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Der Widerstand der Intelligenz

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Iii steigendem Maße beschäftigt sich die wissenschaftliche Literatur mit Problemen des Widerstandes gegen den Nationalsozia* lismus, das vorliegende Buch von Christian Petry erhebt Anspruch darauf, die abschließende Darstellung der Tätigkeit der Münchner studentischen Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ zu sein, ein Anspruch, der weitgehend erfüllt wurde.

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Iii steigendem Maße beschäftigt sich die wissenschaftliche Literatur mit Problemen des Widerstandes gegen den Nationalsozia* lismus, das vorliegende Buch von Christian Petry erhebt Anspruch darauf, die abschließende Darstellung der Tätigkeit der Münchner studentischen Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ zu sein, ein Anspruch, der weitgehend erfüllt wurde.

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Das Bild des individuellen Widerstandes, das der Autor entwirft, ist durch einige charakteristische Elemente gekennzeichnet, vor allem durch die nahezu geschlossene Herkunft der Beteiligten aus einem gut-bürgerlichen Milieu, durch die beiden Reservoire der studentischen Freiheit und der Zugehörigkeit zur Wehrmacht, in die die Partei am wenigsten eingreifen konnte und durch die gemeinsame Ablehnung jenes Typs, der der totalen Organisation und uniformen Lebensweise in seltsamer Verzückung folgte. Besonders auffallend wirkt die enge Verbindung zwischen der Jugend und älteren, reifen Menschen. Aus dieser Verbindung, die keineswegs Konservativismus bedeutete, schöpften so manche Mitglieder der „Weißen Rose“ das geistige Rüstzeug für ihre Gedankengebäude. Ausnahmslos basierten die Kräfte zur Opposition auf dem christlichen Gedankengut, zum Teil kamen die Mitglieder aus der aktiven katholischen oder protestantischen Jugendbewegung. Diese' stille Widerstandsgruppe unterschied sich auffallend von den martialisch organisierten Zentren der ehemaligen Parteigruppen, sie kam nicht aus der Tradition einer politisch gegnerisch ■ eingestellten Partei, die eben im Augenblick politisch entmachtet war und nun ihren Apparat für den Tag des Losschlagens in Schwung hielt, sie erwuchs direkt aus dem System selbst. Alle Mitglieder hatten mehr oder minder Berührungspunkte zum Nationalsozialismus, alle kamen auf Grund ihrer christlichen, bürgerlichen und individualistischen Grundhaltung zum Standpunkt der fanatischen Ablehnung, eine Parallele, dl auch durchaus zu einigen österreichischen Gruppen zu ziehen ist, etwa zu Karl Roman Scholz. Der Krieg war für alle das auslösende Moment, ihr Widerstand aber, wie der Verfasser klarstellt, im eigentlichen „unpolitisch“. Ein Wort des Beteiligten Theodor Haecker: „Den NS-Menschen muß es immer gegeben haben. Wie wäre es sonst möglich, daß die Bibel voll ist von Warnungen vor ihm?“ (S. 57) drückt aus, wie sehr dieser Widerstand ein christlich-ethischer Widerstand gegen die vermeintliche Inkarnation des Bösen war. Sehr vieles was als durchaus allgemeine Erscheinung pubertärer Entwicklung anzusehen ist (Geheimbünde, idealisiertes Sehnen usw.) bekam hier eine anfänglich kaum beabsichtigte Wirkung, da es nicht in das Denkschema der Herrschenden paßte. Die „Weiße Rose“ wendete sich nicht an die Massen, sondern an eine Elite christlich gebildeter Menschen, mußte aber sowohl das nahezu typische Versagen der Intellektuellen in der Übersetzung auf die praktische Wirksamkeit als auch die Unmöglichkeit der Überwindung studentischer Apathie in Kauf nehmen.

Der Ursprung aus dem romantischen Idealismus gibt aber bereits Klarheit darüber, daß diese Widerstandsgruppe den Kampf gegen das System eigentlich nicht führen konnte, denn in der Auseinandersetzung zwischen idealisierendem Romantizismus und realer Brutalität mußte ersterer infolge der untauglichen Waffen unterliegen. So ist die grenzenlose Unvorsichtigkeit der Verschwörer, der Traum von der allgemeinen studentischen Erhebung oder der Welle des Aufruhrs zur Rettung der individuellen Freiheit nicht bloße Irrealität, sondern vielmehr der christliche Gedanke des Opfers, der Selbstaufopferung, des Fanals, das der Autor richtig als Scheitern, nicht aber als Ausdruck politischer Wirksamkeit deutet; es war keine politische, dafür aber eine um so größere moralische Tat (S. 152). Letztlich bedeutete die vv-ani aes jran&is cturcn die (Jescnwi-ster Scholl aber abgesehen von der Intention der Initialzündung doch den Ausdruck der Hoffnungslosigkeit des zermalmten Individuums, das sich nicht in die mächtige Anonymität einer großen Widerstandsgruppe retten konnte. Die Fragestellung geht daher nicht so sehr nach der politischen Durchschlagskraft der „Weißen Rose“, sondern nach der Einstellung des einzelnen, der die Konsequenzen in der extremsten Form auf sich nahm und den guten Posten oder das sichere Auskommen nicht mit der Preisgabe der moralischen Werte bezahlte. So hebt sich etwa Professor Huber, der seine Angriffe gegen den Nationalsozialismus auch noch vor Gericht aufrechterhielt, deutlich in dieser einsamen Haltung von jener großen Schar ab, die sich mit dem System arrangierte. Leider ist über ein vom Verfasser erwähntes Randproblem, die Verbindung mit dem österreichischen Gebiet — Probst studierte in Innsbruck und Flugblätter wurden von Schmorell in Wien und Linz, von Scholl - in Salzbürg' aufgegeben — nichts näheres bekannt, man weiß kaum etwas über die Wirkung der Flugblätter in den genannten Städten. Neben den unbestreitbaren Verdiensten dieses Werkes tritt der Vorwurf der mitunter erdrückenden stofflichen Fülle zurück, das erstmalige Abgehen vom heroisierenden Kitschbild ist die einzige Darstellungsform, die einem Widerstand gegen den Nationalsozialismus gerecht wird. G. Jagschitz

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