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Der Weltraum steht offen

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Der Publizist Morin sieht das eigentliche Wesen der Zeitschrift in der Dialektik des Vergangenheits-Zukunfts-Begriffs, den man immer wieder durch Beispiele zu untermauern sucht. So wird die Zerstörung von Sodom und Gomorrha als atomare Explosion erklärt. Aus der Begegnung des Esoterikers Pauwels mit dem „Propheten“ Bergier entwickelte sich ein humanistisch-kosmischer Optimismus. Plötzlich steht der Weltraum dem Erdenbewohner offen. Es wird ihm gesagt, daß die heutige Wissenschaft das Mysteriöse und Poetische nicht mehr ausschließe, daß heute alles möglich und die triumphale Rückkehr zum Legendären gerechtfertigt sei. Man zitiert als Kronzeugen Teilhard de Chardin: „Im Bereich des Kosmos hat nur das Phantastische Aussicht, möglich zu werden.“

„Wenn man die psycho-affektiven Strukturen der Science-fiction betrachtet“, schreibt Edgar Morin, „erkennt man, daß der Triumph der Wissenschaft dort in Wirklichkeit der Triumph der Kräfte ist, die man als primitive Magie bezeichnete. Der menschliche Geist ist im Grenzfall Herr über Zeit und Raum. Er kann jederzeit überall hingelangen. Er kann in die Zeit hineinreisen. Er kann alles verändern. Der Mensch kann sich verdoppeln, seinem Körper entfliehen...“

Das „revolutionäre“ Unternehmen der „Planete“-Initiatoren liegt in der Koordinierung von Technik und Magie durch Vermittlung der Wissenschaft. Sie begründen ihre Ideologie nicht auf der Wissenschaft, sondern bedienen sich ihrer, um ihre Ideologie zu unterbauen. Wissenschaft und Spiritualismus sollen sich ergänzen, anstatt sich zu bekämpfen. Der evolutionäre Optimismus löst einen Grundoptimismus aus, der an den wissenschaftlichen Optimismus des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen scheint, nachdem er in der Zwischenzeit durch Zweifel, Ängste, das Gefühl des Absurden und den Nihilismus erstickt schien. Das Credo von „Planete“ ist, daß die Welt weder absurd noch unverständlich, sondern „organisiert“ sei. Die Funktion des Menschen sei es, die Welt mit bewußtem Optimismus zu betrachten. Jacques Bergier versteigt sich zur Behauptung, daß ein Mensch, der im Jahre 2000 geboren werde, alle Aussicht habe, niemals zu sterben...

Hier dürfte der Schlüssel für den Erfolg der Zeitschrift bei ihren Lesern liegen: Der optimistische Glaube an die Zukunft, an eine neue Renaissance. Der Mensch wird in der Vorstellung bestärkt, daß er nicht isoliert im Weltraum stehe und denkende Wesen auf der Suche nach ihm seien. (Die Marssatelliten dienen dem Kontakt mit der Menschheit, denn es sind — nach „Planete“ — künstliche Satelliten.) Dieser Optimismus der Theorie, daß „alles“ möglich sei, wird durch den Rahmen Science-fiction, Magie und Wissenschaft abgesteckt — das Niemandsland innerhalb dieses Rahmens wird durch die Thematik von „Planete“ ausgefüllt, die sich zwischen „magischer“ Literatur und wissenschaftlicher Forschung bewegt. Dabei ist man gegenüber dem — halbgebildeten — Leser nicht sehr zimperlich. Man stellt die kühnsten Behauptungen und Hypothesen auf und erklärt sie zu erwiesenen Wahrheiten. Die Para-psychologie wird in den Rang der Wissenschaften erhoben, und die Spannung wird durch pikante Themen, in denen das Wunderbare, Rätselhafte, Phantastische vorherrscht, stets wachgehalten. Der Leser soll den „anderen Aspekt“ der Dinge kennenlernen: ihre verborgenen Wahrheiten und ihre Poesie...

Wo der Einbildung, dem „Traum im wissenschaftlichen Mantel“, ein so großer Raum gegeben wird, ist für die Erörterung politischer und sozialer Probleme kein Platz. Um so mehr wird der Literatur und Ästhetik Beachtung geschenkt. Und auch dies ist fraglos eine ins Gewicht fallende und von Anfang an in Betracht gezogene Erfolgskomponente: Man erhitzt sich heute nicht mehr für die Ideolgie der Klassenauseinandersetzung, die kapitalistisch-kommunistische Polarität hat ihre Brisanz eingebüßt. Dafür steigen die großen Weltprobleme in die Massenpresse hinab und wecken bei einer zahlenmäßig nicht zu unterschätzenden Leserschicht den Wunsch nach kultureller Unterrichtung, was eine Reihe französischer illustrierter Zeitschriften veranlaßt hat, sich zu einer Art Enzyklopädie zu entwickeln.

Edgar Morin wirkt bei seiner kritischen Schlußfolgerung etwas ratlos, wenn er „Planete“ mehr als einen Appell, denn als Antwort bezeichnet. Er räumt dem Unternehmen zwar ein, daß im kosmischen Bereich alles möglich sei, wendet sich aber gegen die Ausdehnung der Möglichkeitstheorie auf unseren Gegenwartsbereich.

„Die Tür geht nicht auf“

Dem wäre unsererseits hinzuzufügen, daß die kühnen Hypothesen der Zeitschrift — selbst wenn man nicht zur Polemik Zuflucht nehmen und im Chor der „Anti-Planete-Bewegung“ von Einnebelung durch kosmische Traumvorstellungen sprechen will — eine Erkenntnis nicht zu erschüttern vermögen, die wohl den meisten modernen Wissenschaftlern eigen ist: Alle Versuche, intuitive Faktoren rational zu erklären, dürften als gescheitert angesehen werden. Dr. Lin Yu-Tang schrieb in einem Vorwort der von ihm herausgegebenen Ubersetzung von Laotse: „Der Forscher klopft an, aber die Tür geht nicht auf. Sobald er sich anschickt, das Geheim,'

nis des Lebens zu entdecken, ver* schließt sich ihm das Leben vollständig. Er jagte der Materie nach und verlor sie im Elektron. Er jagte dem Bewußtsein nach und verlor es in elektrischen Gehirnwellen... Intuitive und mathematische Erkenntnisse treffen sich nie, denn sie liegen offenbar auf verschiedenen Ebenen.“

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