7103269-1995_20_04.jpg
Digital In Arbeit

Der Mensch als Partner Gottes

19451960198020002020

Gedanken über den Glauben in verschiedenen Lebensphasen stellte der Autor im Rahmen eines Vortrages an. Wir bringen die Überlegungen zum Glauben im Alter.

19451960198020002020

Gedanken über den Glauben in verschiedenen Lebensphasen stellte der Autor im Rahmen eines Vortrages an. Wir bringen die Überlegungen zum Glauben im Alter.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Alter erhält der Zweifel eine überindividuelle Dimension. In „Der Mann Moses und die monotheistische Religion” schrieb Freud, der in seinen letzten Lebensjahren stand: „Wie beneidenswert erscheinen uns, den Armen im Glauben, jene Forscher, die von der Existenz eines höchsten Wesens überzeugt sind! Sie verspüren unmittelbar, was höher und edler und was niedriger und gemeiner ist. Ihr Empfindungsleben ist auf ihre jeweilige Distanz vom Ideal eingestellt. Es bringt ihnen hohe Befriedigung, wenn sie, im Perihel gleichsam, ihm näherkommen, es straft sich durch schwere Unlust, wenn sie, im Aphel, sich von ihm entfernt haben. Das ist alles so einfach und unerschütterlich festgelegt. Wir können nur bedauern, wenn gewisse Lebenserfahrungen es uns unmöglich machen, die Voraussetzung eines solchen höchsten Wesens anzunehmen”.

Immerhin: Forscher, die von der Existenz eines höchsten Wesens überzeugt sind, erscheinen beneidenswert! Gott - ein Geist, für den die Welt keine Probleme bietet, hat er doch ihre Einrichtungen selbst geschaffen -wird als das Ideal ethischer Vollkommenheit angesehen, der den Menschen den Rang eingepflanzt hat, ihr Wesen dem Ideal anzugleichen. Und Freud bedauert, die Annahme, die Voraussetzung eines höchsten Wesens nicht nachvollziehen zu können.

Freud versucht, der Aufgabe nachzukommen, zu erklären, warum andere den Glauben an das göttliche Wesen erwerben konnten, woher dieser Glaube seine überwältigende Macht bezieht. Und zog sich auf seinen naturwissenschaftlich orientierten Standpunkt zurück, der die Phänomene dieser Welt aus seinen eigenen Theorien zu verstehen versucht.

Gott als großer problemloser Geist, der sich sozusagen der Libidoent-wicklung und dem Netzwerk von triebhaftem Es und strengem Überich entschlagen konnte, Gott als einer, der mit den Methoden der Psychoanalyse nicht faßbar war. Immerhin: das nicht einfangbare Phänomen Gott blieb bestehen. Was heißt Glauben in der zweiten Lebenshälfte, wenn der Lebensbogen sich neigt?

Gott ist keine Antitheone, keine Antithese, ist kein unumstößlicher Fels, nicht definierbar als ..., nicht beweisbar. Gottesbeweise sind mir schon als Jugendlichem als Versuche der Argumentation in ihrer Art schon frevlerisch, sozusagen gotteslästerlich erschienen. „Nicht die Existenz Gottes, auch die Existenz eines Nichts läßt sich nicht beweisen” (Hans Küng in Credo). Und Küng setzt fort: „Insofern ist des Menschen Glaube an Gott weder ein rationales Beweisen noch ein irrationales Fühlen noch ein dezisio-nistischer Akt des Willens, sondern ein begründetes und in diesem Sinn eben vernünftiges Vertrauen.”

Dieses vernünftige Vertrauen, das Denken, Fragen und Zweifeln einschließt und das zugleich Sache des Verstandes, des Willens und des Gemütes ist: Das heißt im biblischen Sinn „glauben”. Dieses Glauben schließt nicht aus, daß ich in meinem Glauben an jemanden unsicher werden kann, daß ich heute stärker vertrauen, heute eher glauben kann als morgen; und es ist nicht sicher: Heute kann ich Sehnsucht verspüren, an jemanden zu glauben, morgen mag diese Sehnsucht in mir schon wieder abgeklungen sein. Und doch schließt dieses Glauben wohl ein, daß ich mir mit meinem Vertrauen nicht sicher bin; ich erwarte mir zwar, daß mein Vertrauen erwidert, belohnt wird, doch mit Sicherheit kann ich das nicht erwarten.

Aller meiner Lebensskepsis zum Trotz - oder gerade ihretwegen - bin ich überzeugt, daß dieses Glauben ein „Du” einschließt; ein partnerschaftliches, ein brüderliches „Du”. Wie mich der leibliche Bruder ausfüllen, wie ich ihn spüren kann, auch wenn er nicht zugegen ist, der in mir weilt und zugleich mir gegenübersitzt, so kann ich auch mit diesem Gottes-Du zu reden, zu denken, zu handeln beginnen: lobend, klagend, dankend, bittend, aufbegehrend und empört zurückweisend, bejahend, verleugnend. Dieses Du kann da sein, kann spürbar werden, kann sich mir entziehen, kann mich dulos alleine lassen.

Doch der ältere Mensch mit seiner Skepsis hat wiederholt die Erfahrung gemacht, daß er nicht allein ist, daß er mit vielen Menschen, mit vielen Dingen verbunden ist, mit dem Jammer der Menschheit, mit ihrem Glück.

Und so fließt in das Vertrauen in ein Gottes-Du all die Verbundenheit eines Lebens ein, das Netzwerk der Beziehungen, die Strömungen der Sorgen, die Momente des Aufatmens. „Wir fühlen, daß wir unter der Hand eines unsichtbaren Wesens leben: Das ist alles, und darüber hinaus können wir nicht weiter vordringen”, konstatiert Voltaire in seinem Philosophischen Wörterbuch.

Ein brüderliches Gefühl? Kann ich wie vielen Menschen, mit denen ich umgehe, auch Gott etwas geben? Ich kann auch Gott etwas geben: Mich zur Verfügung halten, gegen das Böse mitankämpfen, mich für Gottes Partner halten, in ihm weniger den Allmächtigen sehen als den All-Erbarmer. Wenn wir uns miterbarmen wollten, wenn wir uns gegenüber den Mitmenschen, gegenüber der Kreatur als Miterbarmer verstehen könnten, wären wir Gottes Partner, Gottes Bruder. Bruder Gott. Gleichsam als Vermächtnis hat dies auch Dietrich Bon-hoeffer, am 9. April 1945 von den Nationalsozialisten ermordet, in einem seiner Gedichte formuliert: Der Autor ist

Professor und Vorsland der Universitätsklinik für Psychiatrie in Graz. Sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag „Der gläubige Mensch heute” am Symposium „Psychiatrie und Seelsorge” im Oktorber 1994 in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung