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Der Mystiker spekulativen Typs

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Das Buch Dempfs über Meister Eckhart ist nun in der Herder-Bücherei erschienen — im 700. Jahr nach der Geburt de Eckhart von Hohenheim. Es ist eine außerordentlich geglückte, mit wissenschaftlicher Genauigkeit und mit Begeisterung dargebrachte Reverenz vor dem Metaphysiker und Mystiker Eckhart. Die selten gewordene Doppelbegabung dieses Dominikaners, „Mystiker spekulativen Typs“ gewesen zu sein, hat viel Mißverständnis, Mißbrauch und darum Mißtrauen für sein Werk gebracht. Dieser „existentielle Existenzphilosoph“, der „mit ganzer Persönlichkeit um die geistige Existenz ringende Denker“, gebrauchte die philosophisch-theologische Spekulation für sein eigentliches Anliegen, die Mystik. So haben sich bei Meister Eckhart Fragen an die Metaphysik aus der spekulativen Mystik ergeben und umgekehrt.

Dempf erörtert geradezu unbarmherzig die verschiedenen „Neuerungen“ des Meisters, in denen dieser über die Schule von Thomas von Aquin hinausgeht. Vier solcher Kapitel findet und untersucht der Autor: 1. Eckharts neue Geistidee, die ihn zum Mittelsmann zwischen Scholastik und der Geistphilosophie machte. 2. Die iustitia Christi, anders und höher als die justitia civilis, ermöglicht eine Intensivierung der Gnadenlehre. 3. Die Urgrundmetaphysik (Principium Principiatum) ist Geistphilosophie (historisch betrachtet, eine geniale Verbindung von aristotelischer Substanzmetaphysik, platonischer Prinzipienlehre und christlicher Logoslehre) und beleuchtet die Beziehung von Gott und Welt — ihre Geschiedenheit und Ungeschiedenheit —, ist Grund vieler Falschdeutungen des Meisters und basiert doch nur auf dem unverrückbar festgehaltenen Axiom der realen Unterscheidung von Sosein und Dasein. 4. Diese „Vernunftmetaphysik“ des Meisters ermöglicht das innerste Anliegen Eckharts: die Einigungs- und Einheitsmystik. — Die Arbeit über Meister Eckhart wird erschwert, weil nicht mehr alle Werke des Meisters vorhanden sind; weil viele seiner Predigten wegen des kirchlichen Mißtrauens und .der Zensur nicht unter seinem Namen herauskamen, sondern vielfach in Predigtausgaben des Johannes Tauler veröffentlicht wurden; weil Rekonstruktionen seiner — hauptsächlich philosophischen — Meinungen aus Nikolaus von Kues notwendig waren. Dempf gelingt dieses Unternehmen, so daß man ihm mit Eifer und Freude auf den nicht immer leichten Wegen folgt. Zudem ist dieses Buch ein Meisterstück „geisteswissenschaftlicher Forschung“: nicht philosophische Wortklauberei, nicht historische Berichtsammlung, sondern Zusammenschau: Wie zeigt sich durch Meister Eckhart der Weg des menschlichen Geistes in der Geschichte: seine aus der Vergangenheit übernommene, scholastisch-thomasische Tradition und die kirchliche Rechtgläubigkeit; sodann sein Werk selbst; und endlich seine Einflüsse auf die Zukunft. Dempf nennt letztere eine „paradoxe Nachwirkung“, deren keine der Meister an sich gewollt hatte: idealistische Geistphilosophie, moderne Theosophie, Reformation und die neue mystische Frömmigkeit, die devotio moderna, „zehren“ von ihm. Das glänzend komponierte Kapitel „Die Nachwirkungen des Metaphysikers“ gibt davon Zeugnis für die philosophischen Strömungen — wie das Kapitel „Nachwirkungen des Mystikers“ Eckhart unter die Lehr-und Lesemeister der Frömmigkeit einordnet.

Die dialektische Methode Eckharts war für die Zeitgenossen schon schwierig — sie bleibt auch beim Lesen dieses Buches eine Schwierigkeit, über die auch der Autor nicht hinweghelfen kann. Wer sich aber dieser Mühe unterzieht, entdeckt Meister Eckhart und mit ihm eine für unsere Zeit eminente Befruchtung des geistig-geistlichen Lebens.

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