsten Wochen angekündigt. Bisher ist über seine Grundgedanken bekanntgeworden, daß in jedem Wahlsprengel ein Kandidat gewählt werden soll, und zwar auf Vorschlag der Nationalen Front, die zu diesem Zweck Bertiebsversamm- lungen, Besprechungen der landwirtschaftlichen Genossenschaften, der militärischen Formationen. der einzelnen politischen Parteien, der Gewerkschaftsbewegung, des Jugendverbandes u. dgl, abhält. Neben bewährten Parteimitgliedern können auch parteilose Staatsbürger, wie Bestarbeiter, Erfinder, Fachleute aus den landwirtschaftlichen Genossenschaften oder Wissenschaftler, kurz alle Bürger, vorgeschlagen werden, die ihre positive Haltung zum volksdemokratischen Regime bewiesen und aktiv am Aufbau des Sozialismus teilgenommen haben. Die wesentlichsten Neuerungen gegenüber dem heutigen Zustand sind die Einräumung eines selbständigen Verordnungsrechtes an die Nationalausschüsse aller Stufen, die scharfe Trennung der Regierungsgewalt von der vollziehenden Gewalt — die erste ist Aufgabe des Nationalausschusses selbst, die zweite die seines Rates —, die noch straffere Zentralisierung und die Beseitigung des Referentensystems, das durch eine kollektive Beschlußfassung des Rates ersetzt wird. Beseitigt werden die bisherigen Einheits- Nütionalausschüsse, die vollständig versagt haben; an ihre Stelle treten die Stadt- Nationalausschüsse, die etwa den österreichischen Magistraten entsprechen. Geber die Wahlen sagen beide Gesetzentwürfe lediglich so viel, daß sie durch allgemeine, gleiche, direkte und geheime Abstimmung erfolgen, daß die Funktionsdauer drei Jahre beträgt, daß aber die gewählten Funktionäre jederzeit von ihren Wählern abberufen werden können… Wesenszügen die Darstellung, die Schmidt von den Lebensformen, den Familienverhältnissen und der Geistigkeit der ältesten Völker, deren Vollmenschentum nun evident ist, entworfen hat, unberührt bleibt schließlich die Gültigkeit der von Schmidt geübten historischen Methode der Ethnologie.

Wilhelm Schmidt, „die westfälische Eiche auf österreichischem Boden“, wie er sich einst selbst bezeichnet hatte, weilt nicht mehr unter uns. Sein edles Charakterbild bleibt unauslöschlich im Gedächtnis des großen Kreises seiner Schüler. Seine Leistungen» die Fülle seiner Anregungen und Gedanken werden von seinen Schülern als heiliges Vermächtnis in Ehren gehalten, verwertet und weiterentwickelt im Dienste der Wissenschaften vom Menschen.

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