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Deutsche Dichtung

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Die deutsche Literatur der Gegenwart. Von Karl August Horst. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München. 280 Seiten mit 43 Dichterbildnissen. Preis 9.80 DM.

In einer neuen Buchreihe „In eigener Sache“, die sich mit Problemen der Gegenwart beschäftigt, gibt der als Essayist und Literaturkritiker bekannte Verfasser eine Darstellung der Situation der deutschen Literatur unserer Zeit. Es geht ihm hier nicht um eine literaturästhetische Würdigung, sondern vor allem um einen Ueberblick über die wesentlichen geistigen Strömungen. Er zeichnet die Entwicklung seit den zwanziger Jahren, die seiner Ansicht nach eine Wende einleiten, nämlich die „Götterdämmerung des revolutionären Zeitalters“. Von da an wird in der Dichtung der „Einspruch des Irrationalen“ gegen die rationale Bestimmbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse deutlich. Die Ansätze der Literatur nach 1945 setzen nicht einfach die Linie der zwanziger Jahre fort, sondern sind von anderen geistigen Antrieben bestimmt. 1945 zeigte es sich, daß die Kraft der revolutionären Tendenzen vor 193 3 versiegt war. Die Literatur nimmt den Weg von einer noch immer in der Totalität religiöser oder moralischer Werte geborgenen Utopie zur Spaltung von Ratio und Seele. An die Stelle der rationalistischen Verbindlichkeit tritt oft eine „fatalistische Verbindlichkeit“.

Horst will in seiner Arbeit den geistigen Veränderungen im einzelnen nachgehen. Er beginnt mit den „Wandlungen des Romans“ und weist an Hand vieler Beispiele nach, wie sich seit den zwanziger Jahren die Problematik verändert hat. Wie die einzelnen Tendenzen der „Vorgänger“ ' zwar noch erkennbar, aber nicht mehr einheitlich gebunden sind. Zwei Hauptrichtungen lassen sich im Roman der Gegenwart erkennen: eine, die Werte der Tradition in die Zukunft retten will und dabei doch die Auseinandersetzung mit der neuen Zeit bejaht, und eine, die jede Tradition als Ausflucht ablehnt. Der kritische Betrachter kann die Vertreter beider Richtungen anerkennen, wenn sie ihr Anliegen dichterisch bewältigen. — Die beiden nächsten Abschnitte sind der „Grundsituation der Lyrik“ und der „Deutschen Lyrik der Gegenwart“ gewidmet. Das Schlußkapitel „Situation des Dramas“ umfaßt nur 14 Seiten und ist wohl zu knapp ausgefallen.

Der Verfasser hat die Literatur teils nach Motiven und Problemen, teils nach einzelnen Autoren aufgegliedert und so das Thema möglichst vielseitig beleuchtet. Natürlich gibt es hier Ueberschneidungep. Der Leser vermißt die kritische Aussage über den künstlerischen Rang. Autoren von sehr unterschiedlichem Können werden nur im geistesgeschichtlichen Zusammenhang behandelt. Einige bedeutende Dichter, wie etwa Benrath und U s i n g e r, hätten wohl eine nähere Betrachtung verdient. Horst setzt viel von seinen Lesern voraus, auch in seiner Diktion. Im Streben nach gedrängter Darstellung gibt er knappe Formulierungen, die nicht immer so klar verständlich sind, als es im Interesse einer weiteren Verbreitung des Buches wünschenswert wäre. Aber immer zeigt er sich als ein kenntnisreicher und feinfühliger Kritiker, der zwar nicht in allem Zustimmung finden wird, aber jedenfalls sehr anregend wirkt. Sein Buch enthält viele treffende Bemerkungen. Was er über die verschiedenen Richtungen der Lyrik und ihren Anspruch auf Gültigkeit sagt, gilt für die gesamte Literatur: nie gehört einer Richtung die Zukunft, „sondern immer nur dem einzelnen Dichter“.

Deutsche Literatur in Bildern. Ein Bildband von Gero von W i 1 p e r t. Alfred-Kröner-Verlag, Stuttgart. 316 Seiten. Preis 24 DM.

Mit diesem Bildband leiht der Verlag seinen allgemein geschätzten Veröffentlichungen eine prächtige Neuerscheinung an. Der Herausgeber Gero von Wil-pert — ihm danken wir auch das vorzügliche „Sachwörterbuch der Literatur“ — schreibt im Vorwort, das Werk wolle und könne keine Literaturgeschichte ersetzen, rechtfertige sich jedoch durch den Umstand, daß die meisten Literaturgeschichten der Nachkriegszeit, größtenteils aus finanziellen Erwägungen, auf Illustrationen verzichten. Diesem Mangel soll durch den Bildband, der das nötige Anschauungsmaterial bietet, abgeholfen werden. Er ist eine wichtige Ergänzung zu jeder Literaturgeschichte und kommt auch dem ausgeprägten Bedürfnis unserer Zeit nach Veranschaulichung entgegen. (Ein Vorläufer war der 1887 erschienene „Bilderatlas zur Geschichte der Deutschen Literatur“ von Gustav Könnecke.)

Die Auswahl wurde mit großer Sachkenntnis und feinem Verständnis für das optisch Wirkungsvolle getroffen. Die 861 Abbildungen sind nach literarhistorischen Zusammenhängen in 16 Hauptabschnitten geordnet. Sie zeigen, beginnend mit dem Codex argenteus des Ulfilas, Handschriften, Titelblätter, Einbände, Buchillustrationen, Faksimiles, Autorenporträts, Karikaturen, Gedenkstätten, Landschaften, Bühnenbilder und Szenenphotos und veranschaulichen so in eindringlicher Weise die Entwicklung der deutschen Literatur, die Persönlichkeit der Dichter, ihr Werk, ihre Umwelt und auch die geistige Atmosphäre ihrer Zeit. Die textlichen Erläuterungen sind ganz auf das Bild bezogen und „sollen das Erlebnis •intensivieren, indem sie das Dargestellte interpretieren“. Es war ein besonders glücklicher Gedanke, in den Erläuterungen zu den Dichterporträts Schilderungen von Zeitgenossen zu zitieren. Hier wirken Bild und Text harmonisch zusammen und der Leser gewinnt eine lebensvolle Vorstellung von der äußeren Erscheinung des Dichters. Daß bei der Auswahl der Porträts Künstlerbildnisse bevorzugt wurden, empfindet man als Vorteil. Manchmal werden auch knappe literarhistorische Hinweise gegeben.

Das Ziel des Werkes: das Bild als „Weg zum persönlichen Kontakt“ ist voll und ganz erreicht worden. Der Bildband ist für jeden Literaturfreund ein schönes Geschenk von bleibendem Wert und auch ein überaus nützliches Hilfsmittel für den Literaturunterricht in der Schule. Möge dieser dankenswerten Veröffentlichung einmal ein Bildwerk über die ausländische Literatur folgep.

Das deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Fischer-Bücherei, Pantheon-Klassiker, 329 Seiten, Preis 3.30 DM.

Den zahlreichen guten Anthologien deutscher Lyrik erweist sich diese neue als ebenbürtig. Der Herausgeber Edgar Hederer, der in seinem Vorwort eine geistesgeschichtliche Uebersicht der Entwicklung des deutschen Gedichts gibt, hat eine vortreffliche, chronologisch geordnete Auswahl getroffen. Sie zeigt, wie stark der Anteil des Religiösen an der Thematik des lyrischen Schaffens in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart ist: „Von Anbeginn bis zum Ende — zwei Drittel wohl aller deutschen Gedichte sind religiösen, die Hälfte geistlichen Inhalts — hält der deutsche Dichter die irdischen Dinge vor das Ewige.“ Schon das Wessobrunner Gebet schlägt das große Thema an.

Die Anthologie beginnt mit Gedichten unbekannter Autoren des Mittelalters, die Texte sind im mittelhochdeutschen Original wiedergegeben. Mit Recht wurde der Barocklyrik größerer Raum gewährt; hier finden wir einige weniger bekannte Kostbarkeiten. Die Anzahl der Gedichte aus dem 20. Jahrhundert ist gering, doch auch sie bezeugen klar den Wandel des Lebensgefühls und das Besondere der geistigen Haltung. Natürlich werden manche Leser ihre Lieblingsgedichte vermissen, denn jede Auswahl ist subjektiv, aber den größten Teil bilden Schöpfungen, deren dichterischer Rang unbestritten ist. Anmerkungen, Verzeichnisse der Dichter, der Gedichtanfänge und -Überschriften sowie ein Quellennachweis erhöhen den Wert des Bandes, der vorzüglich geeignet ist, breitere Kreise zu den Schätzen deutscher Lyrik zu führen.

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Jahresring 1956/57. Ein Querschnitt durch die deutsche Literatur und Kunst der Gegenwart. Herausgegeben vom Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 400 Seiten, 44 Bildtafeln. Preis 12 DM.

Zum drittenmal erscheint nun der „Jahresring“, ein Sammelwerk, das einen Ueberblick über dij Leistungen der deutschen Literatur und Kunst unserer Zeit geben will. Es soll, nach den Worten des Verlages, „das Wachstum des Neuen um den Kern des Ueberlieferten“ sichtbar machen und die Spannung zwischen Tradition und Experiment widerspiegeln.

Der Band ist wieder sehr reichhaltig. Nur einige wichtige Beiträge können hier hervorgehoben Warden: die aus Anlaß von Gedenktagen verfaßten Aufsätze über Mozart (von Leopold Ziegler), Heinrich Heine (von Sieburg), Siegmund Freud (von Erich Heller), der sehr bemerkenswerte Essay von G. Blöker, „Die neuen Wirklichkeiten in der Literatur“, und die Nachrufe auf Thomas Mann, E. R. Cur-tius, Emil Nolde und Gottfried Benn. Im Abschnitt, der der schönen Literatur gewidmet ist. finden wir neben bekannten Autoren, wie F. G. Jünger, Georg

von der Vring, Doderer, Britting, Busta und Helwig, auch noch unbekannte Namen. Manches davon steht im Zeichen des Experiments. Die dichterischen Texte sind den essayistischen Beiträgen an Qualität nicht ganz ebenbürtig. Treffende Charakteristiken von Leopold Ziegler und Friedrich Georg Jünger geben Reinhold Schneider und Curt Hohoff. Den Freund der bildenden Kunst werden vor allem ein Aufsatz über den Architekten Mies van der Rohe, einer über den deutschen Impressionismus und Briefe

von Paul Klee interessieren. Der modernen Musik gilt eine Abhandlung von Th. W. Adorno. Sehr aufschlußreich sind die Berichte über die wichtigsten Ereignisse auf den verschiedenen Gebieten des künstlerischen Schaffens. Zuletzt sei noch auf den reichen Bildteil hingewiesen. So ist ein repräsentativer Band entstanden; der jedem am geistigen Leben interessierten Leser wertvolle Information gewährt.

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