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Die Fronten der Vergangenheit

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Kart Marx erklärte 1843: „Der Kampf gegen die Religion ist also ein Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist... Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung eines wirklichen Glückes.“ Im „Kommunistischen Manifest“ werden die „Pfaffen“ ebenso wie die Ärzte, Juristen oder Poeten als bezahlte Lohnarbeiter der Bourgeoisie bezeichnet; die Gesetze, die Moral und die Religion als bürgerliche Vorurteile, hinter denen sich ebenso viele bürgerliche Interessen verstekken. In seinen späteren Schriften hat Marx die Religion dann ausdrücklich als Bereich der menschlichen Selbstentfremdung und eine Funktion der jeweils herrschenden Produktionsverhältnisse klassifiziert; in der kapitalistischen Gesellschaft eben als Funktion des Opiums. Dementsprechend bezeichneten auch Engels und Bebel das Christentum als den Überbau der kapitalistischen Privateigentumsverhältnisse.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß Papst Pius IX. von seiner ersten Erwähnung des Sozialismus, von 1849.an, diesen ablehnte. Seine Verdikte waren allerdings noch sehr undifferenziert. Als er 1864, im Jahr der Gründung der ersten Internationale, im „Syllabus“ 80 Irrtümer der Neuzeit verurteilte, wurde der Sozialismus gemeinsam mit dem Kommunismus, geheimen Gesellschaften, Bibelgesellschaften und liberalen Klerikervereinigungen als „Pestseuche“ verworfen. Im März 1870 wurde auf dem Ersten Vatikanischen Konzil ein Vorschlag vorgelegt, nach dem das große Zeitübel des Sozialismus verurteilt werden, gleichzeitig aber, auch die christliche Lehre über die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verkündet werden sollte, da die Habgier und Härte der Unternehmer der Grund für die Erfolge des Sozialismus seien. Zur Behandlung dieses Vorschlags ist es auf dem Konzil nicht mehr gekommen.

Von Leo XIII. zu Paul VI.

Das erste päpstliche Dokument, das sich ausdrücklich mit dem Sozialismus, dem Nihilismus beschäftigte, war die sehr hart urteilende Enzyklika Leos XIII. „Quod apostolici muneris“ von 1878. 1884 verknüpfte Leo XIII. Sozialismus und Kommunismus mit der Freimaurerei. In „Rerum novarum“ von 1891 wurden für das Problem der Not des Industrieproletariats erstmals auch christliche Lösungen angeboten, die sozialistischen Lösungen dabei aber nach wie vor abgelehnt bzw. verurteilt. Die unterschiedlichen Entwicklungen Im Sozialismus Europas und die Folgen der bolschewistischen Revolution von 1917 veran-laßten Papst Pius XI. 1931 in seiner Enzyklika „Quadragesimo anno“ zur Feststellung, daß beim gemäßigten Sozialismus eine Rück-wendung zu Wahrheiten, die christliche Erbweisheit sind, und eine bemerkenswerte Annäherung sozialistischer Programmforderungen an die Postulate einer christlichen Sozialreform eingetreten seien. Pius XI. blieb aber nach wie vor dabei, daß ein guter Katholik nicht zugleich Sozialist sein könne, „si vere manet socialismus“ (n. 117). Noch im gleichen Jahr 1931 erklärte Kardinal Bourne in Edinburgh, daß die Labour Party von der Enzyklika nicht betroffen sei.

Johannes XXIII. hat in seiner Sozialenzyklika „Mater et magistra“ die den Sozialismus betreffenden Stellen von „Quadragesimo anno“ kommentarlos referiert. In „Pacem in terris“, in den Dokumenten des Zweiten Vaticanums und in „Populorum progressio“ kommt der Terminus „Sozialismus“ nicht mehr vor; die Unvereinbarkeitserklärung Pius' XI. wird allerdings auch nirgends widerrufen. Dagegen hat die von Leo XHI. begonnene Kritik an den sozialen Mißständen des Liberalismus und Kapitalismus in „Populorum progressio“ zweifellos einen Höhepunkt erreicht

Wenn wir uns nun den „Fronten der Vergangenheit“ in Österreich zuwenden, so ist zunächst zum Verhältnis der Kirche zur Industriearbeiterschaft vor deren Organisierung durch die Sozialdemokratie folgendes zu sagen: Im Vormärz beschäftigten eich die österreichischen Bischöfe mit der sozialen Frage am meisten bei ihrer Berichterstattung an den Kaiser über die Erfüllung ihrer „sittenpolizeilichen“ Aufgabe, die ihnen schon vom Josephinismus gestellt worden war. Trunksucht und Zunahme der unehelichen Geburten wurden immer wieder mit Bedauern registriert und auf die verschiedensten Ursachen, einschließlich der Aufklärung, zurückgeführt.

Was die Religiosität der Arbeiter jener Zeit betrifft, so führten die Bischöfe die zunehmende Lauheit zum Teil auf die als Aufseher, Werkmeister und Direktoren in den Fabriken arbeitenden ausländischen Protestanten zurück. Dazu kommt noch, daß nach den Worten eines Führers der Revolution von 1848 „der Ausgangspunkt und Herd des Proletariats“ Böhmen war. Die seit Jan Hus in diesem Land latente religiöse Unruhe hatte wiederholt Bewegungen hervorgebracht, die immer wieder gebändigt oder gebrochen wurden. Derartige Ereignisse wirken durch Jahrhunderte in einem Volk nach. Sie erzeugen Aufsässigkeit, Resignation, Stumpfheit. Aus diesem geistigen Klima kamen nun Hunderte und Tausende von besitzlosen böhmischen Bauern, Taglöhnern und- Webern, die dem Sog der Industrialisierung folgten und zunächst das Hauptkontingent der österreichischen Industriearbeiterschaft stellten. Konnte man von ihnen erwarten, daß sie sich in Symbiose mit Protestanten als aktive Katholiken erweisen würden? Noch dazu in einem Land, in dem ein tüchtiger und angesehener Bischof, Gregor Ziegler von Linz, die sozialistischen Staatsutopien des Prager Theologen Bernhard Bolzano 1819 mit der Argumentation verurteilte, daß in Christus zwar alle Brüder seien und gleiche Rechte hätten, „aber nicht in der politischen und sozialen Welt, sondern in bezug auf den Himmel und die Verdienste Christi. Eine totale Gleichheit der Menschen in ihrer Stellung zu Staat und Kirche streite gegen das von Christus eingeführte Apostelamt.“

Mehr als vierzig Jahre später — fünf Jahre nach dem „Kommunistischen Manifest“ — hat einer der fähigsten Erzbischöfe Wiens, der Liquidator des Josephinismus und nachmalige Schöpfer des Konkordats von 1855, Joseph Othmar Rauscher, beim Antritt seines Amtes in einem Hirtenbrief an die Gläubigen

seiner Diözese aus einer ganz ähnlichen Gesinnung heraus zur sozialen Not seiner Zeit Stellung genommen: „Wer seine Armut um Gottes willen erträgt, der ist genügsam und fleißig; wem aber Fleiß und Genügsamkeit zur Seite stehen, der hat den Mangel an täglichem Brot selten zu fürchten.“ Rauscher kam aus einer Beamtenfamilie. Er zeigte beachtliches Verständnis für die Bauern, die er ebenso ansprach wie die Handwerker oder Beamten. Die Arbeiter zählten für ihn nicht.

Wenig Verständnis für die Arbeiterschaft

Auch die Haltung der Seelsorgepriester zu den Arbeitern war nicht allzu verständnisvoll. In den Visitationsberichten der Wiener Dechanten von ca. 1830 bis 1880 ist kaum von ihnen die Rede. Wurden sie ausdrücklich erwähnt, so geschah es im Ton mißbilligender Rüge. Die Arbeiter werden in religiösen Dingen als äußerst nachlässig oder lau bezeichnet, und zwar im ausdrücklichen Gegensatz zur übrigen Pfarrgemeinde. Sie nähmen nicht an der Sonntagsmesse teil, weil sie sich zu dieser Zeit mit Maschinenreparaturen beschäftigten. An den Feiertagen wären zum Teil häusliche Arbeiten der Grund ihres Fernbleibens von der Kirche.

Woran lag es nun, daß so viele dieser im allgemeinen sicher wohlmeinenden und tüchtigen Seelsorger das Elend der Arbeiter nicht

sahen, zum Teil sogar offensichtlich nicht sehen wollten? Woher das oft deutlich spürbare Ressentiment? Sicherlich wirkte sich dabei aus, daß es zumindest den Priestern der plötzlich entstandenen Mammutpfarren der Großstadt rein physisch unmöglich geworden war, ihre Pfarrangehörigen persönlich zu betreuen. Außerdem mag die „laue“, manchmal sogar feindselige Haltung der Arbeiter gegen Kirche und Klerus eine Rolle gespielt haben. Zu alledem dürfte aber noch ein sehr wesentlicher Faktor hinzugekommen sein, nämlich die Nachwirkung der Herkunft eines großen Teiles der Pfarrer und Kapläne jener Zeit. Der damalige Priesternachwuchs kam fast ausschließlich aus dem Bauernstand und aus der Schicht der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, also aus Kreisen, die zum Teil schwer um ihre Existenz zu kämpfen hatten und ihren größten Stolz darin sahen, nicht zu Taglöhnern oder vagabundierenden „Arbeitern“ herabgesunken zu sein. Daß in diesen Menschen eine Phobie vor den Vertretern jener Klasse lebte, die das Schreckgespenst des eigenen Schicksals war, ist verständlich. Die damit aber zwangsläufig verbundene unbewußte Feindseligkeit, der Wunsch, mit solchen Leuten nichts zu tun zu haben, hat zweifellos auch die Haltung der aus diesem Milieu kommenden Priester mitbestimmt.

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