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Der Mensch im Weltall

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Die Überlegungen, die der Autor dieses Artikels anstellt und deren besondere Aktualität dadurch gegeben ist, daß der Geburtstag des großen Naturwissenschaftlers Galileo Galilei sich in diesen Wochen zum 400. Male jährt, bewegen sich auf der Ebene der reinen Philosophie und der rein natürlichen Religion und sehen von der Offenbarung völlig ab. In dem vorliegenden Zusammenhang ist dies auch ganz und gar unzulässig. Das Problem des scheinbaren Gegensatzes zwischen naturwissenschaftlichem Weltbild und dem Weltbild der Offenbarung behandelt der Autor nicht. Er hebt richtig hervor, daß das christliche Weltbild des Mittelalters und der nachfolgenden Jahrhunderte naturwissenschaftlich das ptolemäische war, und zeigt philosophisch eine Lösung des scheinbaren Widerstreites zwischen dem sich ständig wandelnden und weitenden Weltbild der Naturwissenschaft und dem unveränderlichen Weltbild der Religion.

Vor drei Jahrhunderten arbeitete Galilei die Folgen der Studien Koperniks aus, wonach die Erde nicht mehr als das Zentrum des Weltalls oder wenigstens des Sonnensystems betrachtet werden konnte, sondern als peripherischer Planet, dessen astronomische Bedeutung eine erhebliche Einbuße erfuhr. Vor einigen Jahrzehnten überholte die Konzeption Einsteins betreffs des relativen Verhältnisses von Zeit und Raum auch teilweise die Theorien Koperniks und Galileis, und während dieser Tage dürften vielleicht auch gewisse Auffassungen Einsteins berichtigt werden, da man sich neue Entdeckungen durch die immer häufigeren Raumfahrten erwarten kann.

Die bekannteste älteste Weltalltheorie gebührt Ptolemäus, nach welcher die unbewegliche Erde das Zentrum des Sonnensystems darstellte. Dementsprechend hatte diese Auffassung auch die größten Folgen In der Religion und in der Philosophie. Dies wurde richtig von Bertolt Brecht in seinem Theaterstück „Leben des Galilei“ geschildert; er läßt seinen Helden die knappe, brutale Formulierung aussprechen: „Himmel abgeschafft!“, als er die Bewegung der Erde um die Sonne entdeckt. Die Polemik der Kirche gegen Galilei entsprang der Auffassung des 17. Jahrhunderts, nach welcher die peripherische Verschiebung der Erde notwendigerweise auch den Zusammensturz der Religion mit sich bringen würde, da es früher oder später als Zumutung an die Vernunft erscheinen mußte, daran festzuhalten, daß Gott, der Weltallherrscher, sich gerade diesen unbedeutenden Planeten ausgesucht haben sollte, um sich ein bestimmtes Volk auzuwählen, bei dessen religiöser und historischer Entwicklung Er sogar Seinen Sohn zum allgemeinen Heil der Menschheit opfern mußte. Das Mittelalter war noch zu nahe, um den damaligen Kirchenfürsten zu gestatten, die Entdeckungen Koperniks und Galileis gelassen hinzunehmen, ohne zu befürchten, daß dies das Ende der Religion darstellen müsse. Damals glaubte man, daß gottähnliche Menschen nicht auf gottfernen Planeten leben könnten, und es bedurfte weiterer Jahrhunderte, bis die Kirche über diese Sorge vollkommen hinwegkam.

Während nun die Wissenschaftler und die Techniker bereits im Zeitalter nach Einstein stehen, ist die Menschheit in einem bestimmten Sinn zurückgeblieben, sie hält in manchen Dingen nicht einmal bei Galilei, sondern bei Ptolemäus. Es wurde bereits gesagt, daß die jeweiligen Weltallauffassungen die größten Folgen in der Religion und Philosophie zeitigten, und es wäre daher anzunehmen gewesen, daß die Revolution der Weltallikonzeption auch entsprechende Wandlungen der Weltanschauungen erzeugen hätte sollen. Dies geschah nur unvollständig, indem anstatt einer kosmischen Wertung einfach der Agnostizismus zunahm und ein Teil der Menschheit heute entweder überhaupt nichts mehr glaubt oder das Problem des Glaubens gar nicht beachtet. Es ist bedeutsam, dies festzustellen, da weder Galilei (trotz der atheistischen und antiklerikalen Darstellung Brechts) noch Einstein sich jemals gegen den Glauben geäußert haben, ganz zu schweigen von Kopemik, der Kanonikus war. Einstein soll sich eine Existenz Gottes im Sinne Spinozas vorgestellt haben und hat sich jedenfalls diesem Problem mit größter Demut genähert. Auch andere bedeutende Wissenschaftler nichtkonfessioneller Tendenz äußern sich mit größter Vorsicht, sicher nicht aus der Befürchtung, eine teilweise ungläubige Menschheit mit ihren Ansichten zu reizen, sondern weil sie, zum Unterschied von den Zeitgenossen Galileis, erfassen, daß durch die Zunahme der Kenntnisse über das Weltall die Existenz Gottes eher bestätigt als verneint wird.

Es wurde vorher vom Zurückbleiben der Menschheit bei ptole-mäischen Konzeptionen gesprochen, und es stellt sich nun die Frage, ob diese auf den ersten Blick als intellektuelle und moralische Hemmung anmutende Tatsache wirklich eine solche ist. Nach Ptolemäus war alles geozentrisch, daher war der Mensch, als Herr der Erde von Gott eingesetzt, der Mittelpunkt des ganzen Systems, ein kleiner, endlicher Pol vor dem unendlichen Pol Gott. Jedenfalls war aber diese Beziehung bipolar, und es war ganz unfaßbar, daß noch andere Pole ihre Bedeutung zu erlangen hätten. Durch Kopernik und Galilei gelangten diese Faktoren, andere, eventuell von menschenähnlichen Lebewesen bewohnte Planeten, zu ihrer wenigstens theoretisch möglichen Geltung, wodurch die Beziehung Gott-Mensch nicht mehr bipolar, sondern multipolar werden konnte und es sogar zu befürchten war, daß durch die kontinuierliche Zunahme dieser Pole infolge von neuen Entdeckungen eine parallele Entwertung der Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen stattfinden könnte. Derartige Zweifel entstanden durch die falsche Einstellung, Gott auf die Ebene des Menschen herunterzuziehen und Ihm die Fähigkeit abzusprechen, mit jedem einzelnen Menschen auf jedem Planeten in Beziehung zu stehen, das heißt, man bezog das ptolemäische System auf Gott und vergaß dabei, daß — wenn man überhaupt aus rein schematischen Gründen ein von Menschen erdachtes System auf Gott anwenden darf — dies jedenfalls im fortgeschrittensten Sinn Einsteins geschehen müßte, bei welchem Gott durch Zeit und Raum in keiner Weise begrenzt ist.

Während nun Gott über Einsteins System unendlich weit emporragt, ist der Mensch in gewisser Hinsicht fast theologisch gezwungen, ptole-mäisch zu bleiben. Er kann nur Mensch bleiben, ob nun auf der Erde oder im Raum (immer ist er dann in dauernder Beziehung zur Erde) oder auf anderen Planeten, falls er sich dort lange aufhalten könnte; im letzteren Fall wird er dann eben auf dem jeweilig erreichten Planeten „planetzentrisch“ werden. Es ist anzunehmen, daß er gewisse Fähigkeiten und Tendenzen, auch moralischer Art, auf anderen Planeten entwickeln wird, während vielleicht andere verkümmern werden. Doch wo immer er sein wird, er bleibt Mensch, wenn auch ein anderen Verhältnissen unterworfener und angepaßter Mensch, dynamisch in seiner Entwicklung, aber „ptolemäisch“-statiseh als Spezies. Daher wird auch die bipolare Beziehung Gott-Mensch, falls sie vom Menschen gepflegt wird, weiter die gleiche Bedeutung einnehmen, und die religiöse Ethik wird sich auf anderen Planeten in ihren Grundprinzipien nicht ändern. Die äußeren Verhältnisse sind den Wandlungen der Erkenntnisse unterworfen, niemals die inneren. Es wird jedoch eine Aufgabe der Ethik sein, daß bei dieser Unterscheidung zwischen exogenen und endogenseelischen Bedingungen nicht verhängnisvolle Verwechslungen stattfinden. Denn so wie es heißt, „Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben“, so muß der vernünftige ethische Mensch wissen, wann er im Sinn von Einsteins Relativitätstheorie und wann er im ptolemäischen Sinn zu denken und zu handeln hat. Er muß also beides sein; ptolemäisch-geozentrisch und kosmisch.

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